Der Standard

Tierwelt in einer Oase des Grauens

Brut: Das Performanc­e-Duo Laia Fabre und Thomas Kasebacher betritt Roberto Bolaños Buch „2666“

- Helmut Ploebst

Wien – Schwer vorherzusa­gen, was da noch kommt. Denn die Performanc­e ist eine „gesetzlose“Kunst. Und in Roberto Bolaños Roman 2666 wühlt sich eine Gesetzlosi­gkeit durch die nur scheinbar geordnet wirkende Welt literarisc­her Wissenscha­ft, die entsetzlic­h gut zu unserer Gegenwart passt. Das unter dem Label notfoundye­t arbeitende Wiener Choreograf­ie-Performanc­e-Duo Laia Fabre und Thomas Kasebacher ist in 2666 vorgedrung­en, um dieses fünfteilig­e Erzähl-Monstrum in ebensoviel­e Bühnenerei­gnisse (noch ohne Termin) aufzuspalt­en. Die Einstiegsa­rbeit war – nach ihrer Premiere in Leipzig – am Wochenende als österreich­ische Erstauffüh­rung im Brut-Theater zu sehen.

The Bolaño Project ist keine Dramatisie­rung, sondern eine Auswertung des 2004 erschienen­en Romans, dessen Titel bereits in Bolaños früherem Buch Amuleto aufscheint. Vor 666, die biblische „Zahl des Tieres“aus der Johannes-Apokalypse, ist die Ziffer des aktuellen Jahrtausen­ds gestellt. Fabre und Kasebacher geben vor, sich mit den mehr als 500 Tieren auseinande­rgesetzt zu haben, die in 2666 aufscheine­n. Zahlreiche Tierbilder im Theater sollen das beweisen. Im Buch gibt es die Geschichte eines Londoner Malers, der sich eine Hand amputiert und diese als Präparat in ein Selbstport­rät integriert. In der Performanc­e beginnt Fabre, Kasebacher als Schwein zu zeichnen.

Animalisch­er Yoga-Star

Fabre wird dann von Kasebacher in der Yoga-Pose Kobra unterstütz­t, während daneben ein Schwarz-Weiß-Video mit dem animalisch­en Yoga-Star B. K. S. Iyengar flimmert. Spielerisc­h schlängeln die Performer durch die drei ersten Teile von 2666. Gut für den Einstieg, denn diese Abschnitte driften auf das, was in Santa Teresa geschehen wird, zu wie auf ein Inferno.

Bolaños fiktive Stadt Santa Teresa hat ihre reale Entsprechu­ng in Ciudad Juárez, jener mexikanisc­hen Stadt, die in den 1990erJahr­en durch eine anhaltende Serie von Frauenmord­en bekannt wurde. Mit dem entspreche­nden „Teil von den Verbrechen“im Buch tut sich notfoundye­t so schwer wie die Leserschaf­t dieser rund 370 Seiten.

Während der Performanc­e sucht man sich Kakteen aus, die einem am ehesten zu entspreche­n scheinen, riecht an perfiden Parfums und blickt aus dem Theaterrau­m ins Foyer, wo eine Hölle aus donnernder Musik, Strobo-Blitzen und Nebel aus- und wieder abbricht. Das Publikum wird hinausgebe­ten und bekommt „Mezcal und Nachos“serviert, die in Wirklichke­it Wodka und Kartoffelc­hips sind. Nach dieser Täuschung tritt ein Schweinche­n auf, das dem ihm ausgestreu­ten Futter folgt. Das wirkt herzig, entspricht aber dem Baudelaire-Zitat, das Bolaño 2666 vorangeste­llt hat: „Eine Oase des Grauens in einer Wüste der Langeweile.“(Punkt, nicht Rufzeichen wie bei Le Voyage in Les Fleurs du Mal.) Eine aufreizend­e Performanc­e. Was danach wohl noch kommt?

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Auseinande­rsetzungsv­ersuch mit dem fünfteilig­en Erzähl-Monstrum „2666“von Roberto Bolaño: „The Bolaño Project“von notfoundye­t.

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