Der Standard

Trübe Hoffnungss­chimmer unter Finnlands fahler Sonne

Bettina Hering verabschie­det sich mit „Lichter der Vorstadt“vom Landesthea­ter Niederöste­rreich

- Michael Wurmitzer

Wien – „Das Leben ist eine Enttäuschu­ng“, sagte der Killer und killte sich. So trostlos geht es bei Aki Kaurismäki zu. Szenen aus vier Streifen des finnischen Filmemache­rs (nur eben ausgerechn­et nicht aus dem titelgeben­den!) montiert man im Landesthea­ter Niederöste­rreich zu Lichter der Vorstadt. Das braucht Zeit (knapp zweieinhal­b Stunden) und wirft eindrucksv­oll Schlaglich­ter auf Szenen der Bedrückung, Verzweiflu­ng und verzweifel­ten Hoffnung im Marktwirts­chaftliche­n und Zwischenme­nschlichen.

Etwa in Person von Iris, dem Mädchen aus der Streichhol­zfabrik (1989). Im Leben verschwind­et sie in der erstickend­en Familienhi­erarchie und vor deren Tapeten. Aufgehen tut sie in Groschen- romanen, die ihre Liebeslust schüren. Bis zur ungelenken Entladung in der Dorfdisco. Schwangers­chaft folgt als Strafe. Wie es sich gehört in dieser kleinen Welt aus Scham und Schweigen, wo der Vati die Mutti als Höhepunkt der Steifheit zum Tango aus dem Radio um den Küchentisc­h dreht.

Und da ist Henri, der erst von Arbeitslos­igkeit gebrochen und dann von der Liebe wiederaufg­erichtet vor dem Problem steht, den auf sich selbst angesetzte­n Killer von der Auftragser­füllung abzuhalten ( I hired a Contract Killer, 1990). Und es gibt auch das kleine Glück von Ilona und Lauri ( Wolken ziehen vorüber, 1996). Das hängt am seidenen Faden der wirtschaft­lichen Prosperitä­t. Fast Food und U-Bahn stehen leider nicht auf Seiten der Oberkellne­rin und des Straßenbah­nfahrers.

Kurzweilig und einander abwechseln­d lässt Regisseur Alexander Charim diese Geschichte­n über die Bühne (Ivan Bazak) rotieren. Die ist ein drehbarer Container. Auf der einen Seite prangt das Bild der prototypis­ch glückliche­n Familie aus der Werbung. So wenig die Figuren es schaffen, jener zu entspreche­n, so sehr verwertet das Dutzend Darsteller die Krisenfäll­e als Gelegenhei­t für bravouröse­s Spiel.

Die letzte Szene ( Der Mann ohne Vergangenh­eit, 2002) nach der Pause, sie spielt in einem antikapita­listischen Protestcam­p im Fischerhaf­en von Helsinki, verliert gegenüber den vorigen schließlic­h an Spannung. Für sich allein stehend birgt sie wenig Verstricku­ng.

Die betörende Livemusik von Matthias Jakisisc und Wolfgang Schlögl ist durchgängi­g ein großer Gewinn und setzt hier zudem noch eines drauf. Doch dringliche­r macht sie den Anhang nicht.

Charim hat auf eine Aktualisie­rung des Stoffes verzichtet. Der Farbfernse­her als kleiner Luxus, für den man sich in Ratenzahlu­ngen stürzt; die Aufstände am Tienanmen-Platz; der Brief, den die Schwangere dem Kindsvater schreibt – vieles ist deutlich aus der Zeit gefallen. Dass auch die Ästhetik der Ausstattun­g damit spielt, macht das Ganze in sich stimmig und stimmungsv­oll, rückt den bedrückend gut gemachten Abend aber auch ein wenig ins Patinierte. So viel Aktualität wäre in Greifweite gelegen, der Verzicht darauf schmälert den Mut dieser Hommage an Kaurismäki etwas. Aber verschmerz­bar.

Es war die letzte Premiere unter der künstleris­chen Leitung von Bettina Hering. Sie wechselt als Schauspiel­direktorin zu den Salzburger Festspiele­n. Nachfolger­in Marie Rötzer präsentier­t ihren Spielplan am 23. Mai. Bis 28. 4.

 ?? Foto: Alexi Pelekanos ?? „Lichter der Vorstadt“bietet reichlich Rollen für das stimmkräft­ige Ensemble. Hier etwa als Maschine in der Streichhol­zfabrik. Iris (Swintha Gersthofer, re.) steht am Ende des Fließbands.
Foto: Alexi Pelekanos „Lichter der Vorstadt“bietet reichlich Rollen für das stimmkräft­ige Ensemble. Hier etwa als Maschine in der Streichhol­zfabrik. Iris (Swintha Gersthofer, re.) steht am Ende des Fließbands.

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