Trübe Hoffnungsschimmer unter Finnlands fahler Sonne
Bettina Hering verabschiedet sich mit „Lichter der Vorstadt“vom Landestheater Niederösterreich
Wien – „Das Leben ist eine Enttäuschung“, sagte der Killer und killte sich. So trostlos geht es bei Aki Kaurismäki zu. Szenen aus vier Streifen des finnischen Filmemachers (nur eben ausgerechnet nicht aus dem titelgebenden!) montiert man im Landestheater Niederösterreich zu Lichter der Vorstadt. Das braucht Zeit (knapp zweieinhalb Stunden) und wirft eindrucksvoll Schlaglichter auf Szenen der Bedrückung, Verzweiflung und verzweifelten Hoffnung im Marktwirtschaftlichen und Zwischenmenschlichen.
Etwa in Person von Iris, dem Mädchen aus der Streichholzfabrik (1989). Im Leben verschwindet sie in der erstickenden Familienhierarchie und vor deren Tapeten. Aufgehen tut sie in Groschen- romanen, die ihre Liebeslust schüren. Bis zur ungelenken Entladung in der Dorfdisco. Schwangerschaft folgt als Strafe. Wie es sich gehört in dieser kleinen Welt aus Scham und Schweigen, wo der Vati die Mutti als Höhepunkt der Steifheit zum Tango aus dem Radio um den Küchentisch dreht.
Und da ist Henri, der erst von Arbeitslosigkeit gebrochen und dann von der Liebe wiederaufgerichtet vor dem Problem steht, den auf sich selbst angesetzten Killer von der Auftragserfüllung abzuhalten ( I hired a Contract Killer, 1990). Und es gibt auch das kleine Glück von Ilona und Lauri ( Wolken ziehen vorüber, 1996). Das hängt am seidenen Faden der wirtschaftlichen Prosperität. Fast Food und U-Bahn stehen leider nicht auf Seiten der Oberkellnerin und des Straßenbahnfahrers.
Kurzweilig und einander abwechselnd lässt Regisseur Alexander Charim diese Geschichten über die Bühne (Ivan Bazak) rotieren. Die ist ein drehbarer Container. Auf der einen Seite prangt das Bild der prototypisch glücklichen Familie aus der Werbung. So wenig die Figuren es schaffen, jener zu entsprechen, so sehr verwertet das Dutzend Darsteller die Krisenfälle als Gelegenheit für bravouröses Spiel.
Die letzte Szene ( Der Mann ohne Vergangenheit, 2002) nach der Pause, sie spielt in einem antikapitalistischen Protestcamp im Fischerhafen von Helsinki, verliert gegenüber den vorigen schließlich an Spannung. Für sich allein stehend birgt sie wenig Verstrickung.
Die betörende Livemusik von Matthias Jakisisc und Wolfgang Schlögl ist durchgängig ein großer Gewinn und setzt hier zudem noch eines drauf. Doch dringlicher macht sie den Anhang nicht.
Charim hat auf eine Aktualisierung des Stoffes verzichtet. Der Farbfernseher als kleiner Luxus, für den man sich in Ratenzahlungen stürzt; die Aufstände am Tienanmen-Platz; der Brief, den die Schwangere dem Kindsvater schreibt – vieles ist deutlich aus der Zeit gefallen. Dass auch die Ästhetik der Ausstattung damit spielt, macht das Ganze in sich stimmig und stimmungsvoll, rückt den bedrückend gut gemachten Abend aber auch ein wenig ins Patinierte. So viel Aktualität wäre in Greifweite gelegen, der Verzicht darauf schmälert den Mut dieser Hommage an Kaurismäki etwas. Aber verschmerzbar.
Es war die letzte Premiere unter der künstlerischen Leitung von Bettina Hering. Sie wechselt als Schauspieldirektorin zu den Salzburger Festspielen. Nachfolgerin Marie Rötzer präsentiert ihren Spielplan am 23. Mai. Bis 28. 4.