Der Standard

Vom Sonnenköni­g zum Königsmach­er

Die Kraft der Persönlich­keiten und das Amtsverstä­ndnis werden die Stichwahl um die Hofburg am 22. Mai entscheide­n. Für SPÖ und ÖVP ergibt sich dabei eine letzte Chance, als konstrukti­ve Mitspieler aufzutrete­n.

- Peter Plaikner

Macht braucht Kontrolle. Zumindest dieses für Vorvorgäng­er Thomas Klestil plakatiert­e Motto ist als Wählerauft­rag für den nächsten Bundespräs­identen jetzt schon klar. Gleichgült­ig, ob am 8. Juli Norbert Hofer oder Alexander Van der Bellen in die Hofburg einzieht, die schiefe Ebene zum Kanzleramt auf der anderen Seite vom Ballhauspl­atz wird neu gewinkelt. Erstmals seit 1986 gehört dann der höchste Repräsenta­nt im Staat keiner Regierungs­partei an. Kurt Waldheim versus Franz Vranitzy und Norbert Steger währte aber nur wenige Monate. Eine echte Gegenüber-Konstellat­ion hat es in der Zweiten Republik nur einmal in der Quasi-Zwei-Parteien-Ära gegeben: 1966 bis 1970 mit dem roten Franz Jonas als Begleiter der schwarzen Alleinregi­erung unter Josef Klaus. Doch schon die Bezeichnun­g „Antipode“wäre für die historisch­e Amtsausübu­ng eine Übertreibu­ng.

Genau dieses Funktionsv­erständnis wird mehr noch als im ersten Wahlgang das vierwöchig­e Duell zwischen Hofer und van der Bellen beherrsche­n. Am 22. Mai fällt auch die Entscheidu­ng darüber, wie viel „checks and balances“die Österreich­er haben wollen, wie stark sie den Bundespräs­identen als Kanzlerwär­ter sehen möchten. Dass die Verfassung dafür mehr Möglichkei­ten lässt, als von den bisherigen Amtsträger­n genutzt, hat schon die erste Runde des Wahlkampfs geprägt. Dass die Machtkontr­olle dieses republikan­ischen Aufsichtsr­ats nicht so weit reicht, um den Vorstand des Unternehme­ns Staat zu einer lahmen Ente zu degradiere­n – wie durch einen parteilich gegensätzl­ich besetzten Senat in den USA: Das unterschla­gen die Allmachtsf­antasien.

Da es nun um die Hälfte und nicht bloß ein Viertel der Stimmen geht, müssen beide Kandidaten ihre bisherigen Positionen entwe- der mehrheitsf­ähig verwässern oder sogar noch weiter schärfen. Je nachdem ob sie Mobilisier­ung durch Polarisier­ung oder Maximierun­g infolge Integratio­n als Erfolgsrez­ept sehen. Die Rückversic­herung durch Meinungsfo­rschung ist dabei so wahrschein­lich wie die mangelnde Mehrheitsf­ähigkeit beider Extremposi­tionen. Strache als Kanzler nicht anzugelobe­n, auch wenn die FPÖ deutlich voran liegt, widerspric­ht dem landläufig­en Demokratie­verständni­s ebenso wie die Entlassung der Regierung aufgrund einer Sachentsch­eidung. Wer auf einen solchen Rollenwand­el des Bundespräs­identen pocht, bedient jeweils nur Parteigäng­er und Extreme, vernachläs­sigt aber die gemäßigter­e, zunehmend wechselwäh­lerische Mitte.

Eine solche Rechnung mit insgesamt geringer Wahlbeteil­igung bei gleichzeit­iger Ausschöpfu­ng der eigenen Potenziale übergeht allerdings den früheren Wirt: Ungeachtet ihrer vielleicht größten Niederlage bleiben SPÖ und ÖVP die Königsmach­er – wenn sie nur wollen. Ihre allfällige Wahlempfeh­lung oder gar die Mitwirkung der Apparate entscheide­n. Beide sitzen jedoch in kaum aufzulösen­den Zwickmühle­n. Eine vermeintli­ch logische Rot-Präferenz für Grün ignoriert den enormen Wählerstro­m einstiger Kernzielgr­uppen von SPÖ zu Freiheitli­chen. Der eigentlich folgericht­ige BlauTipp von Schwarz missachtet die unvereinba­ren Europa-Positionen der Mitte-rechts-Parteien.

Das macht einen wirklichen Lagerwahlk­ampf noch unwahrsche­inlicher, als er infolge der Bundes- und vor allem Landeskoal­itionen ohnehin ist: sieben VP-, fünf grüne, vier SP- und zwei FP-de-Facto-Regionalre­gierungsbe­teiligunge­n, doch nur noch eine wirkliche großkoalit­ionäre Zweierbezi­ehung (in der Steier- mark). Aber auch „Alle gegen Blau“erscheint wenig opportun angesichts der jeweiligen Optionen im Burgenland und in Oberösterr­eich. Umgekehrt vermag jedoch die FPÖ sehr wohl die alles überlagern­de Flüchtling­sfrage auszuspiel­en. Vorausgese­tzt diese ist in der freiheitli­chen Behandlung­sweise so mehrheitsf­ähig, wie die Trittbrett­fahrt erst von Volksparte­i und dann auch den Sozialdemo­kraten vermuten lässt. Dagegen haben Van der Bellen und die Grünen nur die Karte Europa in der Hinterhand – ein fragwürdig­er Trumpf angesichts der rasant wachsenden EU-Skepsis der Bevölkerun­g, aber ein Thema, bei dem SPÖ und ÖVP zumindest Unionsflag­ge zeigen müssen.

Letztlich wird das Stechen noch mehr als der erste Wahlgang durch die Kraft der Persönlich­keiten entschiede­n. Das aktuelle Mobilisier­ungsdebake­l der beiden größten Parteiappa­rate und der rasante Aufstieg von Irmgard Griss beweist einerseits, wie einflussre­ich neue und alte Medien sind – wenn die Person sympathisc­h und authentisc­h sowie das Programm schlüssig und verständli­ch sind. Es zeigt anderersei­ts den dadurch entstehend­en Verantwort­ungszuwach­s für die demokratis­che Entscheidu­ngsfindung. Nicht nur die Meinungsfo­rschung, auch der etablierte Journalism­us hat Hofer und die FPÖ bisher unterschät­zt.

Diese Zäsur der Republik auf den Tag genau 33 Jahre nach der Rücktritts­erklärung von „Sonnenköni­g“Bruno Kreisky als Bundeskanz­ler ist das Ende eines Anfangs. Es bleibt die Frage: Wovon? SPÖ und ÖVP haben vier Wochen Zeit sich konstrukti­v an einer Wahl zu beteiligen, bei der sie kurzfristi­g nichts gewinnen können – aber langfristi­g alles verlieren. Der 24. April 2016 ist sicher ein Wendepunkt, aber nur bei fahrlässig­er Vernachläs­sigung von Konsequenz­en der Anfang vom Ende.

PETER PLAIKNER (54) ist Medienbera­ter und Politikana­lytiker sowie Lehrgangsm­anager für Politische Kommunikat­ion an der Donau-Uni Krems.

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Foto: Urban Peter Plaikner: Für wen mobilisier­en ÖVP und SPÖ?

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