Ein neues politisches Zeitalter
SPÖ und ÖVP können nun kämpfen oder gleich zugunsten der FPÖ aufgeben
Einen solchen Vorsprung für Norbert Hofer hat niemand vorausgesehen: Das ist ein Erdrutschsieg für den blauen Kandidaten und das erwartete Desaster für die Regierungsparteien. Dass erstmals in der Zweiten Republik kein Bewerber, den SPÖ oder ÖVP nominiert haben, Bundespräsident wird, markiert den Beginn eines neuen politischen Zeitalters, in dem nicht mehr Rot und Schwarz die Geschicke bestimmen.
Die Nominierung des ursprünglich zögerlichen Hofer war ein geschickter Schachzug von Parteichef HeinzChristian Strache: Hofer verstand es, sich als FPÖ-Faserschmeichler den Wählerinnen und Wählern so anzudienen, dass sie sich selbst einen Blauen in der Hofburg vorstellen können. Er konnte als Person und mit seinen Themen punkten. Ein Rechtspopulist als Bundespräsident ist kein Tabu mehr. Ein FPÖ-Politiker in der Hofburg wäre eine Zäsur mit Symbolkraft, die über Österreich hinauswirkt.
Die FPÖ profitierte wieder einmal am stärksten von der im Lande wahrnehmbaren Unzufriedenheit mit der Regierungspolitik. Das Flüchtlingsthema wirkte als zusätzlicher Katalysator. Die Abschottungspolitik der Regierung hat die Wähler nicht überzeugt. Man wählt nicht den Schmiedl, sondern den Schmied. er Schwenk von Kanzler Werner Faymann in der Flüchtlingsfrage hat sich nicht gelohnt, zumal Rudolf Hundstorfer diesen auch nicht glaubwürdig vermitteln konnte. Die SPÖ hat mit Hundstorfer einen Politiker vorzeitig aus dem Ministeramt ins politische Aus bugsiert. Der Überlebenskampf von Faymann als SPÖ-Chef von Michael Häupls Gnaden wird spätestens auf dem Parteitag im Herbst entschieden. Die Sozialdemokraten werden auch zu klären haben, ob sie sich weiter an Hans Niessl ausrichten oder an Michael Häupl: weiter nach rechts marschieren oder nach links orientieren.
Die ÖVP hat sich bereits auf eine neue Linie festgelegt. Sebastian Kurz’ Kurs hat dem ÖVP-Kandidaten Andreas Khol nicht genützt, der sich als kantiger Konservativer selbst FPÖWählern empfahl. Nicht einmal die eigenen Funktionäre waren von ihrem Kandidaten überzeugt, Irmgard Griss hat davon profitiert.
Reinhold Mitterlehner ist Parteichef auf Abruf. Seine Entscheidung für
DKhol, die intern umstritten war, hat er zu verantworten. Hoffnungen, dass sich die ÖVP mit Kurz aus ihrer Krise erholen kann, haben einen Dämpfer erlitten – vielleicht vorerst auch die Ambitionen des ehrgeizigen Außenministers.
Die vor wenigen Monaten einer breiten Öffentlichkeit noch unbekannte Juristin Griss hat sich als wählbare Alternative für all jene dargestellt, die ihren Wunsch nach einem anderen Stil in ihr verkörpert sahen. Erstmals hat auch das Wahlmotiv Frau wahrnehmbar eine Rolle gespielt – ein weiteres Novum.
Bestätigt hat sich, dass die Grünen in Umfragen besser liegen als bei der Abstimmung. Alexander Van der Bellen schafft es aber doch in die Stichwahl – vor allem dank des Votums in Wien.
Jetzt geht es um eine Richtungsentscheidung: SPÖ und ÖVP haben im Vorjahr verabsäumt, Irmgard Griss als gemeinsame Kandidatin zu nominieren. Sie könnten für die zweite Runde eine Wahlempfehlung für Van der Bellan abgeben, um Hofers Marsch in die Hofburg zu verhindern. Nach diesem Debakel können sie kämpfen oder aufgeben – und die Hofburg und die Regierung einfach der FPÖ überlassen.