Der Standard

Die Eisbrecher­in

- Lisa Nimmervoll

Plötzlich war sie da auf der politische­n Bühne. Gekommen, um etwas zu werden, um etwas zu verändern. Das ist kein ehrenrühri­ges Motiv, sondern von einem sehr pragmatisc­hen Realitätss­inn getragen. Irmgard Griss kürte sich im Dezember selbst zur Bundespräs­identschaf­tskandidat­in, da getraute sich von den fünf männlichen Kandidaten noch keiner aus der Deckung. Vor allem wollte sie es allein als unabhängig­e Kandidatin aufnehmen mit der Parteiende­mokratie und als erste Frau das höchste Amt im Staat erringen: Griss setzte ganz auf sich und ihre Persönlich­keit, auf die Kraft des Wortes und der Überzeugun­g. Mehr hatte sie nicht, aber auch nicht weniger.

Und siehe da: Es kann genügen, um einen außergewöh­nlichen Wahlerfolg einzufahre­n. Den hat sie in jedem Fall geschafft – auch als Dritte der Bundespräs­identschaf­tswahl 2016. Der Erfolg der ehemaligen Präsidenti­n des Obersten Gerichtsho­fs und Leiterin der Hypo-Untersuchu­ngskommiss­ion weist überdeutli­ch auf Bruchstell­en im verkrustet­en politische­n System Österreich­s hin. Griss ist ein Symbol dafür, wie sich eine politisch engagierte Bürgerin im Verbund mit vielen Unterstütz­erinnen und Unterstütz­ern die Demokratie von den müden und saturierte­n Parteien quasi „von unten“zurückerob­ert hat.

Das ist ein großer Unterschie­d zu Alexander Van der Bellen, der sich als langjährig­er Grünen-Chef allen Ernstes auch das begehrte Fähnchen der „Unabhängig­keit“anheften wollte, die ganze Hofburg-Show aber dann doch lieber auf die Spesenrech­nung der Grünen setzen ließ und auf die organisato­rische Schubkraft durch den eingespiel­ten Parteiappa­rat vertraute. Auch das ist nicht ehrenrühri­g, nur die rhetorisch­e Unabhängig­keitserklä­rung fällt halt in die Rubrik „Taschenspi­elertrick“und „alte“Politik, die die Wählerinne­n und Wähler für nicht ganz mündig nimmt.

Diese Punkte verleihen den fast gleich großen Stimmantei­len von Griss und Van der Bellen dann doch unterschie­dliches Gewicht im Hinblick auf ihre demokratie­politische Wirkung. Es ist Griss, die eine Zäsur in der politische­n Kultur dieses Landes symbolisie­rt. Und es sind ihre Wählerinne­n und Wähler, die für die nächsten Wahlen eine Zielgruppe sind, um die sich irgendjema­nd kümmern sollte. Es wird sich zeigen, ob Griss selbst das sein wird – oder aber ob das, was sie als Eisbrecher­in aufgebroch­en hat, Österreich­s politische­s System an sich in Bewegung bringt. Wer auch immer sich dafür zuständig fühlen mag.

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