Irans Reformer wagen sich aus der Deckung
Meinungsverschiedenheiten zwischen Präsident Rohani und religiösem Führer
Im Iran zeichnen sich immer deutlicher die Meinungsverschiedenheiten zwischen Präsident Hassan Rohani und dem religiösen Führer Ayatollah Ali Khamenei ab. Khamenei hatte sich zuletzt klar auf die Seite regierungskritischer Kreise gestellt, Rohani wiederum wagt sich inzwischen stärker aus der Deckung und setzt sich kritisch mit den Wortmeldungen Khameneis auseinander.
Jüngstes Beispiel sind Äußerungen Ayatollah Khameneis über die Annäherung iranischer Jugendlicher an den Westen. Unter anderem wandte sich der religiöse Führer gegen das wachsende Interesse junger Menschen, Englisch zu lernen. Englisch sei nicht die einzige Sprache der Wissenschaft, erklärte Khamenei. Rohani widersprach: Die englische Sprache spiele gerade in der Wissenschaft eine bedeutende Rolle. Außerdem sei die Entscheidung, welche Sprache man lernen will, Privatsache.
Präsident Rohani ist durch die jüngsten Parlamentswahlen gestärkt, bei denen die Reformer einen Sieg davontragen konnten. Immer wieder betont er die Notwendigkeit, enger mit dem Westen zu kooperieren.
Ayatollah Khamenei hingegen stellte sich nach den Wahlen mehr oder weniger offen auf die Seite der Radikalkonservativen und verteidigt deren Ansichten bei verschiedensten Gelegenheiten. Auch die Freitags-Imame sind durch ihre Zentrale verpflichtend auf die konservative Linie eingeschworen.
Kritik auch in den Medien
Die liberalen Medien stellen sich inzwischen vermehrt auf die Seite des Präsidenten und versuchen, sich in geschickt formulierten Kommentaren kritisch mit den radikalen Meinungen des religiösen Führers auseinanderzusetzen. Man wagt zwar nicht, sich ganz offen zu äußern, aber alle Zeichen deuten darauf hin, dass die Autorität Khameneis ins Wanken gerät – vor allem wegen der jüngsten Diskussionen über die Zusammensetzung des Expertenrates und die daraus resultierende Nachfolgefrage. Auch bei der Wahl des Expertenrates, die Ende Februar zeitgleich mit den Parlamentswahlen stattfand, hatten konservative Gruppen herbe Verluste erlitten.
Der frühere iranische Präsident Ali Akbar Hashemi Rafsanjani, der selbst im Expertenrat sitzt und auch weiterhin einer der einflussreichsten Politiker des Landes ist, hat in einem Interview jüngst seine Lebensaufgabe als „erfüllt“bezeichnet. Nach der letzten Präsidentenwahl und der jüngsten Entscheidung der Bevölkerung bei den Parlaments- und Expertenratswahlen könne er beruhigt in die Zukunft blicken, so Rafsanjani.
Die knapp zwei Monate, die der jetzigen, konservativen Legislative noch verbleiben, sind geprägt durch eilig verabschiedete Gesetze, die – bereits bevor sie überhaupt in Kraft treten – zum Teil als undurchführbar gelten. „Die abgewählten Parlamentarier wollen Gesetzen ihren Stempel aufdrücken, die in der kommenden Legislaturperiode keine Chance haben, die parlamentarische Hürde zu passieren“, schreibt die Zeitung Etemad und rät den Abgeordneten, nationale Interessen über die eigenen zu stellen.