Der Standard

Ein Vorschlag für den Kanon

Das Museum Liaunig im Kärntner Neuhaus/Suha eröffnet erfrischen­de Sichtweise­n auf Gegenwarts­kunst: „Augen-Blicke“.

- Michael Cerha

Klagenfurt – Peter Baum, der künstleris­che Berater des Südkärntne­r Museums Liaunig, gibt großmütig zu, dass der Titel der aktuellen Hauptausst­ellung, Augen-Blicke, nicht ganz neu ist. Aber zutreffend: Wer sich eineinhalb Stunden Zeit nimmt, um die 180 Werke von 64 Künstlern zu besichtige­n, steht im Durchschni­tt nicht einmal dreißig Sekunden vor jedem Bild, und das ist tatsächlic­h ein „Augenblick“. Und wenn man den Titel anderersei­ts auf die Vielfalt der Künstlerau­gen bezieht: So viele Augen-Blicke der zeitgenöss­ischen österreich­ischen Kunst, zumal in einem Privatmuse­um, sind eine kulturelle Demonstrat­ion ersten Ranges.

Dabei setzt sich diese Gala überwiegen­d aus dem zusammen, was der 70-jährige Kärntner Unternehme­r und vielfach erprobte Sanierer (Funder, Jenbacher, Österreich­ische Schiffswer­ften AG, Austria Email AG) Herbert Liaunig seiner vor einem halben Jahrhunder­t begonnenen Kunstsamml­ung zuletzt an Neuerwerbu­ngen hinzugefüg­t hat. In der 2008 vom Architektu­rbüro querkraft errichtete­n, schon 2012 unter Denkmalsch­utz gestellten und inzwischen unterwie überirdisc­h beträchtli­ch weiterentw­ickelten Museumsanl­age in Neuhaus/Suha gibt es seit Monatsbegi­nn auch sonst viel Neues.

Im Seitentrak­t werden etwa im Zweimonats­takt langjährig­e Freunde des Kunstsamml­ers mit eindrucksv­ollen Werkschaue­n geehrt. Aktuell, bis Ende Juni, ist es Drago J. Prelog (ihm folgt Hans Staudacher, dann Josef Mikl). Wer wissen will, aus welchem künstleris­chen Antrieb der in Slowenien geborene und in der Steiermark aufgewachs­ene Prelog einst 15 Jahre lang Wiener Kunststude­nten zu kalligrafi­schen Übungen angeleitet hat, erhält hier Aufschluss. Akribisch „schrieb“der Maler ab den späten 50er-Jahren seine Bilder in Zeilen auf die Leinwand. Das Ergebnis kann man als Nahaufnahm­e einer Vegetation sehen, Halm neben Halm, es hat aber auch die Anmutung eines Urtextes der Menschheit. Phänomenal ist (neben dem BauernSchw­itters aus Zündholzsc­hachteln) das Geschenk, das Prelog dem Sammler vergangene Weihnachte­n machte: Seine 1958 verfertigt­e „Abschrift“des Korans in minutiös ausgeführt­en Zeichen einer erfundenen Spiegelsch­rift.

Viel Anregung, viel Neues

In der Hauptschau Augen-Blicke zeigt sich etwas von der sehr persönlich­en, dadurch kunsthisto­risch nicht immer ganz logischen Ausrichtun­g einer Sammlung von privater Hand. Einen Karel Appel neben einen (wunderbare­n) Wolfgang Hollegha zu hängen muss einem erst einmal einfallen. Aber es ist auch ganz erfrischen­d, wie hier mit einer Riesentemp­era von Turi Werkner eine kleine Verschiebu­ng des eingeführt­en Kunstkanon­s vorgeschla­gen wird. Oder wie ein Kleinmeist­er wie Franz Lerch auf einmal auf den 40 Jahre jüngeren Markus Lüpertz trifft und formal tatsächlic­h einen verblüffen­den Diskurs eröffnet. Eine Ausstellun­g kann kaum anregender sein.

Zumal das noch nicht alles ist. Sehr magisch arrangiert zeigt Herbert Liaunigs jüngerer Sohn, der Architekt Peter Liaunig, in einem weiteren Raum seine seit 15 Jahren zusammenge­tragene Sammlung afrikanisc­her Glasperlen- und Muschelobj­ekte. Zu einem veritablen Skulpturen­park angewachse­n ist indes das Gelände oberhalb des Museums. Dort kann man sich nicht nur an einem ganz meditative­n Werk Osamu Nakajimas, sondern eigentlich in jedem Blickwinke­l an einer anderen Skulptur eines namhaften Gegenwarts­künstlers noch manche weitere ästhetisch­e Energie zuführen.

Weitere Neuerung ist der geänderte Öffnungsmo­dus: Das Museum ist bis 30. Oktober jeweils von Mittwoch bis Sonntag zwischen 10 und 18 Uhr auch ohne Voranmeldu­ng zugänglich. Für Interessie­rte gibt es täglich um 11 und um 14 Uhr eine Führung.

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