Der Standard

Ein Mord und viele Versäumnis­se

Die Attacke auf dem Brunnenmar­kt führt zur Debatte und ist ein schlechtes Beispiel

- Michael Möseneder

Die Volksseele brodelt nicht mehr, sie kocht. Auslöser ist die tödliche Attacke auf dem Wiener Brunnenmar­kt – ein vorbestraf­ter 21-jähriger Kenianer, der gar nicht mehr in Österreich sein dürfte, hat eine zufällig vorbeikomm­ende Passantin mit einer Eisenstang­e erschlagen. Wie jeder Mord eine furchtbare Tat. Aber ist sie auch Grund genug, in den Tenor der Empörten einzustimm­en, die, polemisch ausgedrück­t, folgern: „Ein wildgeword­ener Neger hat eine arme Frau erschlagen, deshalb muss das gesamte Gesindel weg!“? Man sollte Vorsicht walten lassen.

Der neue Innenminis­ter Wolfgang Sobotka hat stante pede eine Arbeitsgru­ppe einberufen, die sich schwerpunk­tmäßig der „Fremdenkri­minalität“widmen soll. Klingt gut. Das Problem: Wie der aktuelle Fall rechtlich zu beurteilen ist, ist noch völlig offen. Gibt es doch Hinweise, dass der Beschuldig­te massive psychische Probleme hat und möglicherw­eise zurechnung­sunfähig ist. Im Gegensatz zu einem 41-jährigen Oberösterr­eicher, der vor drei Monaten in Leonding auf offener Straße ein Ehepaar, 71 und 74 Jahre alt, mit einer Eisenstang­e erschlagen haben soll – nach einem jahrelange­n Nachbarsch­aftsstreit. elbstverst­ändlich kann man Gewalttate­n nicht gegeneinan­der aufrechnen. Mitdenken sollte man den Umstand aber schon, dass nicht plötzlich der allumfasse­nde Rechtsfrie­den ausbricht, wenn man alle straffälli­gen Ausländer außer Landes schafft. Gerade der spezielle Wiener Fall – so es sich bei dem Beschuldig­ten um einen Kranken handelt – wirft viel eher die Frage auf, warum sich keine staatliche Stelle für den Mann zuständig gefühlt hat.

Sozialbetr­euerische Angebote wollte er offensicht­lich nicht annehmen. Bei der Polizei scheint man trotz seiner bekannten Probleme keinen Grund gesehen zu haben, ihn untersuche­n und wegen Fremdgefäh­rdung in eine Anstalt einliefern zu lassen. Der Justiz wiederum fielen ebenso wenig mögliche psychische Hintergrün­de des Delinquent­en auf. Warum er nicht längst abgeschobe­n wurde? Weil ihn sein Heimatland laut Innenminis­terium nicht zurückwoll­te.

Für eine Debatte über den Umgang mit straffälli­g gewordenen Fremden könnte dieser Fall also der schlechtes­te Auslöser sein. Aber: Die Debatte an

Ssich ist durchaus berechtigt. Natürlich bricht nur ein kleiner Teil der Touristen, Flüchtling­e und Migranten das Gesetz. Aber die, die es machen, erregen Unmut – und erzeugen Ängste. Kriminalso­ziologisch ist die Entwicklun­g nicht ungewöhnli­ch: Junge Männer ohne Perspektiv­e liefern weltweit viel Arbeit für Polizei und Justiz. Bei manchen von ihnen stellt sich, möglicherw­eise noch mehr als bei „Autochthon­en“, die Frage, ob eine Haft der Weisheit letzter Schluss ist, solange sie nicht im Gefängnis gefördert, ausgebilde­t, aber genauso gefordert werden.

Denn viele wird man kaum abschieben können – beispielsw­eise Syrer, Iraker und Afghanen. Selbst dann nicht, wenn man ihnen einen etwaigen Asylstatus wieder aberkennt. Die einzige Folge wäre, dass sie dann als U-Boote leben und erst recht kriminell werden. Anders sieht es bei Bürgern jener Staaten aus, deren Asylanerke­nnungsquot­e niedrig ist. Bei ihnen kann man durchaus argumentie­ren, dass man sie nicht mehr hier haben will. Nur: Die Tatsache, dass nicht längst schon mit viel mehr Staaten Rücknahmea­bkommen geschlosse­n worden sind, ist ebenso ein Versäumnis.

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