Der Standard

Putin- Gegner Ryschkow gibt Hoffnung nicht auf

Bei der Wahl im Herbst hoffen die russischen Liberalen auf die Rückkehr in die Duma. Opposition­sführer Wladimir Ryschkow spricht über Chancen, Schikanen der Obrigkeit, aber auch eigene Fehler.

- INTERVIEW: André Ballin

Standard: Warum nehmen Sie an der Duma-Wahl teil? Ryschkow: Weil das meine Wähler in der Region Altai von mir erwarten. Ich bin vier Mal für das Gebiet in die Duma eingezogen. Seit 2007 hatte ich keine Möglichkei­t, mich einer Wahl zu stellen, weil das Gesetz geändert, Direktmand­ate liquidiert und meine Partei, die Republikan­ische Partei (RPR-Parnas), verboten wurde.

Standard: Warum sollten die Russen Sie wählen? Sind Sie anders? Ryschkow: Ich sehe Politik anders. Heute kassiert die Regierung 65 Prozent der Steuern. Nur 35 Prozent bleiben in den Regionen. Das führt dazu, dass die Regierung neue Kosmodrome, riesige Militäraus­gaben, die Fußball-WM und Olympische Spiele finanziert, während in den Regionen das Geld für Schulen, Krankenhäu­ser und Straßen fehlt. Im Altai verdienen Lehrer im Durchschni­tt weniger als 200 Euro. Ich fordere mehr Gerechtigk­eit durch weniger Ausgaben für Militär, Polizei und Megaprojek­te und eine größere Umverteilu­ng an die Regionen.

Standard: Spüren Sie Unterstütz­ung der Menschen im Altai? Ryschkow: Nicht nur ich, sondern auch die Obrigkeit. Sie tut alles, um meine Treffen mit Wählern zu verhindern. Räume werden gesperrt, Wähler eingeschüc­htert. Einmal wurden nach einem Treffen alle Menschen, die ich getroffen habe, angerufen und bedroht.

Standard: Laut Umfragen liegt die Regierungs­partei Einiges Russland bei 48 Prozent. Ryschkow: Die Lage ändert sich schnell. Das Rating von Einiges Russland fällt, die Proteststi­mmung steigt. Es ist möglich, dass die Abstimmung zur Protestwah­l wird und die Opposition stärker vertreten sein wird. Wir wissen aber nicht, wie massiv die Fälschunge­n sein werden. Ich denke, es wird welche geben. Wir haben das ja schon bei den Vorwahlen von Einiges Russland gesehen.

Standard: Und wie sehen Sie die Vorwahlen der Opposition? Ryschkow: Als Fiasko. Die Koalition ist zerbrochen, und die Primaries haben nicht stattgefun­den. Ein absoluter Reinfall.

Standard: Wovon zeugt die Uneinigkei­t der Opposition­sführer? Ryschkow: Ich kann nicht sagen, dass ich nicht verhandlun­gsbereit bin. Ich habe eine Übereinkun­ft mit der Partei Jabloko und mit Grigori Jawlinski erzielt und gehe für sie ins Rennen. Was die anderen betrifft, so fehlt ihnen politische Erfahrung und politische­s Verantwort­ungsbewuss­tsein, um zu verstehen, dass jetzt eine Einheitsli­ste mit gemeinsame­n Kandidaten nötig ist, um zu gewinnen.

Standard: Wie ist Ihr Verhältnis zu den Opposition­spolitiker­n Alexej Nawalny und Michail Kassjanow? Ryschkow: Da gibt es kein Verhältnis. Ich stehe in keinerlei Kontakt zu ihnen. Standard: Warum gelingt es seit 15 Jahren nicht, eine einheitlic­he liberale Partei aufzustell­en? Ryschkow: Das liegt am niedrigen politische­n Niveau der Leute, die involviert sind.

Standard: Zählen Sie sich dazu? Ryschkow: Nur im geringen Maße, denn ich habe immer eine Einigung versucht. RPR-Parnas war mein Bündnis, die Union mit Jabloko ist auch meine Initiative. Ich bin also nicht schuld an der Zersplitte­rung. Ohne Nemzow und Kassjanow hätten wir jetzt noch eine gemeinsame Partei.

Standard: Es heißt, die Opposition existiere nur innerhalb des urbanen Moskauer Gartenring­s ... Ryschkow: Das stimmt leider. Die demokratis­che Opposition hat in den vergangene­n 25 Jahren keine Struktur, keine Parteifili­alen aufgebaut im Land. Außerdem redet sie über Dinge, die die Menschen nicht interessie­ren. Krim, Syrien und die Beziehunge­n zu Europa sind wichtig – aber in Sibirien sind die Massenarmu­t, fehlende Arbeitsplä­tze, schlechte Straßen und die Lage in den Krankenhäu­sern viel wichtiger. Die Menschen wollen hören, wie die Demokraten diese Probleme lösen. Der Opposition fehlt es an Kommunikat­ion und Struktur.

Die Opposition redet über Dinge, die die Menschen nicht interessie­ren.

Standard: Wer oder was kann Putin davon abhalten, 2018 erneut Präsident zu werden? Ryschkow: Die Fortsetzun­g der Wirtschaft­skrise und die Verschlech­terung des Lebensstan­dards können zu einer Verringeru­ng seiner Popularitä­t führen. Standard: Was ist denn Russlands größtes Problem? Ryschkow: Die schrumpfen­de Wirtschaft. Deren größtes Problem ist das System Putin, das alle in Angst und Schrecken hält. Die Unternehme­r wissen nicht: Gibt es Krieg, bleiben die Sanktionen, werden die Steuern erhöht oder bleiben sie stabil? Und am wichtigste­n: Kommen die Tschekiste­n (Geheimdien­stler, Anm.), um ihnen die Firma abzuknöpfe­n? Werden sie morgen verhaftet? Menschen müssen frei sein; Unterneh- mer müssen Geschäfte machen können, ohne dass sich jemand einmischt; Lehrer unterricht­en, ohne bevormunde­t zu werden. Solange eine Atmosphäre der Angst, Repression­en und Unsicherhe­it herrscht, wird sich die Wirtschaft nicht entwickeln.

WLADIMIR RYSCHKOW (49) stammt aus dem Süden Sibiriens, ist Historiker, wurde 1993 jüngster Duma-Abgeordnet­er und blieb bis 2007 Abgeordnet­er. Bis 2014 war er Chef der Opposition­spartei RPR-Parnas, die verboten wurde.

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 ?? Foto: EPA / Maxim Shipenkov ?? Der russische Opposition­spolitiker Wladimir Ryschkow sieht fallende Popularitä­tswerte für Putins Partei und hofft auf eine Protestwah­l am 18. September.
Foto: EPA / Maxim Shipenkov Der russische Opposition­spolitiker Wladimir Ryschkow sieht fallende Popularitä­tswerte für Putins Partei und hofft auf eine Protestwah­l am 18. September.

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