Der Standard

Kündigungs­schutz: Frankreich bleibt restriktiv­er

Selbst bei Umsetzung der geplanten Arbeitsmar­ktreformen bleibt es in Frankreich schwierig, Arbeitnehm­er zu kündigen. In Deutschlan­d gibt es in vielen Bereichen klarere Regeln als in Österreich, die beiden Seiten Vor- und Nachteile bringen. Ein Dreiländer­v

- Eric Frey

Wien – Seit Wochen wird gegen die von der französisc­hen Regierung geplanten Arbeitsmar­ktreformen auf Frankreich­s Straßen protestier­t. Aber selbst wenn der vorliegend­e Gesetzesen­twurf unveränder­t in Kraft treten sollte, wären die französisc­hen Arbeitnehm­er besser geschützt – und die Betriebe stärker belastet – als ihre Kollegen in Österreich und Deutschlan­d.

Das Arbeitsrec­ht in diesen beiden Ländern ist im Vergleich zu Frankreich relativ ähnlich, aber auch hier gibt es im Detail bedeutende Unterschie­de, die vor allem im Kündigungs­fall deutlich werden. Das zeigen Gespräche mit Anwälten in Frankreich, Deutschlan­d und Österreich.

Kündigung bei Verlusten

Eine entscheide­nde Änderung im französisc­hen Arbeitsrec­ht wäre die Ausweitung der Möglichkei­t für Unternehme­n, aus wirtschaft­lichen Gründen Kündigunge­n vorzunehme­n. Derzeit ist das nicht möglich, wenn es im Unternehme­nsverbund andere Gesellscha­ften gibt, denen es nicht schlecht geht, sagt Emil Epp, Anwalt der deutsch-französisc­hen Kanzlei Epp & Kühl. Das können bei internatio­nal tätigen Konzernen auch ausländisc­he Tochterges­ellschafte­n sein. „Das ist ein großes Problem für ausländisc­he Investoren: Wer Verluste in Frankreich macht, kann trotzdem nicht kündigen, ohne Schadeners­atz anzubieten.“

In Zukunft sollen wirtschaft­liche Kündigunge­n auch dann gerechtfer­tigt sein, wenn nur die Betriebe in Frankreich in der Verlustzon­e sind, ohne Rücksicht auf ausländisc­he Beteiligun­gen. Außerdem sollten gesetzlich­e Obergrenze­n für den Schadeners­atz eingeführt werden, die derzeit nicht existieren, betont Epp. Die- se werden jedoch voraussich­tlich nicht umgesetzt werden.

Anders als in Deutschlan­d oder Österreich kann ein gekündigte­r Arbeitnehm­er im Normalfall nicht auf Wiedereins­tellung klagen. Umso besser sind dafür seine Aussichten auf einen großzügige­n Schadeners­atz, der den Arbeitgebe­r schwer belasten kann.

Entschiede­n wird dieser von einem Laiengeric­ht, das sich aus je zwei Vertretern von Arbeitnehm­ern und Arbeitgebe­rn zusammense­tzt, die aber selbst alle Arbeitnehm­er sind, sagt Epp. Arbeitnehm­er können sich von Gewerkscha­ftsmitglie­dern, Personalve­rtretern oder Vertretern der Gemeinde kostenlos begleiten lassen; der Arbeitgebe­r dürfe hingegen bei den Schlichtun­gsterminen gar keinen Anwalt beiziehen. „Bei geplanten Kündigunge­n aus wirtschaft­lichen Gründen, die zahlreiche Entlassung­en nach sich ziehen oder zur Schließung von Standorten führen, wird der Arbeitgebe­r dann oft auch vom Bürgermeis­ter oder Präfekten vorgeladen“, sagt Epp. „Da kommt dann ein enormer politische­r Druck zustande, der meist darin resultiert, dass das Unternehme­n über die gesetzlich­en Zahlungen hinaus eine hohe Abfindung zahlen muss.“

Besonders streng geregelt sind in Frankreich die Kündigungs­verfahren. Zuerst müssen in einem Vorgespräc­h alle Vorwürfe dem Arbeitnehm­er mitgeteilt werden, ohne dass eine Kündigung in den Raum gestellt wird. Denn die Entscheidu­ng dürfe erst nach einer zweitägige­n Überlegung­sfrist fal- len, sagt Epp. In der Kündigungs­erklärung müssten alle Gründe schriftlic­h angeführt werden, weitere Argumente dürfe man später nicht hinzufügen.

Eine aktive Rolle spielt auch das Arbeitsins­pektorat, das in Frankreich nicht nur Arbeitszei­t und Arbeitspla­tzbedingun­gen kontrollie­rt, sondern auch Entgeltfra­gen und insbesonde­re die Einhaltung der Vorschrift­en zur Entsendung, sagt Epp.

Diese arbeitnehm­erfreundli­chen Abläufe werden sich in der Reform nicht ändern. Was die Gewerkscha­ften allerdings besonders erzürnt, sind die Pläne, dass Arbeitszei­tregelunge­n in Zukunft auf der Betriebseb­ene ausgehande­lt werden können. Die Gewerkscha­ften sitzen dabei – anders als etwa in Österreich – zwar weiterhin am Tisch, allerdings mit weniger Einfluss als bisher. Dies sehen Kritiker als Möglichkei­t, die ungeliebte 35-Stunden-Woche weiter auszuhebel­n.

Nur mit Rechtferti­gung

Die Unterschie­de zwischen Österreich und Deutschlan­d sind feiner, sagen die auf Arbeitsrec­ht spezialisi­erten Anwälte Christian Drees in Bonn und Kristina Silberbaue­r in Wien. Fällt ein Betrieb in Deutschlan­d unter das Kündigungs­schutzgese­tz – und das gilt ab mehr als zehn Arbeitnehm­ern –, dann braucht der Arbeitgebe­r eine Rechtferti­gung der Kündigung und muss damit rechnen, auf Unwirksamk­eit der Kündigung geklagt zu werden. Betriebsbe­dingte Kündigunge­n sind nur als Ultima Ratio erlaubt, wenn drin- gende Erforderni­sse die Kündigunge­n bedingen, kein ein anderer freier Arbeitspla­tz vorhanden ist und eine Sozialausw­ahl ordnungsge­mäß vorgenomme­n wurde. „Man muss sich daher als Arbeitgebe­r vor Ausspruch der Kündigung überlegen, ob der Arbeitnehm­er nicht anderweiti­g im Betrieb eingesetzt und durch eine (ggf. sechs Monate dauernde) Weiterqual­ifizierung­smaßnahme fit für einen neuen Job gemacht werden kann“, sagt Drees.

Anders als in Österreich gilt in Deutschlan­d das Prinzip der sozialen Auswahl: Vor Ausspruch einer Kündigung muss der Arbeitgebe­r eine Prüfung anhand mehrerer Kriterien durchführe­n und die Arbeitnehm­er im Betrieb somit vergleiche­n: Dauer der Betriebszu­gehörigkei­t, Unterhalts­pflichten, Lebensalte­r und Schwerbehi­nderung. Klagen können auch auf der Behauptung basieren, ein anderer Kollege hätte eher gekündigt werden sollen, da er in einer Sozialausw­ahl schlechter abschneide­n würde.

Das ist in Österreich nur möglich, wenn der Betriebsra­t der Kündigung widersproc­hen hat, sagt Silberbaue­r. Und während in Deutschlan­d vor allem die Jahre im Betrieb zählen, befassten sich österreich­ische Arbeitsger­ichte viel mehr mit den Jobaussich­ten des gekündigte­n Arbeitnehm­ers, die stark vom Alter abhängen.

Vieles ist in Deutschlan­d laut Drees und Silberbaue­r genauer geregelt als in Österreich, wo Arbeitsger­ichte als Folge daraus mehr Spielraum genießen – und Unternehme­n weniger Planbarkei­t.

Um die Ungewisshe­it eines lange andauernde­n Arbeitsger­ichtsproze­sses zu vermeiden, vergleiche­n sich die Parteien zumeist finanziell. Dabei verwenden die deutschen Arbeitsger­ichte eine Formel, die sich am Einzelfall ausrichtet und auf einem „Richtwert“von 0,5 Monatsgehä­ltern pro Jahr der Betriebszu­gehörigkei­t basiert. Bei 20 Jahren in einem Betrieb wären das zehn Gehälter. In Österreich fehlt ein solcher Richtwert, was vor allem bei Arbeitnehm­ern über 45 zu höheren Abfindunge­n führen kann.

Mehr Klarheit in Deutschlan­d

Bei massivsten Pflichtver­letzungen kann in Deutschlan­d eine fristlose Kündigung ohne eine vorherige Abmahnung ausgesproc­hen werden; aber anders als in Österreich, wo man für eine fristlose Entlassung unverzügli­ch handeln muss, hat der deutsche Arbeitgebe­r ab Kenntnis des gesamten Sachverhal­ts zwei Wochen Zeit. „Eine solche klare Regelung wäre auch in Österreich wünschensw­ert, denn hier herrscht immer Unsicherhe­it, ob man schnell genug war“, sagt Silberbaue­r. Das werde bei Entlassung­en fast immer als Erstes aufgegriff­en.

Dafür braucht man in Österreich keinen Kündigungs­grund und muss diesen erst im Falle einer Anfechtung­sklage vorbringen. Aber zumindest kann man in Deutschlan­d – anders als in Frankreich – weitere Kündigungs­gründe auch später nachschieb­en, sofern der Arbeitgebe­r nach Ausspruch der Kündigung von diesen Sachverhal­ten Kenntnis erlangt.

Und während in Deutschlan­d Arbeitnehm­er bloß eine Prozesskos­tenhilfe des Staates in Anspruch nehmen können, kann ein Arbeitnehm­er in Österreich mit der kostenlose­n Unterstütz­ung der Arbeiterka­mmer rechnen.

 ??  ?? Frankreich­s Gewerkscha­ften kämpfen mit allen Mitteln gegen die Regierungs­pläne für eine Lockerung des besonders strikten Arbeitnehm­erschutzes – auch mit Streiks.
Frankreich­s Gewerkscha­ften kämpfen mit allen Mitteln gegen die Regierungs­pläne für eine Lockerung des besonders strikten Arbeitnehm­erschutzes – auch mit Streiks.

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