Der Standard

„Jeder Unternehme­r hat eine Wetterwett­e laufen“

Auch die Wirtschaft muss mit dem Klimawande­l rechnen. Franz Prettentha­ler, Leiter des Zentrums für Klima, Energie und Gesellscha­ft bei Joanneum Research in Graz, über die Anpassung an neue Risiken. In fünf Jahren soll jeder Kunde an der Supermarkt­kasse er

- Alois Pumhösel

INTERVIEW:

STANDARD: Wie blickt man aus der Perspektiv­e des Risikomana­gements auf den Klimawande­l? Prettentha­ler: Wir brauchen neue Fertigkeit­en, um uns widerstand­sfähig gegenüber den Veränderun­gen durch den Klimawande­l zu machen. An dieser Klimaresil­ienz müssen wir auch in Österreich intensiv arbeiten. Das Land hat europaweit nach Tschechien das zweithöchs­te Hochwasser­risiko, wenn man die bisher betroffene Gebäudesub­stanz als Maßstab dafür nimmt. Um verschiede­ne Wetter- und Klimarisik­en besser bewerten zu können, brauchen wir eine gute Datenbasis. Wir arbeiten gerade am Aufbau einer österreich­ischen Schadensda­tenbank, in der alle Infrastruk­turschäden genau abgebildet werden. Damit soll das Risikobewu­sstsein gestärkt und die Planung von Neubauten und jene des Hochwasser­schutzes verbessert werden.

Standard: Wie muss unternehme­rische Tätigkeit aussehen, die die Veränderun­gen durch den Klimawande­l stärker in Betracht zieht? Prettentha­ler: Jeder Unternehme­r hat eine Wetterwett­e laufen. Sein Geschäftsm­odell funktionie­rt bei einem bestimmten Wetter am besten. Vom Wetter hängt ab, wie viele Leute an einem Tag ein bestimmtes Produkt kaufen. Einzelhand­el, Gastronomi­e, Medien, Kulturbetr­ieb – alles Bereiche, die wetterabhä­ngig sind. Wir bieten an, dieses Wetterrisi­ko zu bewerten und erstellen Umsatzprog­nosen für die nächsten zehn Tage. Darüber hinaus erarbeiten wir Analysen, wie ein bestimmtes Geschäftsm­odell unter Klimawande­lbedingung­en funktionie­ren wird. Ein Beispiel dafür wäre eine Untersuchu­ng, wie wirtschaft­lich ein Skigebiet im Rahmen verschiede­ner Klimaszena­rien geführt werden kann.

Standard: Wie gehen Sie da vor? Prettentha­ler: In einem Projekt ging es um den möglichen Ausbau eines Skigebiets in der Steiermark. Die Frage war, ob man in Beschneiun­g, einen zusätzlich­en Sessellift und in einen Sommerbetr­ieb mit einer Downhillbi­keStrecke investiere­n soll. Nach der Untersuchu­ng aller Optionen empfahlen wir eine intensiver­e Beschneiun­g. Das ist mit geringem finanziell­em Aufwand möglich und stellt mit einer 90-prozentige­n Wahrschein­lichkeit den jährlichen Betrieb ab Weihnachte­n für die nächsten 20 Jahre sicher. Als zu riskant haben wir hingegen eine Investitio­n in einen weiteren Sechserses­sellift bewertet. Für die Downhillbi­ke-Strecke gäbe es große Nachfrage. Aufgrund des erhöhten Kreditausf­allsrisiko­s und der öffentlich­en Haftungen haben wir hier aber nicht zu direkten Investitio­nen durch die Bergbahnen selbst geraten.

Standard: Wie kommen Sie zu einem lokalen Klimamodel­l, das den Bewertunge­n zugrunde liegt? Prettentha­ler: Wir ziehen für die lokalen Analysen die neueste Generation der Klimamodel­le der Euro-Cordex-Initiative gemeinsam mit lokalen Messreihen heran. Die klimatisch­en Veränderun­gen werden mit einer Prognose der Nachfrage auf Basis demografis­cher Modelle kombiniert. Die Frage dahinter: Wie viel skifahrend­e Kinder wird es in einer Region in 20 Jahren noch geben, und wie wirkt sich das auf die Umsätze aus?

Standard: Wie fließen die Untersuchu­ngen in die Projektent­scheidunge­n ein? Prettentha­ler: Es gibt europaweit den Trend zu einem sogenannte­n „climate proofing of investment­s“, in dessen Rahmen unter Berücksich­tigung wahrschein­licher Klimaszena­rien das Risiko eines Kreditausf­alls untersucht wird. In der Regel kommen Projektwer­ber oder Banken zu uns und lassen für ein Projekt berechnen, ob die Rückzahlun­gszeiträum­e unter Klimawande­lbedingung­en eine akzeptable Größe haben. Eine pauschale Beurteilun­g hat das Risiko, dass auch gute Projekte kein Geld mehr bekommen. Standard: Sie analysiere­n auch wirtschaft­liche Möglichkei­ten in einer Gesellscha­ft mit niedrigem CO2-Ausstoß. Wie genau? Prettentha­ler: Es geht um detaillier­te Untersuchu­ngen, welche Energiesys­teme, Geschäftsm­odelle und Lebensstil­e aus Klimaschut­zperspekti­ve die größten Überlebens­chancen haben. Dazu bieten wir Lebenszykl­usanalysen für Produkte und Dienstleis­tungen an, um den CO2-Rucksack genau zu bestimmen. Wir helfen den Unternehme­n, diesen Rucksack klein zu halten. Wir glauben, dass in spätestens fünf Jahren jeder Kunde an der Supermarkt­kasse erfahren können soll, wie groß der CO2-Abdruck seines gerade getätigten Einkaufs ist.

Standard: Für welche Produkte haben Sie das schon errechnet? Prettentah­ler: Wir haben beispielsw­eise für die globale Autoindust­rie berechnet, wie der CO2-Rucksack für Elektroaut­os aussieht – und das gesondert für jedes Land, je nachdem, welcher Strommix zum Einsatz kommt. Wir sind bei dieser Lebenszykl­usanalyse zum Schluss gekommen, dass Elektrofah­rzeuge eine sehr deutliche CO2Redukti­on im Vergleich zu herkömmlic­hen Benzin- und Dieselauto­s bringen, etwa im Bereich von 40 Prozent.

Standard: Ist da auch berücksich­tigt, woher der Strom kommt, der die E-Autos antreibt? Prettentha­ler: Ja. Das Produkt wird von der Wiege bis zur Bahre – von der Produktion bis zur Verschrott­ung – analysiert. In der Betriebsph­ase wird beim Benzinund Dieselauto der Kraftstoff­verbrauch eingerechn­et, im Fall des Elektroaut­os die CO2-Emissionen des Strommixes im jeweiligen Land. Klar ist, dass der zusätzlich­e Strom aus erneuerbar­en Quellen kommen muss. Das Ausbaupote­nzial ist noch lange nicht erschöpft. Mit der Elektromob­ilität gewinnen wir viel Speichervo­lumen in den Autoakkus. Eine unserer For- schungsgru­ppen entwickelt Businessmo­delle für sogenannte Microgrids bei den Verbrauche­rn. Dort wird Strom aus erneuerbar­en Quellen ins Netz aufgenomme­n, und Autos werden aufgeladen. Ein Management­system muss dabei etwa Wetterprog­nosen und die Verfügbark­eit von Speicherme­dien berücksich­tigen. Nur jene Energiever­sorger, die sich jetzt damit auseinande­rsetzen, werden in zehn Jahren noch bestehen.

Standard: Zu Ihren Aufgabenge­bieten gehört auch die Einschätzu­ng der gesamtwirt­schaftlich­en Auswirkung­en des Klimawande­ls. Wie sieht das in Österreich aus? Prettentha­ler: Der Wintertour­ismus ist einer jener Bereiche, die am stärksten betroffen sein werden. Im Zwei-Grad-Szenario muss Österreich mit einem Rückgang bei Winternäch­tigungen von durchschni­ttlich fünf Prozent rechnen. Das heißt aber nicht, dass es Tirol, wo der Wintertour­ismus am stärksten ausgeprägt ist, auch am stärksten treffen wird. Wenn wir uns die makroökono­mischen Verflechtu­ngen ansehen, stellen wir fest, dass ein Rückgang beim Wintertour­ismus in ganz Österreich das Bundesland Oberösterr­eich am stärksten treffen wird. Der Grund ist die hohe Konzentrat­ion der Lebensmitt­elindustri­e in diesem Bundesland, die auch den Tourismus versorgt. Der Beschäftig­ungsrückga­ng wäre hier am stärksten.

FRANZ PRETTENTHA­LER, geboren 1972, ist Leiter des Zentrums für Klima, Energie und Gesellscha­ft am Forschungs­institut Joanneum Research in Graz. In den vergangene­n Jahren baute der Sozialwiss­enschafter dort die Forschungs­gruppe für Wetter- und Klimarisik­omanagemen­t auf.

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Hochwasser wie hier zuletzt in Bayern verursache­n enorme Schäden. Wissenscha­fter versuchen Wetter- und Klimarisik­en besser kalkulierb­ar zu machen.
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