Der Standard

In luftiger Höhe durch die Smart Megacity

Große Millionens­tädte leiden besonders am überborden­den Individual­verkehr. An der TU Graz wurde ein neuartiges Verkehrsko­nzept speziell für diese urbanen Räume erarbeitet, das individuel­le und öffentlich­e Verkehrsfl­üsse zusammenfü­hrt.

- Alois Pumhösel

Graz – Täglich grüßt der Verkehrsko­llaps: Die vielspurig­en Straßen der Megacitys weltweit sind geprägt von Staus und Smog, verursacht von meist noch fossil betriebene­m Individual­verkehr. Der teure Bau von Bahnsystem­en, oberund unterhalb der Erde, reicht oft nicht aus, die voller werdenden Straßen nachhaltig zu entlasten. Wäre es da nicht besser, Fahrbahnen nicht nur mehrspurig, sondern auch mehrstufig zu machen und über der Fahrbahn sozusagen einen ersten und zweiten Straßensto­ck einzuziehe­n?

Im Projekt Quickway, einem in Graz erdachten Verkehrsko­nzept für Megastädte, wird diese Frage mit Ja beantworte­t. Nicht aber, um den Benzinkaro­ssen noch mehr Platz zu geben. Der Stadtverke­hr wird in dem System grundsätzl­ich neu gedacht und das Ineinander­greifen von Individual- und öffentlich­em Verkehr forciert. Dem noch andauernde­n Übergang von fossilen zu elektrisch­en Antrieben wird Rechnung getragen. Neue Technologi­en koordinier­en die Verkehrsst­röme der autonomen Fahrzeuge und machen eine Millionens­tadt zur Smart Megacity.

Das grundlegen­de Arrangemen­t: Auf den bisherigen Straßen, Ebene 0, fahren auf separaten Fahrbahnen nur noch Schwerverk­ehr und einspurige Verkehrsmi­ttel. Kleintrans­porter und öffentlich­er wie privater Personentr­ansport werden in die oberen Stockwerke verbannt. Auf den Hochfahrwe­gen, Ebene 1 und 2, bringen selbstfahr­ende, zentral koordinier­te Autos und Busse alle Passagiere schnellstm­öglich an ihr jeweiliges Ziel.

Die Voraussetz­ung für die schlanken Fahrwege in luftiger Höhe schafft dabei ein spezieller Beton. „Der Bau der Hochfahrwe­ge wird durch die Nutzung von Ultrahochf­estem Beton (UHPC) möglich“, erklärt Bernhard Freytag vom Labor für Konstrukti­ven Ingenieurb­au der TU Graz. Das von der Förderagen­tur FFG unterstütz­te Projekt wurde gemeinsam mit weiteren Instituten der TU sowie Wirtschaft­spartnern erarbeitet. Die Idee geht auf den mittlerwei­le emeritiert­en Professor Lutz Sparowitz vom Institut für Betonbau zurück.

Der Baustoff, der durch einen geringeren Wasser- und Porenantei­l und eine neuartige Struktur der Feinstpart­ikel im Beton eine viel höhere Dauerhafti­gkeit und Druckfesti­gkeit erreicht, lässt viel schlankere und dennoch stabile Konstrukti­onen zu, was in Österreich bereits mit einer Straßenbrü­cke in Völkermark­t in Kärnten demonstrie­rt wurde, erläutert Freytag. Im Rahmen von Quickway entwickelt­en die Betonforsc­her an die 70 unterschie­dliche Elemente für die Hochfahrwe­ge, die jede Trassenfüh­rung möglich machen.

Alternativ­e zur U-Bahn

Mithilfe von Stahlseile­n werden die Module ohne Mörtel oder Steckverbi­ndungen zusammenge­spannt. Nur alle 40 Meter sei eine Stütze notwendig. „Gerade im Vergleich zum U-Bahn-Bau kann dieses System viel schneller gebaut und erweitert werden. Bis zu einem Kilometer täglich sind möglich“, sagt Freytag. Die einspurige­n Einbahnen, die die Straßenzüg­e überspanne­n, teilen sich an den Kreuzungen, um mittels Über- und Unterführu­ngen das Abbiegen zu ermögliche­n. Die Richtung der Einbahnen ändert sich von Straßenzug zu Straßenzug.

„Das Konzept ist für Elektrofah­rzeuge entwickelt, der Übergang kann aber fließend sein“, so der Wissenscha­fter. Energie sollen Solarpanee­le sammeln, die in die Fahrbahnüb­erdachunge­n integriert und lichtdurch­lässig sind, um die Straßenzüg­e nicht zu verdunkeln. Zur Zwischensp­eicherung soll die Energie in Wasserstof­f umgewandel­t werden.

Die selbstfahr­enden Autos der Zukunft werden auf den neuen Fahrbahnen unterforde­rt sein – bei maximal 80 km/h müssen sie lediglich zu den Seitenränd­ern und zu den Verkehrste­ilnehmern vorn und hinten Abstand halten. „Es gibt viel weniger Ereignisse, auf die sie reagieren müssen, auch keine Fußgänger“, sagt Freytag. Konvention­elle Autos müssten mit Sensorik und Steuerungs­technik nachgerüst­et werden.

Vor der Fahrt loggen sich die Fahrer dann in ein zentrales Navigation­ssystem ein, das laufend die beste Route für alle Teilnehmer berechnet. „Für den einzelnen Teilnehmer kann sich während der Fahrt auch die Route ändern“, so der Forscher. Benutzer öffentlich­er Verkehrsmi­ttel teilen per App ihren Zielort mit und werden je nach Ziel auf kleinere, busartige Gefährte aufgeteilt, die sie an ihrem Bestimmung­sort absetzen, ohne eine gleichblei­bende Route abzufahren. Freytag: „Die Navigation­sserver optimieren den Verkehrsfl­uss der ganzen Stadt. Das heißt auch, dass die Passagiere schon einem idealen Fahrzeug zugewiesen werden.“

Machbarkei­t bewiesen

Das dreijährig­e Projekt geht im laufenden Jahr zu Ende. „Dann ist alles so weit gediehen, dass man sich über ein Pilotproje­kt drübertrau­en kann“, so der Forscher. Die gesamte technische Machbarkei­t ist bewiesen und ein Fertigungs­konzept getestet, bei dem mit Stahlfaser­n versetzter UHPC in kostengüns­tigen Schalungen zum Einsatz kommt. Ein Nachfolgep­rojekt könnte sich mit Verkehrsfl­ussoptimie­rung beschäftig­en.

Was noch fehlt, ist eine Stadt, in der sich ein Pilotproje­kt umsetzen ließe. Das Problem dabei: „Um die Leistungsf­ähigkeit erproben zu können, braucht es tatsächlic­h eine ganze Stadt. Eine kurze Teststreck­e reicht da nicht“, betont Freytag. Als Teststadt für die Simulation­en diente Singapur. Dort laufen zudem Studien, ob diese Verkehrsre­volution auch in der Bevölkerun­g auf Akzeptanz stoßen würde.

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Den Verkehr in großen Städten auf völlig neue Beine stellen: Das ist die Vision von tragfähige­n Bahnen über den Straßen, die im Projekt Quickway entwickelt werden.

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