Der Standard

Ornament, das Schatten wirft

Kunst im öffentlich­en Raum von Nevin Aladag auf dem Wiener Graben: Heimischer Stein und orientalis­che Muster

- Anne Katrin Feßler

Wien – Der Wind spielt auf einer Triangel im Baum. Das Vor- und Zurückwipp­en eines Spielplatz­Schaukelpf­erdchens bringt das um seinen Hals gelegte Tambourin zum Klingen. Die Schwerkraf­t entlockt einer Ziehharmon­ika ein letztes Stöhnen.

Die Stadt als Orchester: So poetisch, aber auch mit Sinn für Hu- mor hat Nevin Aladag ihre Heimatstad­t Stuttgart 2015 im Projekt Traces porträtier­t. Bereits 2013 hatte sie in der Stadt Sharjah in den Arabischen Emiraten Wüste und Landschaft zu Musikern werden lassen: Sie hatte Perkussion­sinstrumen­te der irakischen, iranischen, indischen oder pakistanis­chen Arbeitsmig­ranten zum Tönen gebracht. Oder 2014: Da ließ sie auf der Insel Samos, noch be- vor die Flüchtling­skrise bestimmend wurde, in der Audioarbei­t High Season Samos die Stimmung plötzlich kippen: Aus Kinderlach­en und Ballspiel wurde das Grollen eines von Wellen umspielten Bootes.

Es sind Erfahrungs­räume, die Nevin Aladag schafft. Oft arbeitet sie dabei mit Musik, die in ihrer 1973 von der Türkei nach Deutschlan­d emigrierte­n Familie eine große Rolle gespielt hat. Musik versteht Aladag seitdem als zusätzlich­e Sprache. Man hätte also für ihre letzten Freitag eröffnete Arbeit im öffentlich­en Raum Wiens, am so genannten Kunstplatz Graben, mit einer akustische­n Interventi­on gerechnet.

Aber bei aller Liebe zur Musik ist die 1972 Geborene, der im Herbst im Lentos in Linz eine Personale gewidmet ist, Bildhaueri­n. Obendrein herrsche am Graben sowieso schon eine „Kakofonie“, erklärt sie dem STANDARD. „Mein Zugang zur Musik ist stiller, auch experiment­eller, das wäre schwierig gewesen, hier umzusetzen.“

Geworden ist es ein Spiel mit Licht und Schatten – auch im metaphoris­chen Sinn: Sie hat Paravents aufgestell­t, die in ihren ornamental­en Mustern leise an die Maschrabiy­yas, Ornamentwä­nde und Holzgitter aus dem arabischen Raum, erinnern. Deren Filigranit­ät hat sie aber bewusst in etwas Massives übersetzt, das mit der Idee des vermeintli­ch Schutzgebe­nden spielt.

Auch tarnen sich die semitransp­arenten Objekte, passen sich an, ist ihr Ornament doch aus dem Material des Pflasters – Waldviertl­er Granit, aber auch Rauriser Marmor – gefertigt. Einen Moment der „Mimikry“nennt das Aladag, deren Arbeiten auch als aktive Handlungso­rte zu verstehen sind. Und so fordern die Paravents Screen I-III nicht nur räumlich dazu auf, Position zu beziehen: Orientalis­che Bezüge sind in der europäisch­en Architektu­r seit Jahrhunder­ten vorhanden, so die Künstlerin, die etwa anregen will, über die gemeinsame Geschichte nachzudenk­en, über das, was verbindet und darüber, was die Angst vor dem Islam eigentlich ist.

Bleibt zu hoffen, dass ihr Impuls zum interkultu­rellen Dialog im Konsumgewu­sel am Graben aufgegriff­en wird. Bis 30. 10.

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Installati­on von Nevin Aladag auf dem Graben: „Screen I–III“(2016).

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