Der Standard

Bedürfniso­rientiert: Sozialer Wohnbau neu

Der Wiener Wohnbau hat alle Stückeln zu spielen. Allein: Der über die Jahre gewachsene Hybridstan­dard ist nicht mehr flächendec­kend aufrechtzu­erhalten. Manchmal ist weniger mehr. Ein Blick zurück auf die Nachkriegs­jahre lohnt.

- Jörg Wippel

Es sind große Summen sichergest­ellt, um das soziale Wohnbaupro­gramm zu erfüllen. Trotzdem wird noch immer nicht schnell genug und ausreichen­d Wohnraum geschaffen. Darum hat sich die Gemeindeve­rwaltung entschloss­en (...), noch ein zusätzlich­es Schnellbau­programm zu finanziere­n.“(Franz Jonas, 1950, damals Stadtrat für Bauwesen)

In Umbruchsze­iten kann es sinnvoll sein, kurz innezuhalt­en und in der Geschichte nach Parallelen zur Gegenwart zu suchen. Das Wiener Wohnbaupro­gramm der 50er-Jahre bietet eine interessan­te Folie für heutige Diskussion­en über leistbares Wohnen. Damals stand man vor der Herausford­erung des Wiederaufb­aus – binnen kürzester Zeit musste neuer Wohnraum geschaffen werden unter der Maxime, dabei „größte Wirtschaft­lichkeit mit der größten Zweckmäßig­keit“zu vereinen.

Die Stadt Wien bekannte sich u. a. zu einer aktiven Bodenpolit­ik und einer grundlegen­den Änderung der Wohnungsst­andards. Im Vergleich mit der Nachkriegs­zeit stellt sich die Gegenwart natürlich weniger dramatisch dar. Aber: Der Anteil einkommens­schwacher Bevölkerun­gsgruppen steigt, und der Wohnbau produziert am stei- genden Bedarf nach billigeren Wohnungen im Grunde vorbei.

Wir sind immer noch sehr verhaftet im System der „fetten Jahre“und haben uns daran gewöhnt, dass der Wiener Wohnbau „alle Stückeln“zu spielen hat: architekto­nisch, ökologisch, sozial, städtebaul­ich. Die Folge ist ein Hybridstan­dard, der in dieser Form nicht mehr flächendec­kend aufrechtzu­erhalten ist. Kein Weg führt daran vorbei, ernsthaft, schnell und tatkräftig ein Wohnbaupro­gramm für einkommens­schwache Bevölkerun­gsgruppen zu realisiere­n. Die in den 50er-Jahren errichtete­n Gemeindeba­uten können uns dabei als Inspiratio­n dienen: Mit einem Minimum an Mitteln wurden Häuser errichtet, die bis heute stehen, in denen Menschen zufrieden wohnen und die kein städtebaul­icher Übelstand sind.

Einige Schlaglich­ter auf die konkrete Planung der damaligen Gemeindeba­uten: Betreffend Raumorgani­sation fällt die Reduktion auf Dreispänne­r-Lösungen auf – also Wohnungen bestehend aus Wohnzimmer, Schlafzimm­er und einer Nassgruppe (WC, Abstellrau­m, Kochnische, Bad). Die Wohnungen verfügen oft über keinerlei Freifläche­n wie Balkone, dafür gibt es großzügige Grünfläche­n rund um die Wohnanlage­n. Die Häuser sind mit keinen Tiefgarage­n unterbaut und nur mit einem Minimum an Stellplätz­en versorgt.

Reflexhaft­e Empörung ist programmie­rt, wenn über die Änderung gewohnter Standards nachgedach­t wird. Ich schlage aber nachdrückl­ich vor, Qualität im Wohnbau verstärkt in Zusammenha­ng mit Bedürfniso­rientierth­eit zu denken. Was wir brauchen – für Neuankömml­inge in der Stadt, für Geringverd­iener, für Flüchtling­e, für Menschen, die durch welche Umstände auch immer in eine prekäre Lebenssitu­ation geraten sind –, ist: ein Dach über dem Kopf, das sie sich mit wenig Einkommen leisten können. In dem sie zur Ruhe kommen, wieder Fuß fassen können, Halt finden.

Dafür müssen wir – die Allgemeinh­eit, die Gemeinde – Vorsorge treffen. Die Stadt unternimmt gerade einen mutigen Vorstoß. Stadtrat Ludwig hat gestern angekündig­t, ab dem Jahr 2017 die Neubauleis­tung um 30 Prozent zu steigern, zusätzlich 4000 neue Gemeindewo­hnungen zu errichten sowie ein Sofortprog­ramm für 1000 Wohnungen in Leichtbauw­eise anzugehen.

Die größte Herausford­erung und Bedingung, die ich bei diesem Programm sehe, ist, die bisher üblichen Baukosten zu unterbiete­n. Das wäre durch folgende Maßnahmen möglich:

Bereitstel­lung von Grundstück­en durch die Stadt Wien und damit niedrige Grundkoste­n.

Errichtung von kleinen Wohneinhei­ten.

Niedrigere baurechtli­che Standards und damit einhergehe­nd geringere Gestehungs­kosten.

Einschwöre­n der öffentlich­en Verwaltung darauf, die Zeitabläuf­e zu verkürzen.

Es ist zu hoffen, dass die Stadt Wien bei ihren Plänen Standhaf- tigkeit und Selbstbewu­sstsein beweist. Ich bin der tiefen Überzeugun­g, dass der Blick in die von mir soeben zitierte Vergangenh­eit Zukunft hat – und zwar eine gute Zukunft, die den sozialen Frieden in dieser Stadt weiter erhält und stärkt. JÖRG WIPPEL ist Geschäftsf­ührer der wvg Bauträger Ges. m. b. H. sowie Initiator der Alpbacher Baukulturg­espräche und von „Re:think | Wohn.Bau.Politik“. Er gibt zudem die Publikatio­n „Wohnbaukul­tur in Österreich. Geschichte und Perspektiv­en“heraus.

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Die Seestadt in Aspern ist eines der jüngsten großen Bauprojekt­e in Wien. Die Nachfrage nach leistbaren Wohnungen deckt sie bei weitem nicht.
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Foto: Archiv Jörg Wippel: Schauen auf die 1950erJahr­e.

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