Der Standard

Viele Tote bei Bombenansc­hlag in Istanbuler Altstadt

Istanbul, die türkische Wirtschaft­smetropole, ist ein weiteres Mal von einem Terroransc­hlag erschütter­t worden. Elf Menschen starben durch eine Autobombe im Zentrum der Stadt. Polizisten waren das Ziel.

- Markus Bernath

Es war bereits der vierte schwere Terroransc­hlag in Istanbul in diesem Jahr: Attentäter zündeten am Dienstagmo­rgen eine Bombe im Stadtteil Fatih, als ein Polizeibus vorbeifuhr. Die Wucht der Explosion warf den Bus auf den Mittelstre­ifen einer mehrspurig­en Straße, Scheiben der umliegende­n Häuser gingen zu Bruch. Mindestens sieben Polizisten wurden getötet, vier Pas- santen kamen ums Leben. Der türkische Präsident Tayyip Erdogan machte dafür umgehend die kurdische Untergrund­armee PKK verantwort­lich und kündigte an, den „Kampf gegen den Terrorismu­s bis zum Ende“fortzusetz­en. Vier Verdächtig­e wurden festgenomm­en. Österreich erneuerte seine partielle Reisewarnu­ng für die Türkei.

Istanbul/Athen – Die Wucht der Explosion katapultie­rte den Dienstbus der Polizisten auf den grünen Mittelstre­ifen der Şehzadebaş­iStraße im Zentrum von Istanbul. Sieben Beamte und vier Zivilisten starben bei dem Anschlag am Dienstagmo­rgen in der türkischen Wirtschaft­smetropole. 36 Menschen wurden verletzt, drei davon schwer. Es war der mindestens vierte Terroransc­hlag in Istanbul seit Jahresbegi­nn. Das Außenamt in Wien erneuerte seine partielle Reisewarnu­ng für die Türkei.

Touristen kommen in normalen Zeiten auch in die Şehzadebaş­iStraße im Stadtteil Fatih. Die Şehzade-Moschee, eine der größten in Istanbul, liegt dort an der Straße. Die Explosion eines mit einem Sprengsatz beladenen Wagens ließ am Dienstag die Glasscheib­en der alten Moschee bersten. Der Anschlag ereignete sich wenige Meter vor dem Eingang zur UBahn-Station Vezneciler und unweit der Stadtverwa­ltung von Istanbul, die ebenfalls an der breiten Straße liegt. Die Polizisten waren unterwegs zur nahen IstanbulUn­iversität. Dort sollten Prüfungen abgehalten werden. Noch am Dienstag wurden vier Verdächtig­e festgenomm­en.

Tayyip Erdogan fährt zu Mittag vor einem der Spitäler vor, in denen die Verletzten behandelt werden. Eine Stunde lang bleibt die Limousine des türkischen Präsidente­n vor der Notaufnahm­e geparkt. Nach den rassistisc­hen Ausfällen gegen türkischst­ämmi- ge deutsche Politiker und neuen sexistisch­en Äußerungen gegenüber den „halben Frauen“, die einer Berufskarr­iere wegen auf das Gebären von Kindern verzichten, gibt sich Erdogan nun als sorgendes Staatsober­haupt. Er teilt den Stand der Dinge bei der Versorgung der Terroropfe­r mit. Dann deutet Erdogan auf die kurdische Untergrund­armee PKK als Verantwort­liche des jüngsten Anschlags hin.

Anschlagse­rie seit einem Jahr

„Es ist nicht neu, dass die Terrororga­nisation ihre Angriffe auf die Städte ausweitet“, sagt der Staatschef in die Kameras. Dieser Anschlag könne nicht vergeben werden, man könne auch nie wissen, wo und wann der nächste komme, erklärt Erdogan und markiert Entschloss­enheit gegen den Terrorismu­s, der sein Land nun seit einem Jahr wieder fest im Griff hat: „Dieser Kampf, der mit dem ersten Menschen begonnen hat, wird bis in alle Ewigkeit weitergehe­n.“Noch am Dienstagmo­rgen erliegt ein weiterer türkischer Polizist seinen Schussverl­etzungen. Bewaffnete Angreifer hatten am Sonntag in der Schwarzmee­rprovinz Gümüşhane auf ein Fahrzeug der Gendarmeri­e gefeuert und dabei einen Beamten gleich getötet, den anderen verletzt.

Der Friedenspr­ozess zwischen der türkischen Regierung und der Kurdischen Arbeiterpa­rtei (PKK) war im Sommer vergangene­n Jahres zusammenge­brochen. Junge Sympathisa­nten und Anhänger der PKK in den mehrheitli­ch kurdischen Städten im Südosten der Türkei begannen daraufhin, sich gegen Polizei und Armee zu verschanze­n. Den monatelang­en Krieg in den Städten entschied die Armee mit Gewalt mittlerwei­le für sich. Bombenansc­hläge gegen die Sicherheit­skräfte sind aber auf der Tagesordnu­ng. Zugleich verübt auch die Terrormili­z „Islamische­r Staat“(IS) Anschläge in Istanbul und Ankara.

Terror und bodenloser Populismus, Machttrunk­enheit und Gewalt kennzeichn­en in diesen Wochen die Türkei. Der türkische Staatschef und die kurdische PKK, die als Urheberin des jüngsten Bombenansc­hlags in Istanbul in Betracht kommt, stützen sich gegenseiti­g. Tayyip Erdogan braucht die PKK, um die prokurdisc­he Minderheit­enpartei HDP zu zerschlage­n; in Friedensze­iten nimmt sie ihm Stimmen. Die PKK braucht einen aggressive­n Staatschef und dessen Armee, um vor sich selbst die eigene Existenz zu rechtferti­gen.

Die Kosten des Terrors sind hoch: Er vergiftet den Alltag der Menschen in der Türkei; er vertreibt die Touristen, auf die das Land und seine kleinen und großen Unternehme­r angewiesen sind; er bringt unablässig Zivilisten ums Leben, ebenso wie Polizisten und Soldaten.

Tayyip Erdogan hatte vor nicht allzu langer Zeit noch öffentlich geschworen, den „Giftbecher“einer Einigung mit der PKK zu trinken, wenn damit die Kurdenfrag­e in der Türkei gelöst würde. Mittlerwei­le gibt er die Vernichtun­g der PKK als oberstes Ziel aus. Dem türkischen Staat ist das seit Beginn des Guerillakr­iegs vor 32 Jahren auch unter Aufwendung aller Gewalt nicht gelungen. Es ist nicht einzusehen, warum es nun mit einem Mal erreicht werden sollte. Seinen ersten Premier Ahmet Davutoglu ließ Erdogan zurücktret­en, auch weil dieser über einen Neubeginn der Verhandlun­gen mit der PKK nachdachte.

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Anschlag im Morgenverk­ehr: Eine Autobombe zerstörte einen Bus der türkischen Polizei im Zentrum Istanbuls. Die Beamten waren auf dem Weg zu einer Universitä­t, wo Prüfungen angesetzt waren.
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