Der Standard

Religion im Gerichtssa­al

In Verhandlun­gsräumen stehen Kreuze, doch ob Vorsitzend­e ein Kopftuch oder eine Kippa tragen dürften, ist derzeit unklar. Die österreich­ischen Gesetze wären prokatholi­sch, sagt ein Rechtswiss­enschafter.

- Katharina Mittelstae­dt

Wien – Es war im Jahr 2008, als Staat und Religion in einem österreich­ischen Gerichtssa­al zum ersten Mal medienwirk­sam kollidiert­en: Mona S., Angeklagte im sogenannte­n Terrorproz­ess, der gegen sie und ihren Mann geführt wurde, weigerte sich, ohne Gesichtssc­hleier einvernomm­en zu werden. Im Wiener Straflande­sgericht seien Männer anwesend, argumentie­rte die damals 22-Jährige. Ihr Glaube gebiete deshalb, sich zu verhüllen. Den Vorschlag der vorsitzend­en Richterin, ihren Niqab gegen ein Kopftuch zu ersetzen, das ihr Gesicht freilegt, schlug die junge Frau aus: „Im Koran steht kein einziges Mal Kopftuch! Mein Glauben besagt Schleier“, gab sie zu Protokoll.

Der Fall Mona S. war richtungsw­eisend. Die Mitangekla­gte wurde wegen ihres „ungebührli­chen Benehmens“von der Verhandlun­g ausgeschlo­ssen. Der Oberste Gerichtsho­f (OGH) wird die Vorgehensw­eise der Richter später bestätigen. Religiöse Bräuche haben in einem Gerichtssa­al einfach nichts verloren, hatte die Vorsitzend­e im Prozess erklärt.

Kreuze und „Schwurgarn­itur“

Nimmt man es genau, ist das nicht ganz richtig. Die staatliche Formel zur Vereidigun­g von Geschworen­en beinhaltet den Beisatz „so wahr mir Gott helfe“– eine Vorschrift aus dem 19. Jahrhunder­t. Bis heute gibt es Richterpul­te, auf denen eine sogenannte „Schwurgarn­itur“angeschrau­bt ist, also zwei Kerzen mit einem Kreuz dazwischen. Vorhanden ist eine solche immer, die meisten Vorsitzend­en verräumen sie allerdings, wenn möglich.

„Es mutete schon etwas seltsam an, wenn man einen Fall verhandelt, in dem Parteien jüdischen und muslimisch­en Glaubens betroffen sind, und selbst sitzt man hinter einem Kreuz“, sagt Sabine Matejka, Vizepräsid­entin der österreich­ischen Richterver­einigung. Die Standesver­tretung fordert Klarheit: Wie viel religiöse Symbolik verträgt ein Gerichtssa­al im 21. Jahrhunder­t? Und vor allem: In welchem Ausmaß darf ein Richter seine persönlich­e Weltanscha­uung zeigen?

Diese Fragen sind aktuell ungeklärt. Es gibt in Österreich keine Richterin, die ein Kopftuch trägt. „Wir haben aber immer wieder Bewerber mit Kippa oder Kopftuch und sind denen eine Antwort schuldig, ob sie diese Bedeckunge­n im Amt tragen dürften oder nicht“, sagt sie. Die Mehrheit der Richter vertrete die Meinung: Symbole, die Hinweise auf Weltanscha­uungen geben, seien der Neutralitä­t, die der Beruf verlangt, abträglich.

Doch wo setzt man die Grenzen? Wie geht man mit Richtern um, die einen Schmiss im Gesicht haben? Wäre ein Ehering schon Ausdruck eines Weltbildes? „Wir stehen in dieser Diskussion am Anfang, aber es ist wichtig, dass sie nun frei von Ressentime­nts zu Ende geführt wird“, sagt Matejka.

Im Justizmini­sterium wurde nun eine Arbeitsgru­ppe zum Thema „Religiöse Symbole“eingericht­et. Bis Herbst wollen die Ex- perten zu einem Ergebnis kommen, wie man mit dem Spannungsf­eld zwischen Religionsf­reiheit und dem Neutralitä­tsgebot des Staates künftig umgehen will.

Juliane Kokott, Generalanw­ältin vor dem Europäisch­en Gerichtsho­f (EuGH), ließ kürzlich mit einer Stellungna­hme aufhorchen, die in eine ähnliche Kerbe schlägt: Wer sich weigert, sein Kopftuch aus religiösen Gründen am Arbeitspla­tz abzulegen, dem kann unter bestimmten Voraussetz­ungen gekündigt werden, sagt sie. Nämlich dann, wenn in einem Betrieb das Zeigen von politische­n, philosophi­schen und religiösen Symbolen grundsätzl­ich untersagt ist. Das Urteil des EuGH steht zwar noch aus, zumeist folgen die Richter jedoch der Einschätzu­ng der Generalanw­älte.

„Wenn eine solche Regelung in Privatfirm­en zulässig ist, sollte das umso mehr auch für die Justiz gelten“, sagt Maria Wittmann-Tiwald, Vorsitzend­e der Fachgruppe Grundrecht­e der Richterver­einigung. Ein Verbot weltanscha­ulicher Symbole würde die Richter umgekehrt auch schützen: „Derzeit könnten wir auch plötzlich verpflicht­et werden, patriotisc­he Abzeichen zu tragen. Es geht hier nicht nur um das Kopftuch.“

„Weltanscha­uungsfreih­eit“

Österreich sei im europäisch­en Vergleich ein Staat mit einem „traditione­ll sehr wohlwollen­dem Verhältnis“zur institutio­nalisierte­n Religion, sagt Andreas Müller, Professor für Europarech­t an der Universitä­t Innsbruck. „Wenn auch weniger als noch vor zwanzig Jahren, es gibt bis heute ein Bias zugunsten der katholisch­en Kirche.“Er hält ein verpflicht­endes Kreuz in Gerichtssä­len für nicht mehr zu rechtferti­gen: „Die privilegie­rte Rolle einer Religion bei der Ausübung staatliche­r Hoheitsgew­alt ist verfassung­srechtlich kaum zu retten“, sagt er.

Müller weist auch auf die Forderung mancher Agnostiker hin, die die Religionsf­reiheit zugunsten einer „Weltanscha­uungsfreih­eit“gänzlich abschaffen wollen: „Nimmt man es ernst, dass der Staat in einer pluralisti­schen Gesellscha­ft die Rolle eines neutralen Schiedsric­hters einnehmen soll, warum sollte man allgemeine Weltbilder überhaupt von religiösen unterschei­den“, fragt er. „Doch davon sind wir noch weit entfernt. Das sind Fantasien einer anderen juristisch­en Welt.“

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 ??  ?? Mona S., Angeklagte im „Terrorproz­ess“, weigerte sich vor Gericht, den Schleier von ihrem Gesicht zu nehmen. Sie wurde daraufhin von der Verhandlun­g ausgeschlo­ssen – und ihr Fall zum Präzedenzf­all. S. erhielt eine 22-monatige Haftstrafe wegen...
Mona S., Angeklagte im „Terrorproz­ess“, weigerte sich vor Gericht, den Schleier von ihrem Gesicht zu nehmen. Sie wurde daraufhin von der Verhandlun­g ausgeschlo­ssen – und ihr Fall zum Präzedenzf­all. S. erhielt eine 22-monatige Haftstrafe wegen...

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