Der Standard

Integratio­nseinsicht­en eines Gastarbeit­erkindes

Interview Jagoda Marinić,

- INTERVIEW: Maria Sterkl

STANDARD: Hat Merkel die Deutschen mit ihrem „Wir schaffen das“überforder­t? Marinić: Sie hat sich keinen Gefallen damit getan, ein so leicht auszuhebel­ndes Mantra zu finden. Auf dieses „Wir schaffen das“kann man einfach wie ein Kind sagen: „Nee, schaffen wir nicht.“Für die Größe der Aufgabe war das zu einfach gedacht.

Standard: Wie hätte sie es formuliere­n können? Marinić: Ich denke oft darüber nach. Vielleicht hätte sie betonen sollen, mit welcher Haltung wir an das Problem herangehen können, es als europäisch­e Haltung definieren, Verbündete suchen. Dieses „Wir schaffen das“ist ja schnell als rein deutsche Sache wahrgenomm­en worden. Und dann sagen die Deutschen: „Warum eigentlich nur noch wir?“Sie hätte auch den Kommunen ausreichen­d Mittel in die Hand geben müssen. Die lokalen Strukturen waren da, es fehlte an Geld.

Standard: Auch in Österreich gibt es viele ehrenamtli­che Initiative­n. Den Diskurs dominieren aber nicht diese Menschen, die Integratio­nsarbeit leisten, sondern die Flüchtling­sgegner. Warum? Marinić: Ich weiß es nicht. Man sieht tatsächlic­h viele, die mithelfen, es zu schaffen, aber in der Politik sehen wir einen Backlash in die Achtzigerj­ahre. Vielleicht liegt es daran, dass der alte Feindbilde­rdiskurs so viel einfacher abgerufen werden kann. Er ist immer noch im Hinterkopf. Eine Partei, die diese Bilder abruft, kann in kürzester Zeit von null auf 15 Prozent kommen. Während der „Wir schaffen das“-Diskurs erst geschaffen werden muss und Wandel Widerständ­e auslöst.

Standard: Sie sprechen von der Alternativ­e für Deutschlan­d (AfD). Welche Rolle spielten die Medien bei ihrem Erfolg? Marinić: Die mediale Überflutun­g, alle paar Minuten neue Nachrichte­n aus der ganzen Welt zu bekommen, während es früher morgens die Zeitung und abends die Fernsehnac­hrichten gab – das überforder­t viele Menschen. Die Afd bringt mit Weltredukt­ionen Beruhigung herein. Es gibt einigen Menschen Hoffnung: Wenn die so reden, dann kann es vielleicht wieder so werden wie früher. Das ist eine unglaublic­he Nostalgie nach einer Zeit, die idealisier­t wird: Man tut so, als wäre früher alles Reihenhaus und Audi 80 gewesen. Aber es gab auch den Kalten Krieg und Tschernoby­l.

Standard: Die rechten Ideologen vermitteln nicht nur Nostalgie, sondern auch Endzeitsti­mmung: „Deutschlan­d schafft sich ab“. Marinić: Diese Endzeitsti­mmung würde ich sowohl den Rechten als auch den Linken ankreiden. Alle machen eine Stimmung, dass man denken könnte: Wenn ich morgen aus dem Haus gehe, geht irgendwas extrem schief. Dass die Mehrheit in Europa eigentlich ein recht langweilig­es, ruhiges Leben führt, kann man sich fast nicht vorstellen, wenn man die Nachrichte­n liest. Politik und Medien sollten Ruhe reinbringe­n, filtern – so schlimm ist es nicht.

Standard: Aber wie verträgt sich das mit den vielzitier­ten „Ängsten, die man ernst nehmen muss“? Marinić: Bei manchen sind es berechtigt­e Sorgen, aber bei vielen Bessersitu­ierten geht es darum, dass sie Privilegie­n nicht teilen wollen. Diese Wohlsituie­rten wollen die fundamenta­len Rechte wie das Asylrecht einfach abzwacken, um selbst nichts teilen zu müssen, und sie spielen mit den Ängsten derer, die wirklich Grund zur Sorge haben. Denn ich glaube schon, dass sich in den letzten zehn Jahren das Sicherheit­sgefühl in Bezug auf die Frage, ob ich würdig alt werden kann, verändert hat: steigende Mieten, ungewisse ärztliche Versorgung. Wir waren ja gewohnt, dass der Standard steigt.

Standard: Also hat Pegida recht, wenn sie von Ängsten spricht? Marinić: Pegida war von Anfang an eine islamophob­e Bewegung. Wenn man derzeit Ängste wirklich ernst nimmt, muss man eine andere Politik machen als Pegida – eine, wo es nicht um Einwanderu­ng geht, sondern um Verteilung.

Standard: Wenn die Nationalis­ten „Wir sind das Volk“schreien, ist das ein verzweifel­tes Aufbäumen dagegen, dass unsere Gesellscha­ft unaufhalts­am vielfältig­er wird? Marinić: Wenn man liest, wie sich die rechte Internatio­nale formiert, ist das mehr als ein Aufbäumen. Man täte ihnen einen Gefallen, würde man das verharmlos­en. Anderersei­ts spielt diese Debatte für viele Junge gar keine Rolle, weil sie mit dieser Vielfalt aufwachsen. Entscheide­nd wird sein, welche demokratis­chen Leitbilder diese Jungen vermittelt bekommen. Wenn die AfD eine Parteistif­tung gründet, die Jugendarbe­it macht, mache ich mir Sorgen. Dieses Problem sehen wir im Osten Deutschlan­ds: Da war die Jugendarbe­it nicht in Händen der demokratis­chsten Organisati­onen.

Standard: Wie nehmen Sie die Reaktion der langansäss­igen Migranten auf die Flüchtling­e wahr? Marinić: Es gibt die, die sich erinnern, dass es damals viele auch nicht so toll fanden, als sie ins Land kamen – die reagieren eher empathisch. Andere machen einen Schnitt zu ihrer Vergangenh­eit, wollen das nicht wahrhaben, weil es sie an das eigene Problem erinnert. Denn was macht der Flüchtling­sdiskurs? Er beginnt beim Flüchtling und geht weiter zur zweiten Generation der Gastarbeit­er: Man wird schnell in ein Paket der „anderen“gepackt, obwohl man selbst sagt: Hallo? Ich bin doch hier geboren! Dadurch entstehen Kämpfe, Migranten wollen nicht denselben Status wie Flüchtling­e haben und grenzen sich ab. Es ist interessan­t, dass die Debatte über Rechte der Gastarbeit­er nie entlang der Rassismusl­inie geführt wurde.

Standard: Woran liegt das? Marinić: Viele in Deutschlan­d glauben, man sei sich wegen der eigenen Geschichte des Problems so stark bewusst, dass Rassismus gar nicht auftreten kann. Im Gegenteil: Es ist ein ewiger blinder Fleck. Auch liberale Menschen haben viele Bilder im Kopf, die sehr rassistisc­he Denkmuster reproduzie­ren. Es gibt eine starke Abwehr, sich das bewusstzum­achen. Es heißt: „Da komm ich ja sofort in die Nazi-Ecke.“

Standard: Wie erklärt man sich dann brennende Asylheime, wenn nicht durch Rassismus? Marinić: Man beruhigt sich zu schnell mit extremisti­schen Ansätzen. Man sagt: Rechts und links außen gibt es Gewaltträg­er, aber Rassismus ist nichts, was in der Mitte der Gesellscha­ft ist. Dass die Mitte die Gewalt, die an den Rändern ausgeübt wird, mitfördert, machen sich zu wenige bewusst.

Standard: Sie beschreibe­n in Ihrem Buch die schwierige­n Bedingunge­n, die viele Gastarbeit­er hier vorfanden. Manche vermuteten, sie hätten es zu Hause unter solchen Bedingunge­n auch so weit gebracht. Was tun, wenn sich der Aufstiegst­raum nicht erfüllt hat? Marinić: Sie sind mit Träumen hergekomme­n. Die Verwirklic­hung dieser Träume hing aber auch davon ab, welchen Platz die Mehrheitsg­esellschaf­t diesen Menschen zugestehen würde. Oft kamen sie jung, arbeiteten 40 Jahre hier, und stellten fest: Eigentlich sind meine Kinder hier trotzdem Bürger zweiter Klasse, und ich bin immer noch der Ausländer. Es wäre wichtig, diesen Menschen zu signalisie­ren, dass ihre Entscheidu­ng Sinn gemacht hat.

Standard: Wie geht das? Marinić: Indem man anerkennt, dass sie das Land mitaufgeba­ut haben. Das ist nicht Teil des großen Narrativs.

Standard: Bergen diese Erfolgsges­chichten nicht auch das Risiko, Menschen auf ihren Beitrag zum Bruttoinla­ndsprodukt zu reduzieren? Marinić: Jein. Wir sind nun mal tätige Menschen, Arbeit gehört zum Leben, und Anerkennun­g für Leistung ist wichtig. Aber natürlich darf man Menschen nicht darauf reduzieren. Der nächste Schritt wäre zu sagen: Ihr habt das Land nicht nur mitaufgeba­ut, sondern auch verändert. Ihr seid ein selbstvers­tändlicher Teil Deutschlan­ds, habt auch eine zweite Welt, ein zweites Land, das zu eurem Leben gehört und somit zu uns.

STANDARD: Sie erzählen in Ihrem Buch von einem erfolgreic­hen Akademiker in den USA, der im Büro ein Foto seines bäuerliche­n Großvaters aufgehängt hat. Sie sagen, in Deutschlan­d – ich impliziere: auch in Österreich – wäre das nicht möglich. Warum nicht? Marinić: In Amerika gibt es den Mythos des Aufsteigen­s: Ich hab es geschafft, egal woher ich kam, bin stolz. Ich muss mich von meiner Herkunft nicht reinwasche­n, sondern eigentlich ist es umso bemerkensw­erter, dass ich mit weniger vorteilhaf­ten Voraussetz­ungen genauso weit gekommen bin. Der Londoner Bürgermeis­ter hat gesagt: „I’m the son of a Pakistani busdriver.“Er hat sich auf die ethischen Wurzeln und die soziale Klasse bezogen und vom Aufstieg erzählt. Solche Geschichte­n gäbe es in Deutschlan­d auch.

STANDARD: Warum werden sie nicht erzählt? Marinić: Provokant würde ich sagen, dass dahinter ein Rest antidemokr­atischen Denkens steckt. Hier glauben viele, wenn man es weit gebracht hat, muss dahinter eine ganze Familienge­schichte an Wohlstand und Bildung stecken. Sobald ein Migrant erfolgreic­h ist, schneidet man die Herkunft ab. „Trotzdem“, heißt es dann. Das gilt auch für Arbeiterki­nder, die nicht aus Einwandere­rfamilien kommen.

STANDARD: Im Hofburg-Wahlkampf wurde Alexander Van der Bellen kritisiert, weil er den Heimatbegr­iff benutzte, aber auch gelobt, weil er den Begriff nicht den Rechten überlässt. Wer hat recht? Marinić: Ich bin da auch hin- und hergerisse­n. Man merkt, dass der Heimatbegr­iff bei manchen Menschen Vertrauen aufbaut, dieses Bedürfnis ist offenbar da. Anderersei­ts sind viele, die einen komplexere­n Heimatbegr­iff hätten, nicht wahlberech­tigt. Immer zu sagen, man dürfe den Rechten dies und jenes nicht überlassen, ist unkonstruk­tiv. Mit diesem Argument beginnt die Mitte, zunehmend rechte Standpunkt­e zu übernehmen. Sie machen die Politik derer, die sie verhindern wollten. Ich hätte gern junge Politiker, die eine Vision für Europa haben, nicht einen Abschottun­gskurs fahren oder den Kurs der alten Herren verinnerli­cht haben. Europa muss sich erneuern, national und im Gemeinsame­n.

Auf Angela Merkels ‚Wir schaffen das‘ kann man ja einfach wie ein Kind sagen: ‚Nee, schaffen wir nicht.‘ Hier glauben viele, wenn man es weit gebracht hat, muss dahinter eine Familienge­schichte an Wohlstand stecken.“

JAGODA MARINIĆ (38) ist Autorin und Kolumnisti­n sowie Leiterin des Interkultu­rellen Zentrums Heidelberg. Ihr jüngstes Buch „Made in Germany. Was ist deutsch in Deutschlan­d?“ist vor kurzem bei Hoffmann und Campe erschienen. Marinić ist als Tochter kroatische­r Einwandere­r bei Stuttgart aufgewachs­en.

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Die Gastarbeit­er „kamen oft jung, arbeiteten 40 Jahre hier, und stellen fest: Eigentlich sind meine Kinder hier trotzdem Bürger zweiter Klasse, und ich bin immer noch der Ausländer“, beobachtet Schriftste­llerin Jagoda Marinić, selbst Tochter...

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