„Ich möchte gerne nach dem Schariarecht leben“
Endphase im Grazer „Jihadistenprozess“: Drei wichtige Zeugen bemühten sich, den angeklagten Prediger nicht zu belasten, sie offenbaren dabei bedenkliche geistige Nähe zum IS und Sympathie für radikalen Islamismus.
Graz – „Also, wie stehen Sie denn heute zum IS?“, erkundigt sich der Richter. „Ich möchte mich dazu nicht äußern“, flüstert der schmächtige Zeuge. Der in Österreich aufgewachsene junge Bosnier war in einem Wiener Prozess zu 18 Monaten Haft wegen terroristischer Beteiligung verurteilt worden. Auf Bewährung. Der heute 18-Jährige muss sich einer Deradikalisierungstherapie unterziehen.
An diesem Montag sitzt er vor den Grazer Richtern als Zeuge und alle wollen von ihm wissen, ob er von seinem Lehrer und Freund, dem angeklagten Prediger Mirsad O. – für die Staatsanwaltschaft die Schlüsselfigur der heimischen radikalen Islamistenszene – angestiftet worden sei, nach Syrien in den Jihad zu ziehen. Gewunden versucht er in der folgenden Stunde Ebu Tejma – so nennt sich Mirsad O. als Islamprediger – nicht zu belasten.
„Sind Sie schon deradikalisiert?“, fragt der beisitzende Richter schlicht und direkt. Der Zeuge: „Das müssen andere beurteilen.“Der Rat hält ihm vor, dass er ja nach wie vor nichts Schlechtes über den IS sage. „Muss ich mich dazu jetzt äußern? „Sie müssen“, grollt der Richter. Okay, er finde „nicht alles gut“. „Was ist gut?“, will es der beisitzende Richter etwas konkreter wissen. „Das Strafrecht der Scharia“, kommt es mit Zögern zurück. „Sie finden es also gut, wenn man jemandem die Hand abhackt oder Frauen steinigt?“Auf der Zeugenbank bleibt es stumm. Dreimal sei er bisher in der Deradikalisierungstherapie gewesen. Ein Islamwissenschaftler sei sein Gesprächspartner.
Ob die Scharia auch in Österreich Sinn mache, ob er die auch hier einführen würde? „Ich habe mich damit noch nicht befasst“, murmelt der schmale Bursch ins Mikrofon. Der Richter zeigt Fotos, die auf dem Handy des Zeugen gesichert worden waren: Massaker, Massenköpfungen, Osama-BinLaden-Porträts, IS-Propagandafilme. “Warum?“, fragt der Richter. Das Material habe er in arabischen Medien gesehen, erklärt der Zeuge, aber: „Wie war jetzt die Frage?“
„Und was sagen Sie zum Terroranschlag am Flughafen in Istanbul, zumal sich der IS dazu be- kannt hat?“„Gar nichts, da kenne ich mich nicht aus.“
Einige Gesprächsrunden zuvor versuchen Richter und Staatsanwalt eine junge Zeugin zum Reden zu bringen. Sie aber will gleich eingangs klarstellen, dass sie vor Gericht nichts sagen werde. Als ihr deutlich gemacht wird, dass das nicht möglich sei und ihr das Gericht mit Haft droht – auch wegen möglicher falscher Zeugenaussage – kommen langsam Erinnerungen an frühere Angaben hoch. „Ich möchte gerne nach dem Schariarecht leben“, hatte sie ausgesagt. Sie habe ihre Meinung aber mittlerweile eh geändert. Der sonst knochentrockene Staatsanwalt nimmt sie ein wenig in Schutz: „Ich weiß, dass sie Angst haben und ich weiß auch vor wem und sie wissen es auch.“
Schließlich erinnert der Staatsanwalt, dass Spuren vom Terroranschlag am Flughafen in Istanbul auch nach Graz, hierher in den Gerichtssaal, führten. Denn jener als Drahtzieher gehandelte tschetschenische IS-Kämpfer hatte in der gleichen Einheit gekämpft wie der neben Mirsad O. sitzende zweite Angeklagte, dem Terrorismus und sogar Mord vorgeworfen wird. Der als „Einarmiger“bekannte IS-Kämpfer hatte 2003 in Österreich Asyl erhalten.
„Warum“, will der Staatsanwalt von Mirsad O. wissen, „sind so viele junge Menschen aus ihrem Umfeld nach Syrien gegangen und umgekommen?“Er könne sich das auch nicht erklären, sagt O. Er habe niemanden ermutigt. Seine Predigten müssten missinterpretiert worden sein. Ein Urteil wird für Mittwochabend erwartet.