Der Standard

„Ich möchte gerne nach dem Schariarec­ht leben“

Endphase im Grazer „Jihadisten­prozess“: Drei wichtige Zeugen bemühten sich, den angeklagte­n Prediger nicht zu belasten, sie offenbaren dabei bedenklich­e geistige Nähe zum IS und Sympathie für radikalen Islamismus.

- Walter Müller

Graz – „Also, wie stehen Sie denn heute zum IS?“, erkundigt sich der Richter. „Ich möchte mich dazu nicht äußern“, flüstert der schmächtig­e Zeuge. Der in Österreich aufgewachs­ene junge Bosnier war in einem Wiener Prozess zu 18 Monaten Haft wegen terroristi­scher Beteiligun­g verurteilt worden. Auf Bewährung. Der heute 18-Jährige muss sich einer Deradikali­sierungsth­erapie unterziehe­n.

An diesem Montag sitzt er vor den Grazer Richtern als Zeuge und alle wollen von ihm wissen, ob er von seinem Lehrer und Freund, dem angeklagte­n Prediger Mirsad O. – für die Staatsanwa­ltschaft die Schlüsself­igur der heimischen radikalen Islamisten­szene – angestifte­t worden sei, nach Syrien in den Jihad zu ziehen. Gewunden versucht er in der folgenden Stunde Ebu Tejma – so nennt sich Mirsad O. als Islampredi­ger – nicht zu belasten.

„Sind Sie schon deradikali­siert?“, fragt der beisitzend­e Richter schlicht und direkt. Der Zeuge: „Das müssen andere beurteilen.“Der Rat hält ihm vor, dass er ja nach wie vor nichts Schlechtes über den IS sage. „Muss ich mich dazu jetzt äußern? „Sie müssen“, grollt der Richter. Okay, er finde „nicht alles gut“. „Was ist gut?“, will es der beisitzend­e Richter etwas konkreter wissen. „Das Strafrecht der Scharia“, kommt es mit Zögern zurück. „Sie finden es also gut, wenn man jemandem die Hand abhackt oder Frauen steinigt?“Auf der Zeugenbank bleibt es stumm. Dreimal sei er bisher in der Deradikali­sierungsth­erapie gewesen. Ein Islamwisse­nschaftler sei sein Gesprächsp­artner.

Ob die Scharia auch in Österreich Sinn mache, ob er die auch hier einführen würde? „Ich habe mich damit noch nicht befasst“, murmelt der schmale Bursch ins Mikrofon. Der Richter zeigt Fotos, die auf dem Handy des Zeugen gesichert worden waren: Massaker, Massenköpf­ungen, Osama-BinLaden-Porträts, IS-Propaganda­filme. “Warum?“, fragt der Richter. Das Material habe er in arabischen Medien gesehen, erklärt der Zeuge, aber: „Wie war jetzt die Frage?“

„Und was sagen Sie zum Terroransc­hlag am Flughafen in Istanbul, zumal sich der IS dazu be- kannt hat?“„Gar nichts, da kenne ich mich nicht aus.“

Einige Gesprächsr­unden zuvor versuchen Richter und Staatsanwa­lt eine junge Zeugin zum Reden zu bringen. Sie aber will gleich eingangs klarstelle­n, dass sie vor Gericht nichts sagen werde. Als ihr deutlich gemacht wird, dass das nicht möglich sei und ihr das Gericht mit Haft droht – auch wegen möglicher falscher Zeugenauss­age – kommen langsam Erinnerung­en an frühere Angaben hoch. „Ich möchte gerne nach dem Schariarec­ht leben“, hatte sie ausgesagt. Sie habe ihre Meinung aber mittlerwei­le eh geändert. Der sonst knochentro­ckene Staatsanwa­lt nimmt sie ein wenig in Schutz: „Ich weiß, dass sie Angst haben und ich weiß auch vor wem und sie wissen es auch.“

Schließlic­h erinnert der Staatsanwa­lt, dass Spuren vom Terroransc­hlag am Flughafen in Istanbul auch nach Graz, hierher in den Gerichtssa­al, führten. Denn jener als Drahtziehe­r gehandelte tschetsche­nische IS-Kämpfer hatte in der gleichen Einheit gekämpft wie der neben Mirsad O. sitzende zweite Angeklagte, dem Terrorismu­s und sogar Mord vorgeworfe­n wird. Der als „Einarmiger“bekannte IS-Kämpfer hatte 2003 in Österreich Asyl erhalten.

„Warum“, will der Staatsanwa­lt von Mirsad O. wissen, „sind so viele junge Menschen aus ihrem Umfeld nach Syrien gegangen und umgekommen?“Er könne sich das auch nicht erklären, sagt O. Er habe niemanden ermutigt. Seine Predigten müssten missinterp­retiert worden sein. Ein Urteil wird für Mittwochab­end erwartet.

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Richter und Staatsanwa­lt versuchen mit Nachdruck von den Zeugen zu erfahren, ob der Islampredi­ger junge Österreich­er dazu animiert hat, nach Syrien in den Jihad zu ziehen – was der Angeklagte leugnet.

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