Der Standard

Leben mit der Vergangenh­eit

- Markus Rohrhofer

Eigentlich darf man von einem Politiker mehr Geschichts­bewusstsei­n erwarten. Wenn Innenminis­ter Wolfgang Sobotka (ÖVP) wiederholt den Abriss des Hitler-Geburtshau­ses fordert, so schreibt er damit nur ein weiteres Kapitel der unendlich verkorkste­n Geschichte österreich­ischer Vergangenh­eitsbewält­igung. Längst sollte es auch an der Spitze des Innenminis­teriums angekommen sein, dass man die eigene Geschichte – und sei sie auch noch so dunkel – nicht mit der Planierrau­pe ungeschehe­n machen kann.

Mit der nun möglichen Enteignung, ein konsequent­er, aber auch überfällig­er Schritt, gilt es nun nach Jahren des Stillstand­s, die Chancen des neuen Handlungss­pielraums zu erkennen und zu nutzen. Nicht die Abrissbirn­e bringt die Lösung, sondern nur ein adäquates Nutzungsko­nzept. Belastete Orte müssen mit Leben erfüllt werden, dann werden sie auch nicht zu Pilgerstät­ten für Ewiggestri­ge. Es braucht kein Museum, es muss endlich der Alltag in das kleine gelbe Haus einziehen.

Mit dem Prinzip „Augen zu und abreißen“ist man schon zu oft gescheiter­t. Hitlers Berghof am Obersalzbe­rg etwa wurde 1952 gesprengt, schnell wachsendes Gehölz sollte alles vergessen machen. Doch de facto sind die letzten Steine im Wald heute mehr denn je ein Pilgerort für Nazis.

Letztlich bleibt nur der Weg, sich der Geschichte zu stellen. Schonungsl­os – ohne Hysterie und Baggerscha­ufel.

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