Die Rückkehr der Männer ohne Nerven
Mit zwei Werken meldet sich Starchoreograf Wim Vandekeybus zurück. Er zeigt eine Neubearbeitung der Herrenanalyse „In Spite of Wishing and Wanting“und seine neueste Arbeit: „Speak low if you speak love ...“.
Wien – Mit Wim Vandekeybus kehrt nach zweijähriger Absenz ein alter Bekannter auf die Impulstanzbühne zurück. Siebzehnmal war der flämische Choreograf, Tänzer und Filmemacher bereits zu Gast. Die steile Karriere des 53Jährigen ging Hand in Hand mit dem Aufstieg von Impulstanz zu Europas wichtigstem Festival für zeitgenössischen Tanz. Dass diese Kollaboration über all die Jahre fruchtbar blieb, ist Vandekeybus’ eiserner Regel, jede Produktion von der Pike auf neu zu denken, geschuldet.
Begonnen hatte alles 1987, als der damals 24-Jährige mit seiner Debütperformance What the Body Does Not Remember Publikum und Fachwelt gleichfalls in Staunen und Schaudern versetzte. Hart und kompromisslos war es, was der junge Belgier hier mit seiner kurz zuvor gegründeten Kompanie Ultima Vez auf die Beine stellte.
Hoch war das Verletzungsrisiko, Ziegelsteine flogen über die Köpfe der Tänzer hinweg – eine Art von Radikalität, die auch die Handschrift von Jan Fabre trägt, unter dessen Fittichen Vandekeybus zuvor reüssiert hatte.
1989 trat Ultima Vez mit Les porteuses de mouvaises nouvelles erstmals bei Impulstanz in Erscheinung. In der Folge waren dort so gut wie fast alle nachfolgenden Produktionen zu sehen. Beispielsweise Her Body Doesn’t Fit Her Soul (1993), Alle Grössen decken sich zu (1995) oder In Spite of Wishing and Wanting (1999), ein Stück über Männer, in das Vandekeybus, der Psychologie studiert hatte, sein Wissen über die männliche Seele packte.
Bei Impulstanz 2016 präsentiert Vandekeybus eine Neubearbeitung dieser Choreografie. Zur Musik von David Byrne berserkern zehn männliche Performer über die Bühne des Volkstheaters, wie Pferde schnaubend, wild und ungezähmt. „Was ist der Mann?“, steht als große Frage über der Aufführung, die Tanz, Theater und Film miteinander verwebt. Was glaubt er zu sein? Und vor allem: Was möchte er sein? Vandekeybus legt die Triebfedern männlicher Verhaltensweisen offen: sexuelles Begehren, Gewalt, Rebellion und (Un-)Gehorsam, emotionale Verletzlichkeit, Sehnsucht nach Liebe und dem Geliebtwerden.
Durch die Linse betrachtet
Von Anfang an hat Vandekeybus sein Schaffen akribisch mit der Kamera begleitet, 2002 verfilmte er auch In Spite of Wishing and Wanting. Zuletzt verließ der Belgier das Tanz- und Kurzfilmgenre und veröffentlichte mit Gal- lopping Mind (2015) seinen ersten Spielfilm. Darin geht es um Zwillinge, die bei ihrer Geburt getrennt werden, völlig unterschiedliche Lebenswege nehmen und sich später wieder treffen.
Moralismus mit erhobenem Zeigefinger ist dem Seelenergründer fremd. „Das dämonische Element“, wie Vandekeybus sagt, ist es, das ihn am Menschen interessiert. „Du brauchst das Böse, wenn du das Gute zeigen willst“, sagt er.
Und so steht auch in seinem neuen Stück Speak low if you speak love ... (2015) hinter der Liebe etwas Dunkles. Das Spiel um Eros und Thanatos konnte schon im März bei den Osterfestspielen in Innsbruck begeistern. Mauro Pawlowski von der Band dEUS begleitet die Performer als gesichtsverhangener Dämon mit E-Gitarre. Ringsum entwickelt sich ein körperbetontes Treiben, das die zeitgenössische Konzeption von Liebe mit Referenzen auf Shakespeare und Napoleon befragt.
Speak low, if you speak love ... ist am 2. und 4. 8. im Volkstheater zu sehen. Das Metro Kinokulturhaus zeigt am 17. 7. und 3. 8. den Film Wim, ein Porträt von Lut Vandekeybus über ihren Bruder. >> „In Spite of Wishing and Wanting“, Volkstheater, 16. + 18. 7., 21.00