Italienische Sommerängste
Mit Matteo Renzi knüpft erneut ein europäischer Regierungschef sein politisches Schicksal an ein Referendum. Sollte es gegen ihn ausgehen, verliert die EU einen zentralen Verbündeten.
Ein Trend geht um in Europa: Nachdem sich bereits der britische Premier David Cameron auf diese Art aus dem Amt katapultiert hat, setzt nun auch Italiens Regierungschef alles auf eine Karte. Matteo Renzi knüpft sein politisches Überleben direkt an ein Referendum über seine Verfassungsreform, die das Herzstück seiner politischen Vision darstellt, die „Mutter aller Reformen“und „größte aller Schlachten“. So bezeichnet er selbst das Vorhaben, das die Beschleunigung und Verschlankung des Politikbetriebes vorsieht.
Es ist der größte Umbau des Politsystems Italiens seit 1945, dementsprechend groß war der Kampf, um diesen durchs Parlament zu bringen. Und dem- entsprechend dramatisch wählte Renzi seine Worte, als er schon im Mai für den Fall einer Niederlage seinen Rücktritt ankündigte. Sein Vorpreschen könnte sich rächen. Seit seinem Amtsantritt im Februar 2014 hat der ehrgeizige Premier zwar noch fast jede Wahl, jede Abstimmung und jeden Misstrauensantrag zu einer Grundsatzentscheidung für oder gegen ihn verwandelt; nie aber hat Renzi ein Vorhaben derart eng mit seinem eigenen Schicksal verknüpft.
Abgestimmt werden soll im Oktober oder November. Ein Blick auf die Umfragen zeigt, dass Renzi inzwischen tatsächlich Grund hat, um sein Prestigeprojekt zu zittern: Während die Befürworter der Reform lange die klare Mehrheit stellten, drehte sich zuletzt der Wind. Laut der aktuellsten Umfrage der Meinungsforschungsinsti- tute PR Marketing und Piepoli würden 52 Prozent der Italiener gegen die Reform stimmen, sollte das Referendum dieser Tage stattfinden. Dass die Gegner zunehmend an Boden gewinnen, liegt auch daran, dass sich inzwischen selbst jene Politiker dagegen aussprechen, die im Parlament kurz zuvor noch dafür gestimmt haben.
Vereinte Opposition
Die Opposition wiederum trat noch nie derart geeint auf, denn alle wollen sie Renzi stürzen sehen: Von der Protestbewegung Fünf Sterne (Movimento Cinque Stelle, M5S) über die sehr linke Linke bis hin zur extremen Rechten reiben sich alle die Hände. Sie hoffen, dass auch die Italiener die Abstimmung als Gelegenheit nutzen, um ihren Frust über die Wirtschaftskrise zu manifestie- ren, unter der sie immer noch leiden. Vor allem die aktuelle Bankenkrise Italiens (Artikel unten) hat das Potenzial, Renzi die Mehrheit fürs Votum zu kosten. Dass das Land ökonomisch nur langsam vom Fleck kommt, schlägt sich auch in der Beliebtheit des Premiers nieder. Zwar genießen die meisten Regierungen in Europa weniger gute Zustimmungswerte, die M5S-Bewegung von Beppe Grillo aber ist ihr auf den Fersen. Laut der jüngsten Umfrage haben die „Grillini“, wie die M5S-Mitglieder genannt werden, Renzis PD sogar knapp überholt (siehe Umfrage).
Selbst innerparteiliche Konkurrenten des Premiers halten es für einen schweren Fehler, dass dieser seine politische Zukunft vom Ausgang des Referendums abhängig macht. „Wir haben im Parla- ment für diese Reform gestimmt, und wir werden beim Referendum dafür stimmen“, sagt Pierluigi Bersani, der ehemalige Generalsekretär von Renzis Demokratischer Partei (PD), den selbst eine konfliktreiche Geschichte mit dem Premier verbindet. „Doch man sollte aus ihr nicht eine Art kosmisches Ereignis machen“, sagte Bersani jüngst in der Tageszeitung Il Fatto Quotidiano. Schließlich „will niemand in der Partei, dass Renzi nach Hause geht“, hielt er auch in der deutschen Zeit fest.
Unruhe in Rom und in der EU
Der Premier selbst fängt an, verbal abzurüsten. „Die Personalisierung war ein Fehler“, räumte Renzi vergangene Woche in Modena ein. „Das ist keine Reform einer Person, sondern eine Reform, die das Land braucht.“
Es ist letztlich auch eine Reform, deren Auswirkungen nicht an Italiens Grenzen haltmachen: Stürzt Renzi, verliert die EU einen zentralen Verbündeten – und das just zu einem Zeitpunkt, zu dem Deutschland, Frankreich und Italien nach der Brexit-Entscheidung ihre Stärke demonstrieren wollen.
Für kommenden Montag hat Renzi erneut zu einem Dreiergipfel der Gründungsmitglieder und bevölkerungsreichsten EU-Länder eingeladen. Dass an die Stelle des begeisterten Proeuropäers in Zukunft ausgerechnet die europaskeptischen Grillini treten könnten, ist eine Vorstellung, die nicht nur in Rom für Unruhe sorgt.