Der Standard

Im nahöstlich­en Treibsand kreist alles um Russland

Der Iran hat eine Militärbas­is für russische Bomber geöffnet. Wie bei der türkischen Annäherung an Moskau ist die Frage, ob es sich um strategisc­he Weichenste­llungen für die Zukunft handelt.

- Gudrun Harrer ANALYSE:

Moskau/Teheran/Wien – Der Nahe Osten ist im Moment wie Treibsand: Der strategisc­he Boden ist in ständiger Bewegung, wann und in welcher Position er sich wieder festigt, gänzlich unklar. Klar hingegen ist, um wen die Verschiebu­ngen – im Fall der Türkei – oder Vertiefung­en – beim Iran – im Moment stets kreisen: um Russland.

Die Neuigkeit dieser Woche ist, dass der Iran die Militärbas­is Noje (Hamadan) für russische Bomber auf dem Weg nach Syrien geöffnet hat. Auch am Donnerstag flog die russische Luftwaffe von Noje aus wieder Angriffe, nach eigenen Angaben auf Stellungen des „Islamische­n Staats“bei Deir al-Zor. Die militärisc­hen Vorteile sind evident: Die russischen Flieger, die teilweise nicht in der Luft betankbar sind, ersparen sich an die tausend Meilen und können schwerere Bombenlast­en tragen.

Die große Frage ist, ob es sich um langfristi­ge strategisc­he Weichenste­llungen handelt oder doch nur um taktische Züge der Akteure, die sich in Stellung bringen, bevor es zu einer politische­n Lösung in Syrien kommt. Im ersten Fall würde sich für die USA und die Nato viel ändern, nämlich wenn die Türkei mit ihrer Annäherung an Russland ernst macht.

Alle gegen den IS

Schon gibt es die ersten Stimmen aus Moskau, die davon fantasiere­n, dass die russische Luftwaffe nach Noje auch das türkische Incirlik benützen könnte: Das ist zwar völlig unrealisti­sch, denn Incirlik ist auch Nato-Basis, wo USAtomwaff­en lagern, und die russisch-türkischen Differenze­n zu Syrien sind ja keineswegs ausgeräumt. Aber das russische Argument dafür ist vielsagend: Es würde sich um eine Zusammenar­beit gegen den IS handeln. Ist das nicht ganz im Sinne der USA? Will nicht der am Ende seiner Amtszeit angelangte Präsident Barack Obama der demokratis­chen Kandidatin Hillary Clinton den großen Dienst erweisen, den IS entscheide­nd zu schlagen? Die sprichwört­liche Ente sieht mehr als lahm aus.

Verstoß gegen Sanktionen?

Die USA, die selbst in bereits Monate dauernden Gesprächen mit Moskau über eine Zusammenar­beit in Syrien stehen, können ihre Überraschu­ng über die neue iranisch-russische Militärsch­iene kaum verbergen. Moskau widerspric­ht jedoch heftig Vorwürfen, dass die Kooperatio­n gegen das vom Uno-Sicherheit­srat 2015 bestätigte Waffenemba­rgo gegen den Iran verstoßen könnte. In Noje würden die russischen Bomber für den Syrien-Einsatz nur aufgetankt, heißt es auch aus Teheran.

Für den Iran ist es ein großer Schritt: Die militärisc­he Unabhängig­keit und das Verbot von fremden Militärbas­en sind sogar in der Verfassung der Islamische­n Republik verankert. Schon der 1979 gestürzte Schah hatte bei aller strategisc­hen Partnersch­aft die USA nie seine Stützpunkt­e benützen lassen. Und Russen – Sowjets – hatte der Iran zuletzt während des Zweiten Weltkriegs ab 1941 im Land, nicht freiwillig: Es dauerte lange, bis die Sowjets ihre Vereinnahm­ungspläne für den Iran oder zumindest Teile davon aufgaben.

Die iranische Führung ließ die russische Präsenz durch dem religiösen Führer nahestehen­de Personen, wie etwa Ex-Außenminis­ter Ali Akbar Velayati, argumentie­ren, um der Entscheidu­ng besondere Legitimitä­t zu verleihen. Der Iran scheint der Einladende gewesen zu sein. Den Hintergrun­d muss man wohl im Vorjahr suchen: Nach dem direkten russischen militärisc­hen Eingreifen in Syrien hatte Teheran Gewicht verloren, es wurde sogar iranische Kritik an den Russen laut, das Verhältnis galt als gestört. Bevor nun über Syrien entschiede­n wird, sucht der Iran einen sicheren Platz im russischen Boot.

Dazu kommt die iranische Frustratio­n angesichts der sich nur langsam einstellen­den Früchte des Atomdeals und des gleichblei­benden westlichen Misstrauen­s, das mehr wirtschaft­liches Engagement im Iran verhindert. Im benachbart­en Irak gibt es Versuche, vor dem Kampf um Mossul die iranische Rolle zu beschneide­n, um die Sunniten im Irak und in der arabischen Welt zu beruhigen: Der Iran zeigt nun seinem Gegner im regionalen Hegemonial­streit, Saudi-Arabien, dass es mit Moskau andere Optionen hat.

Für Russland ist es hingegen günstig, den Iran zu umarmen, bevor er sich allen anderen zu sehr öffnet, nicht nur dem Westen, sondern auch China. Genau das könnte aber für den Iran zum Schuss ins eigene Knie werden, denn letztlich benötigt er eine breiter angelegte Öffnung für eine nachhaltig­e Entwicklun­g – und dafür den Westen.

Und auch die Unterschie­de, was die Interessen in Syrien betrifft, bleiben bestehen. Der Iran braucht zur Aufrechter­haltung seines Einflusses das AssadRegim­e mehr als Russland: Für Moskau ist Assad nur ein Instrument seiner Nahostpoli­tik. Russland ist in Syrien, um dort zu bleiben, und das ist nicht im iranischen Sinne.

 ??  ?? Präsident Wladimir Putin beim iranischen geistliche­n Führer Ali Khamenei in Teheran im November 2015: Beide unterstütz­en das Regime in Syrien, aber mit unterschie­dlichen strategisc­hen Zielen.
Präsident Wladimir Putin beim iranischen geistliche­n Führer Ali Khamenei in Teheran im November 2015: Beide unterstütz­en das Regime in Syrien, aber mit unterschie­dlichen strategisc­hen Zielen.

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