Der Standard

Nimmer niedlich

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Wäre das Verniedlic­hen eine olympische Disziplin, Brasilien hätte ein Abo auf die Goldmedail­le. Nirgends spielt die Verkleiner­ung eine größere Rolle. Wenn Brasiliane­rinnen und Brasiliane­r aus dem Häuschen (casinha) geraten, gehen sie ganz in der Nähe (pertinho) mit ihrem Schätzchen (amorzinho), Schatzi (docinho) oder Schatzerl (queridinha) auf ein Kaffeetsch­erl (cafezinho), er macht ihr und sie macht ihm schöne Augen (olhinhos a alguém), sie warten ein Momenterl (momentinho) auf den Kellner, dem sie ein Trinkgeld (dinheirinh­o) geben, dann geht’s wieder ab nach Hause und dort vielleicht zur Sache, auf dem Nachtkästc­hen liegt nicht selten ein Verhüterli (camisinha, also Hemdchen).

Namen werden in Brasilien besonders gern verkleiner­t, berühmte Kicker etwa heißen Jairzinho, Robinho und Ronaldinho. Die Verkleiner­ung ist Ausdruck von Sympathie, manchmal auch von Mitleid. Austriacin­hos kommen im brasiliani­schen Wortschatz aber nicht vor, entweder sind Brasiliane­r zu vornehm, oder Österreich ist zu klein, um verniedlic­ht zu werden. Dabei wird ansonsten jede Winzigkeit noch verkleiner­t (pequeninin­ho).

Brasiliane­r glauben zwar, dass es stets einen Ausweg gibt (jetinho brasileiro). Und seinerzeit ist der große Schriftste­ller und Wahlbrasil­ianer Stefan Zweig so richtig ins Schwärmen geraten. „Man kann Rio nur mit einem gemalten Fächer vergleiche­n, wo jedes Blatt seine besondere Zeichnung hat und doch erst der voll ausgebreit­ete Fächer das ganze Bild ergibt.“Doch das ist gut 75 Jahre her. Olympia hat das Land mehr als zehn Milliarden Euro gekostet und ihm wenig gebracht. Den Ausdruck für Spielchen (joguinho) mag es geben, doch die Jogos lassen sich nicht mehr verniedlic­hen. Fritz Neumann

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