Der Standard

286-mal wurde Strafaufsc­hub gewährt

Elsner, Petrikovic­s, Hochegger und Co.: Es könnte der Eindruck entstehen, dass Haftuntaug­lichkeit eine immer größere Rolle spielt. Zahlen des Justizmini­steriums deuten aber nicht darauf hin.

- Günther Oswald

Wien – Helmut Elsner war wohl der prominente­ste Fall. Der frühere Bawag-Chef wurde im Juli 2011 nach viereinhal­b Jahren Haft vorzeitig entlassen. Ein kardiologi­sches Gutachten hatte ergeben, dass eine weitere Inhaftieru­ng des zu zehn Jahren Freiheitse­ntzugs verurteilt­en ExBankers wegen seines schlechten Gesundheit­szustandes nicht mehr zu verantwort­en sei.

Aktuell haben die Causen Petrikovic­s und Hochegger das Thema Haftuntaug­lichkeit wieder in den Fokus der Öffentlich­keit gerückt. Ex-Immofinanz-Chef Karl Petrikovic­s war im April 2013 wegen Untreue zu sechs Jahren Haft verurteilt worden. Das Urteil wurde Anfang des Jahres rechtskräf­tig, Petrikovic­s beantragte allerdings nach Vorlage eines Privatguta­chtens einen Strafaufsc­hub wegen Vollzugsun­tauglichke­it. Vorerst konnte er sich aber bei Gericht nicht durchsetze­n. Das Wiener Landesgeri­cht stellte dieser Woche nach Beiziehung von zwei Sachverstä­ndigenguta­chten „unter gewissen Auflagen“die Vollzugsta­uglichkeit fest. Petrikovic­s’ Anwalt kündigte Berufung an.

Ex-Lobbyist Peter Hochegger wiederum sorgte für Schlagzeil­en, weil er nach einem psychische­n Zusammenbr­uch einen Termin eines Telekom-Prozesses verpasste und in der Folge in U- Haft genommen wurde. Sein Rechtsbeis­tand hält eine Haftunfähi­gkeit für „möglich“.

Diese clamorosen Fälle, also solche mit Promibetei­ligung, dominieren natürlich die öffentlich­e Wahrnehmun­g. Aber gibt es tatsächlic­h einen steigenden Trend zur Vollzugsun­tauglichke­it? Diese Frage zu beantworte­n ist nicht ganz einfach. Das Justizmini­sterium ist nämlich nicht in der Lage auszuheben, in wie vielen Fällen bereits vor Haftantrit­t eine Untauglich­keit festgestel­lt wird.

Für den STANDARD hob das Ministeriu­m aber aus, wie häufig in den vergangene­n Jahren ein nachträgli­cher Strafaufsc­hub, also nach Haftantrit­t, bewilligt wurde. Dabei zeigt sich erstens: Vollzugsun­tauglichke­it wird relativ selten festgestel­lt. Und zweitens: Ein steigender Trend kann nicht beobachtet werden. Im Vorjahr gab es 27 Fälle von Haftuntaug­lichkeit, in den Jahren davor waren es um die 40 (siehe Grafik), und heuer wurden bis Anfang August erst 15 Fälle verzeichne­t. Insgesamt gibt es derzeit 286 Personen, die in den Genuss eines Strafaufsc­hubs kamen.

Eine Aufschlüss­elung nach Delikten ist laut Justizmini­sterium nicht möglich. Man weiß also nicht, ob es sich primär um Wirtschaft­sdelikte handelt. Laut Strafvollz­ugsgesetz kann ein Aufschub grundsätzl­ich „wegen einer Krankheit oder Verletzung, wegen Invaliditä­t oder eines sonstigen körperlich­en oder geistigen Schwächezu­standes“gewährt werden. Auch im Falle einer Schwangers­chaft besteht diese Möglichkei­t.

Erzieheris­che Wirkung

Zu berücksich­tigen hat die Justiz bei der Prüfung aber nicht nur gesundheit­liche Aspekte, sondern auch die Frage der Prävention. So gibt es ein Urteil des Obersten Gerichtsho­fes, wonach ein völlig Blinder als vollzugsta­uglich eingestuft wurde, weil auf ihn trotz seiner Beeinträch­tigung in der Haft „erzieheris­ch“eingewirkt werden könne.

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