Unternehmen warten Entwicklung in Türkei ab
Politische Säuberungen lassen heimische Firmen auf die Bremse steigen
Wien/Istanbul – Die Zeichen stehen für die Türkei auf „Hold“. Nach dem gescheiterten Putsch hat die politische Säuberungswelle die Wirtschaftstreibenden erreicht. Experten raten zu einer abwartenden Haltung. Heimische Firmen kämpfen zusätzlich mit dem verschärften Ton zwischen der Türkei und Österreich.
Die Verunsicherung über den Weg, den die Türkei in Zukunft einschlagen wird, schwebt wie ein Damoklesschwert über dem Land. Das rigorose Vorgehen gegen vermeintliche und tatsächliche Parteigänger des in der USA im Exil lebenden islamischen Geistlichen Fethullah Gülen macht auch vor Unternehmen nicht mehr halt. Gülen, einstiger Weggefährte Erdogans, gilt für die türkische Regierung als Drahtzieher des gescheiterten Putsches vom 15. Juli.
Für ausländische Firmen vor Ort stelle sich die Frage nach der Rechtssicherheit, sagte Georg Karabaczek, Wirtschaftsdelegierter der Wirtschaftskammer Österreich in Istanbul, am Donnerstag in Wien. „Mit welcher Firma darf ich eigentlich noch Geschäfte ma- chen?“Folglich herrsche Zurückhaltung, vor allem bei Neueintritten in den türkischen Markt.
Der politische Schlagabtausch zwischen Wien und Ankara habe zusätzlich dafür gesorgt, dass „es im Moment nicht angenehm“sei für heimische Unternehmen. Durch diese Verstimmung könnte einem österreichischen Unternehmen ein Auftrag durch die Lappen gehen, so der Wirtschaftsdelegierte. Als direkte Auswirkung von Negativschlagzeilen in der österreichischen Presse hat die Tourismushochburg Alanya ihre Städtepartnerschaft mit der Stadt Schwechat aufgekündigt.
Kein Hochrisikoland
„Der Finanzmarkt sieht die Situation nicht so dramatisch“, betonte der Chefökonom der Bank Austria, Stefan Bruckbauer. Der Geldabfluss nach dem Putschversuch sei „relativ verhalten“geblieben. Von einem „Hochrisikoland“, wie die Ratingagentur S&P es jüngst formulierte, könne man nicht sprechen.
Bruckbauer verwies auf die guten Wirtschaftsdaten des Landes. Im zweiten Quartal betrug das Wachstum 3,1 Prozent. Für das Gesamtjahr liegen die Prognosen trotz politischer Unsicherheit nur geringfügig darunter. Er schränkte aber ein, dass dieser Wert für die Türkei zu wenig sei. „Die Türkei lebt ständig über ihre Verhältnisse.“Das Wachstum sei getragen vom Privatkonsum und staatlichen Investitionen. Der Export stagniere seit zwei Jahren. Die Vorteile, die sich aus der Abwertung der Lira ergeben hätten, seien durch die höhere Inflation wieder „aufgefressen“worden. Diese lag allein im Juli bei fast 8,8 Prozent.
Die Achillesferse des Landes bleibt für Bruckbauer die Leistungsbilanz. Als Konsequenz sei das Land abhängig von ausländischen Krediten, um dieses Defizit, das heuer auf bis zu 40 Mrd. Dollar steigen könnte, zu finanzieren. Um diese wichtigen ausländischen Kreditgeber und Investoren nicht zu vergraulen, bemüht sich die türkische Regierung aktuell um Schadensbegrenzung. Sie hat im Eilzug Maßnahmen gesetzt, um das Investitionsklima zu verbessern. (APA)