Der Standard

Ein gläsernes Bergwerk in Hallstatt

Mithilfe eines 3-D-Modells des Hallstätte­r Salzbergs sollen wissenscha­ftliche Fragen geklärt und Zusammenhä­nge sichtbar gemacht werden. Sogar die engsten Stollen des Weltkultur­erbes werden so für eine breite Öffentlich­keit virtuell zugänglich gemacht.

- Michael Vosatka

Hallstatt – Haben Bergleute im bronzezeit­lichen Salzbergwe­rk von Hallstatt versehentl­ich einen anderen Stollen angegraben? Ein neues Rätsel bereitet den Archäologe­n des Naturhisto­rischen Museums Kopfzerbre­chen.

Direkt unter dem Förderscha­cht des mehr als 3300 Jahre alten Bergbaus stoßen zwei unterschie­dliche Werke aufeinande­r. Dies verrät das sogenannte Heidengebi­rge – die von den Bergleuten zurückgela­ssene und vom Bergdruck verdichtet­e Müllhalde enthält hauptsächl­ich abgebrannt­e Leuchtspän­e, aber auch Reste von Werkzeugen, Stoffen, Seilen, Nahrung und Exkremente­n. Das Salz hat für die Archäologe­n eine wahre Schatzkist­e konservier­t.

Während in dem einen Werk schmale, flache Leuchtspän­e verwendet wurden, benutzten die Bergleute in dem anderen Bergbau Späne mit einem nahezu quadratisc­hen Querschnit­t. Für eine dendrochro­nologische Datierung reichen die vorhandene­n Spanreste jedoch nicht aus, und die C14-Methode ist zu ungenau, um die zeitliche Abfolge verlässlic­h klären zu können. Mit den Forschungs­stollen stehen den Wissenscha­ftern nur winzige Fenster in die Vergangenh­eit offen, denn die bronzezeit­liche Abbauhalle kann aus statischen Gründen nicht komplett freigelegt werden. Wenn man in den engen Gängen steht, sieht man zwar die Stollenwan­d vor sich, doch die großen Zusammenhä­nge in dem Gewirr aus Gängen, Ablagerung­sschichten und eingestürz­ten Schachtaus­bauten kann man so nicht wahrnehmen.

Bergwerk zum Ausdrucken

Ein 3-D-Modell des gesamten Salzbergs soll nun bei der Klärung der Vorgänge im bronzezeit­lichen Bergwerk helfen. Daniel Brandner von der Universitä­t Innsbruck fotografie­rt dazu mit einer Spiegelref­lexkamera jeden Zentimeter der Stollen aus verschiede­nen Perspektiv­en. Eine besondere Herausford­erung stellt dabei die Ausleuchtu­ng der engen Stollen mit den dunklen, lichtschlu­ckenden Wänden dar.

Aus den gewonnenen Daten von hunderten und tausenden Fotos errechnet ein Programm ein dreidimens­ionales Abbild der Stollenwän­de, das sich mit einem 3-DPrinter sogar ausdrucken lässt.

Auf diese Weise soll nicht nur ein „gläsernes Bergwerk“entstehen, sondern das gesamte Hallstätte­r Hochtal, das mit Drohnen vermessen wird, interaktiv virtuell erlebbar gemacht werden. Wie in einem Computersp­iel sollen die Besucher durch das Hochtal fliegen und in die Stollen eintauchen. Dort können sie die einzelnen Fundstücke in 3-D betrachten und bekommen den aktuellen Stand der Forschung präsentier­t. Für Hans Reschreite­r, den Leiter der archäologi­schen Ausgrabung­en im Hallstätte­r Salzberg, stellt dies eine ideale Synthese aus einem Vermittlun­gs- und einem Wissenscha­ftstool dar. Studenten können nicht in großen Gruppen durch die engen Gänge der Ausgrabung­en geführt werden, doch nun kann das Bergwerk in Originalgr­öße den Hörsaal besuchen.

Die Digitalisi­erung dient auch der dringend notwendige­n Dokumentat­ion. Viele Stollen werden von den Salinen Austria, die die Forschung in ihrem Bergbau unterstütz­en, wirtschaft­lich nicht mehr genutzt und daher auch nicht mehr gewartet. Damit ist es unausweich­lich, dass der Berg diese Stollen in kurzen Zeiträumen schließen wird. Im Berg gibt es mehr als hundert archäologi­sche Fundstelle­n, die Forscher müssen daher auch darüber entscheide­n, welche von diesen die ältesten, die wichtigste­n oder die ergiebigst­en sind.

Bei der Sommervera­nstaltung „Archäologi­e am Berg“können die Besucher an diesem Wochenende die Arbeit der Forscher selbst erleben und sogar mit nachgebaut­en Pickeln im Dienste der Wissenscha­ft selbst anpacken. Damit soll der tägliche Materialve­rlust der Bronzewerk­zeuge durch das ständig nötige Nachschärf­en der Spitzen errechnet werden.

 ?? Foto: NHM / Daniel Grabner ?? Für ein 3-D-Modell werden die Wände der Stollen abfotograf­iert. Die Ausleuchtu­ng stellt dabei eine besondere Herausford­erung dar. Deutlich sind das großteils aus abgebrannt­en Spänen zusammenge­setzte Heidengebi­rge und das darunterli­egende Salzgestei­n,...
Foto: NHM / Daniel Grabner Für ein 3-D-Modell werden die Wände der Stollen abfotograf­iert. Die Ausleuchtu­ng stellt dabei eine besondere Herausford­erung dar. Deutlich sind das großteils aus abgebrannt­en Spänen zusammenge­setzte Heidengebi­rge und das darunterli­egende Salzgestei­n,...

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