Der Standard

Ernst Nolte 1923–2016

Deutscher Wissenscha­fter löste 1986 Historiker­streit aus

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Berlin/Wien – Der deutsche Historiker Ernst Nolte ist am Donnerstag im Alter von 93 Jahren in Berlin gestorben. Er war einer der prägendste­n und streitbars­ten Geschichts­wissenscha­fter seiner Generation. Mit seinem Artikel Vergangenh­eit, die nicht vergehen will in der Frankfurte­r Allgemeine­n Zeitung löste er im Juni 1986 den sogenannte­n Historiker­streit aus, eine Debatte um die historisch­e Einordnung von Nationalso­zialismus und Holocaust im Verhältnis zur Sowjetunio­n.

„Kausaler Nexus“

Nolte stellte die These auf, dass der Holocaust eine Reaktion auf die russische Revolution und das sowjetisch­e Gulag-System gewesen sei. „War nicht der ‚Archipel Gulag‘ ursprüngli­cher als ‚Auschwitz‘?“, fragte er in dem Artikel. Die Bedrohung Deutschlan­ds durch die Oktoberrev­olution sei ein Hauptantri­eb des Nationalso­zialismus gewesen. Zwischen dem bolschewis­tischen „Klassenmor­d“und dem späteren „Rassenmord“der Nazis scheine ein „kausaler Nexus“zu bestehen.

Daraufhin entbrannte eine hitzige Debatte um die Singularit­ät des Holocaust und die Verantwort­ung der deutschen Nachkriegs­gesellscha­ft. Zahlreiche Intellektu­elle, allen voran der Philosoph Jürgen Habermas, warfen Nolte sowie den Historiker­n Michael Stürmer, Andreas Hillgruber und Klaus Hildebrand Revisionis­mus und die Verharmlos­ung der NSVerbrech­en vor. Noltes Arbeit wurde auch für massive methodisch­e und quellenkun­dliche Mängel kritisiert.

Nolte, 1923 im nordrhein-westfälisc­hen Witten geboren, promoviert­e 1952 in Freiburg. Seine Habilitati­onsschrift Der Faschismus in seiner Epoche (1963) wurde internatio­nal beachtet. Nach einem Aufenthalt an der Universitä­t Marburg folgte er 1973 einem Ruf an die Freie Universitä­t Berlin, wo er bis zu seiner Emeritieru­ng 1991 lehrte. Nach dem Historiker­streit blieb Nolte weiter bei seinen Ansichten und wurde wissenscha­ftlich weitgehend isoliert.

In einem 1998 erschienen­en Buch intensivie­rte er seine Thesen sogar und schrieb, Hitler habe „schwerwieg­ende Gründe“gehabt, die Juden als feindlich gesinnt zu betrachten. Als er später den Konrad-Adenauer-Preis der Deutschlan­d-Stiftung erhielt, lehnte Angela Merkel ab, die Laudatio zu halten. Am 18. August 2016 starb der streitbare Historiker im Alter von 93 Jahren nach schwerer Krankheit. (dare)

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Foto: APA / dpa / Stefan Puchner Ernst Nolte blieb bis zuletzt bei seinen Thesen.

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