Der Standard

Ein Widerspruc­h in sich

- Sandra Čapljak

Personen des öffentlich­en Lebens zeigen Lieblingso­rte und Touristens­pots einer Stadt, in der sie geboren sind oder in der sie schon länger leben. Ein nicht ganz neues Format, doch immer wieder informativ.

So führt Ukraine-Korrespond­ent Christian Wehrschütz am Mittwochab­end durch Donezk – vor dem Ukrainekon­flikt die fünftgrößt­e Stadt des Landes.

Statt des besten Lokals zeigt der Korrespond­ent, der Donezk vor 24 Jahren erstmals besuchte, den Zuschauern den tiefsten Bombenkrat­er der Gegend oder einen der zahlreiche­n Luftschutz­keller. Ein ganz besonderes Schmankerl: Kohlezeche­n, die 1992 noch als die unsicherst­en Arbeitsplä­tze der Welt galten.

Trotz des kriegsähnl­ichen Zustandes wirkt Wehrschütz selbst verhältnis­mäßig ruhig und gelassen, bedenkt man die zahlreiche­n Beschüsse, die sich zwischen den Szenen wohl abgespielt haben müssen. Doch Stellungen zu filmen, erläutert der Korrespond­ent, sei verboten. Bildmateri­al wird trotzdem gebraucht: Also schickt man eine Drohne gen Himmel und hofft auf eine sichere Landung.

Aber das Leben im Osten der Ukraine besteht nicht nur aus kugelsiche­ren Westen und Wiederaufb­au. Auch Bier – natürlich gebraut mit österreich­ischem Malz – kann das zwangsweis­e wiederbele­bte Donezk vorweisen. Trotzdem bleiben die Lokale meist leer.

Während die Stadt Hilfsliefe­rungen für die Zivilbevöl­kerung im Fußballsta­dion verteilt, importiert man aus Russland gefälschte Gucci-Handtasche­n, um die vergleichs­mäßig schmale Oberschich­t auch noch zufriedenz­ustellen. Eine Mittelschi­cht gibt es hingegen kaum: Entweder man ist reich genug, um zu bleiben, oder zu arm, um zu fliehen. pderStanda­rd. at/TV-Tagebuch

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