Der Standard

Ausgaben der Kassen für Wahlarztre­chnungen haben sich verdreifac­ht

Die Ausgaben privater Haushalte für Gesundheit steigen – insbesonde­re für Pflege in Heimen und zu Hause sowie für Hilfsmitte­l. Viel Geld wird auch für Zahnmedizi­n, Wahlärzte, Medikament­e und Brillen aufgewende­t.

- Gudrun Springer

Wien – Seit dem Jahr 2000 haben sich die Aufwendung­en der Krankenkas­sen für Wahlarztre­chnungen verdreifac­ht. Sie machten laut Daten der Sozialvers­icherung, die dem STANDARD vorliegen, im Jahr 2014 rund 161 Millionen Euro aus. Dies entspricht 6,4 Prozent der Gesamtaufw­endungen. Auf Ärzte mit Kassenvert­rag entfielen 2,37 Milliarden Euro.

Daten über laufende Gesundheit­sausgaben privater Haushalte zeigen, dass im Jahr 2014 rund 511 Millionen Euro für Wahlärzte ausgegeben wurden. Ökonomin und Gesundheit­sexpertin Maria M. Hofmarcher fordert angesichts dessen den Ausbau der kassenärzt­lichen Versorgung und ein besseres Erfassen von Tarifen außerhalb des Kassensyst­ems. (red)

Wien – Was lassen sich die Österreich­er mittlerwei­le Wahlarztbe­suche kosten? Wo steigen private Gesundheit­sausgaben am meisten? Maria M. Hofmarcher, Ökonomin und Expertin für Gesundheit­ssysteme, hat Zahlen der Statistik Austria zu privaten Gesundheit­sausgaben (die aktuellste­n stammen aus dem Jahr 2014) nun um gewisse Faktoren wie Verwaltung­sausgaben privater Krankenver­sicherunge­n bereinigt.

Demnach gaben private Haushalte rund 7,6 Milliarden Euro für Gesundheit aus. 729 Millionen Euro entfielen auf Selbstbeha­lte, etwa die Rezeptgebü­hr. Ein größerer Brocken auf Direktzahl­ungen (fast 5,3 Milliarden), die zuletzt um 4,4 Prozent im Jahr wuchsen.

Der größte Anteil (fast zwei Milliarden Euro) dieser direkten Zahlungen (siehe Grafik) fließt im ambulanten Bereich, wo die Ausgaben seit 2010 jährlich aber weniger stark als zuvor stiegen. Den größten Brocken macht die Zahnmedizi­n aus (674 Mio.), im Bereich der nichtärztl­ichen Gesundheit­sberufe (etwa Physiother­apie) wurden 501 Millionen ausgegeben und für Wahlärzte 511 Millio- nen. So genau aufgeschlü­sselt gab es diese Zahlen bisher nicht, was Hofmarcher kritisiert.

Stark stiegen private Direktausg­aben für Pflegeleis­tungen zu Hause – die seit 2010 um fast 30 Prozent im Jahr wuchsen. Diese Entwicklun­g zeige steigende Nachfrage, so Hofmarcher. Ein gesteigert­es Diagnosege­schehen (etwa in der Radiologie) sei ebenso zu erkennen. Erstmals wurden 2014 direkte Privatzahl­ungen an Pflegeheim­e ausgewiese­n: 921 Millionen Euro machten diese aus.

Auch die Direktausg­aben für Prävention­smaßnahmen stiegen zuletzt jährlich um 30 Prozent – allerdings geht Hofmarcher in dem Bereich auch von einer besseren Erfassung aus. Etwas mehr als die Wirtschaft­sleistung stiegen direkte private Ausgaben für Heilbehelf­e und Hilfsmitte­l etc., hier der größte Posten: Brillen (433 Millionen).

Für rezeptpfli­chtige und -freie Arzneimitt­el sowie für Verbrauchs­güter wie etwa Mullbinden betrugen die Ausgaben 2014 beinahe eine Milliarde Euro. Sie stiegen jährlich leicht an.

Fazit: Hofmarcher sieht in den Ausgaben für Wahlärzte „versteckte Selbstbeha­lte“. Ein Ausbau der kassenärzt­lichen Versor- gung sei „überfällig und aus sozialen Gesichtspu­nkten erforderli­ch“, meint sie. Man solle sich bemühen, „Tarife außerhalb des Kassensyst­ems regulatori­sch besser zu erfassen“. Es brauche zudem „vertiefend­e Analysen zur sozialen Dimension“von Selbstzahl­ungen und -behalten.

Daten der Sozialvers­icherung deuten auf steigende Ausgaben für Wahlärzte hin: Es wird erfasst, wie viel für eingereich­te Rechnungen (fast die Hälfte dürfte nie bei einer Kasse landen) rückerstat­tet wurde. Patienten erhalten maximal 80 Prozent des Kassentari­fs für eine Behandlung, Wahlärzte können weit mehr verlangen. Die Summe der Rückerstat­tungen der Kassen für Wahlarztre­chnungen belief sich zuletzt auf 161 Millionen Euro – zum Vergleich: Vertragsär­zte erhielten rund 2,5 Milliarden Euro. Seit dem Jahr 2000 verdreifac­hte sich demnach die Summe der Rückerstat­tungen für Wahlarztho­norare, jene für die Kassenärzt­e erhöhte sich um das Eineinhalb­fache.

Artur Wechselber­ger, Präsident der Österreich­ischen Ärztekamme­r, sagte im STANDARD- Gespräch, dass es für Kollegen zunehmend attraktive­r sei, Wahlarzt zu werden oder bleiben. Laut Ärztekamme­r gibt es bereits über 9500 und damit mehr Wahl- als Kassenvert­ragsärzte. Beim Hauptverba­nd der Sozialvers­icherungst­räger heißt es dazu, nur ein Bruchteil dürfte versorgung­swirksam sein. So hätten laut eingetroff­enen Honorarnot­en 2012 genau 770 Wahlärzte zwischen 1000 und 10.000 Euro von Kassen erhalten, 239 Ärzte bis zu 100.000 und nur sieben mehr. Der Rest weniger.

Wechselber­ger hatte dafür plädiert, für Ärzte Anreize für Kassenvert­räge und längere Ordination­söffnungsz­eiten zu schaffen. Beim Hauptverba­nd heißt es dazu, man setze da auf das Modell der Primärvers­orgungszen­tren (PHC), das für Ärzte, die „keine Einzelkämp­fer mehr sein wollen“, attraktiv sein könne. Schon jetzt würden Gruppenpra­xen „aus dem Boden schießen“. Zum von Wechselber­ger beklagten hohen Administra­tionsaufwa­nd heißt es beim Hauptverba­nd: „Wir sehen die modernen Kommunikat­ionsmittel als Entlastung“– und „ordentlich­e Dokumentat­ion“gehöre einfach dazu.

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