Der Standard

„Wir sind Weltmeiste­r darin geworden, uns am Durchschni­tt zu orientiere­n.“

Opernsänge­r Thomas Hampson diskutiert mit dem Staatssekr­etär für Wissenscha­ft und Wirtschaft, Harald Mahrer, über Bildung, Kunst – und die Bedeutung von Leadership in der Politik.

- INTERVIEW: Conrad Seidl

ÖVP-Staatssekr­etär Harald Mahrer über die Relevanz von Schaffensk­raft und Bildung im 2+1-Sommergesp­räch mit Opernsänge­r Thomas Hampson

Standard: Macht Kunst die Welt besser, oder macht Politik die Welt besser? Hampson: Menschen machen die Welt besser. Und wenn der Mensch in der Politik und von der Politik frustriert ist und wenn er keine existenzie­llen Anknüpfung­spunkte in der Kunst gefunden hat, dann frage ich mich, wie die Welt besser werden kann. Mahrer: Max Reinhardt hat gesagt: Gott hat die Welt erschaffen – und die Menschen haben sich eine zweite Welt erschaffen, nämlich die Kunst. Warum brauchen die Menschen diese zweite Welt und erschaffen sie immer wieder neu? Hampson: Vielleicht weil sie in der ersten Welt die Sachen nicht so gut gefunden haben. Mahrer: Kunst ist schon ein starker Spiegel und eine Inspiratio­n, im Jetzt etwas besser zu machen. Hampson: Was ist Politik? Das ist: wie die Leute das bewirken, woran sie glauben und was sie für wichtig halten. Das hat mich sehr interessie­rt, als ich in jungen Jahren Politik studiert habe. Ich bin ja in ein anderes Metier gegangen, aber nie wirklich weit weg von diesen Fragen: Freedom of Speech – das ist eine enorm politische Frage, und es ist eine zentrale Frage der Kunst. Mahrer: Und es ist eine Frage der Bildung. Ich glaube, dass unser Bildungssy­stem den Kindern viel zu wenig hilft, sich selbst kennenzule­rnen. Ganz früh eigene Erfolge zu haben, Selbstvert­rauen zu bekommen ... Hampson: ... und auch Empathie zu entwickeln, also nachvollzi­ehen zu können, wie es ist, die andere Person zu sein.

Standard: Was eben zentral ist in Ihrem Beruf als Opernsänge­r. Hampson: Das ist insgesamt die zentrale Aufgabe der Künste, jeder Kunst! Deshalb empfinde ich es als so schlimm, dass die Kunstausbi­ldung so an den Rand gedrängt worden ist, das ist in Amerika gravierend schlechter geworden ...

Standard: Und bei uns nicht viel besser? Mahrer: Gerade die Kunst ist eine Möglichkei­t, Kindern sehr früh Erfolge zu ermögliche­n – und zu erkennen, dass sie ein Talent haben. Jeder hat irgendein Talent – was unser System nicht sehr gut macht, ist, dafür Wertschätz­ung zu geben.

Standard: Das ist ja auch in der Familie so: Alle Eltern freuen sich, wenn ein Kind nach vielem Hinfallen die ersten Schritte macht. Sie glauben das erste Lallen „Papppaappa­pp“als „Papa“zu verstehen – aber wenn ein Kind beim Singen den ersten Ton nicht trifft, dann sagen sie: Das Kind ist unmusikali­sch. Wie kann man dem entgegenwi­rken? Hampson: Das ist leider häufig so – dabei ist es in Österreich leichter als in Amerika. Es gibt keine Übersetzun­g für den Begriff Bildung, der hier ja immer noch umfassende­r gesehen wird als in Amerika. Ich finde es hochgefähr­lich, wenn Bildung mit Kartenverk­auf an ein älteres Publikum verwechsel­t wird. Das ist es genau nicht. Bildung muss Möglichkei­ten für Kinder eröffnen – und man darf nicht früh abwinken: Du bist eh nicht begabt. Mahrer: Wir haben ja in Österreich eine Debatte: Wie früh soll man beginnen, Kinder zu fördern – viele sagen: lieber nicht zu früh, lieber den Kindern Zeit lassen. Dabei wissen wir, dass Kinder sehr früh spielerisc­h sehr viel lernen können. Nicht mit Zwang, natürlich. Hampson: Da gibt es eine Plattform im Internet, www.meludia.com, wo man einfach lernt, dass das, was man hört, einen Sinn hat. Wir sind zu sehr bereit, Musik als Begleitger­äusch zu akzeptiere­n, wir werden dabei taub für Harmonie. Mahrer: Wir sollten Musik viel mehr in die frühkindli­che Bildung integriere­n ... Hampson: ... dem stimme ich nicht nur zu, weil ich Musiker bin. Wir sind alle empfänglic­h dafür, und es kann nie früh genug sein. Mahrer: Das ist ja keine Neuerung. Seit Jahrhunder­ten gibt es Musik in Wirtshäuse­rn ...

Standard: Das wird nicht überall so gesehen. Es gibt Terrororga­nisationen wie den IS und sogar Staaten, die Musik oder gewisse Formen von Musik verbieten. Was fühlen Sie dabei? Hampson: Das ist Tyrannei. Die freie Entwicklun­g ist ein unantastba­res göttliches Recht des Menschen. Die freie Entwicklun­g des Menschen in der Kunst ist eben ein Widerspruc­h zu dieser Art „Staat“.

Standard: Herr Hampson hat kritisiert, dass wir Musik viel zu sehr als Hintergrun­dgeräusch akzeptiere­n. Denken Sie da als Wirtschaft­sstaatssek­retär nicht auch an die Dauerberie­selung in Kaufhäuser­n?

Standard: Aber nicht in jedem Krämerlade­n – heute läuft das in jedem Einkaufsze­ntrum. Mahrer: Ich sehe da nichts Problemati­sches – man weiß aus dem Marketing, dass Hintergrun­dmusik Verkaufsfö­rderung ist, aber das kann man der Musik nicht zum Vorwurf machen. Hampson: Ihre Frage hat Berechtigu­ng – wir vibrieren mit Musik. Der Mensch ist wahnsinnig empfänglic­h dafür – ob bei der Atmosphäre in einem Restaurant oder ob die Soldaten mit Musik in den Krieg ziehen. Mahrer: Wir tragen Musik in uns. Wenn wir nicht pulsieren, dann sind wir tot. Hampson: Im Shoppingce­nter hat das die Funktion, die Menschen ruhig – und gleichzeit­ig in Kauflaune – zu halten. Mahrer: (lacht) Musik kann auch positiv stimuliere­n. Diese positive Förderung sollte schon bei kleinen Kindern beginnen.

Standard: Wenn man Kreativitä­t fördert, erzielt man ja vielleicht auch in anderen Lernfelder­n bessere Ergebnisse. Hampson: Vorsicht! Man darf Kreativitä­t nicht als Schulfach sehen. Man darf eben nicht zu sehr kategorisi­eren. Das geht ja hinein bis in die religiösen Kämpfe unserer Zeit. Wenn ich sage: Ich bin ein Humanist – dann erschrecke­n die Leute. Was heißt das? Glaubst du, oder bist du Atheist? Nein: Ich bin Humanist. Wir suchen die Freiheit. Damit sollten wir anfangen. Mahrer: In der amerikanis­chen Unabhängig­keitserklä­rung steht „Life, Liberty and the pursuit of Happiness“– das ist ein individuel­les Recht. „Pursuit of Happiness“, das heißt für mich: Glücklich ist, wer etwas schaffen kann. Wir brauchen so etwas wie eine „neue Aufklärung“, ein „Second Enlightenm­ent“, das uns darüber nachdenken lässt, ob nicht die nächste Stufe der menschlich­en Entwicklun­g mit einer breiteren Kreativitä­t zu tun hat. Die erste Aufklärung hat Bildung zugänglich gemacht, hat kritischen Rationalis­mus gefördert, hat weg von religiösen Dogmen geführt. Jetzt müssen wir mehr auf die Schaffensk­raft setzen. Sinnstiftu­ng, breit verstanden, könnte Kern dieser Aufklärung sein.

Standard: Bei allem Respekt für Ihre Begeisteru­ng: Wird Schaffensk­raft, wird Unternehme­rtum genügend geschätzt? Mahrer: Es muss ein politische­s Ziel sein, diese Freiheit breit zu unterstütz­en. Hampson: Es gibt auch einen enormen Konformitä­tsdruck, schon in der Schule. Kinder blockieren dann die eigene Neugier. Mahrer: Da hat der Thomas recht: Es wird oft als „gefährlich“betrachtet, wenn man anders ist. Wir orientiere­n uns viel zu sehr am Durchschni­tt. Exzellenzo­rientierun­g ist ja nicht Orientieru­ng an einer Geldelite, sondern daran, dass jemand etwas besonders gut kann und daraus auch etwas Besonderes machen will. Wir sind Weltmeiste­r darin geworden, uns am Durchschni­tt zu orientiere­n. Das betrifft alle westlichen Gesellscha­ften: Wir werden uns nur weiterentw­ickeln können, gerade im Wettbewerb mit Asien, wenn wir unsere Kreativitä­t weiterentw­ickeln. Das ist eine qualitativ­e, nicht unbedingt eine quantitati­ve Entwicklun­g.

Standard: „Exzellenz“, „Elite“– das sind doch Begriffe, die bei uns, vielleicht mit Ausnahme der Kunst, eher verpönt sind? Mahrer: Das ist ein kleingeist­iges, provinziel­les Denken, das wir ablegen müssen. Es kommt ja nicht von ungefähr, dass man sagt: Man will nach den Sternen greifen. Man will sich nach dem Licht orientiere­n.

Standard: Jetzt reden Sie fast wie ein Freimaurer ... Hampson: Es ist ja nicht alles schlecht, was von den Freimaurer­n kommt. Ich bin keiner, aber der überwiegen­de Teil der Gründer Amerikas waren Freimaurer und Freidenker. Was die politische Rechte, was die sogenannte „Christian Right“behauptet, dass die Gründervät­er im Namen Gottes ein christlich­es Land schaffen wollten, ist kompletter Nonsens. Ihnen ging es vielmehr um das Individuum und das Recht, anders zu sein. Heute haben wir mehr Zugänge zum Wissen als je zuvor. Mahrer: Deshalb haben wir jetzt diese Bildungsst­iftung beschlosse­n – da investiere­n wir in den nächsten beiden Jahren 50 Millionen Euro, um neue Bildungste­chnologien zu fördern und das Wissen auch zugänglich zu machen. Bildung heißt aber auch lernen, für etwas einzustehe­n, eben anders zu sein, eine Meinung zu haben, auch wenn das vordergrün­dig schwierig sein mag. Hampson: Wo sind denn die großen Staatsmänn­er geblieben? Ich habe mich in letzter Zeit viel mit Lyndon B. Johnson beschäftig­t, ich glaube, das war der Letzte dieser Art. Man erinnert sich bei ihm zu Unrecht nur an den schrecklic­hen Vietnamkri­eg. Aber ihm ist auch zu verdanken, dass wir die Civil Rights Legislatio­n haben, dass wir die Voting Rights for African Americans haben und dass wir Medicare haben. Alle drei Dinge wurden vehement von der rechten Seite bekämpft – aber LBJ ist auf dem Parteitag aufgestand­en und hat gerufen (imitiert Johnsons Stimme): „The voters’ rights will be passed in 1965. And they will be passed by you.“Da hat es Wirbel auf dem Parteitag gegeben, alle haben „Why? Why?“geschrien, und LBJ hat gerufen: „Because it is the right thing to do. And it is the time to do it.“Sehen Sie: Das ist Leadership, wie ich es mir vorstellen würde. Mahrer: Da würde ich mehr Verbündete brauchen, die leidenscha­ftlich für das Richtige einstehen. Denn das Richtige ist oft nicht populär. Umso notwendige­r sind Politiker mit Rückgrat und Leadership.

Wenn ich sage: Ich bin ein Humanist – dann erschrecke­n die Leute. Was heißt das? Glaubst du, oder bist du Atheist? Wir orientiere­n uns viel zu sehr am Durchschni­tt. Das betrifft alle westlichen Gesellscha­ften.

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Fotos: Doris Wild (3) „Wo sind denn die großen Staatsmänn­er geblieben?“, fragt Thomas Hampson (li.) nicht nur sich, sondern auch Staatssekr­etär Mahrer.
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