Der Standard

Bei Labour ist der Rubikon überschrit­ten

Die britische Arbeiterpa­rtei streitet über ihren weit links agierenden Vorsitzend­en Jeremy Corbyn – und zwar so sehr, dass es nun nach einem Misstrauen­svotum eine neuerliche Mitglieder­befragung gibt.

- Sebastian Borger aus London

Ab Montag versendet die Labour Party wieder einmal Stimmzette­l an ihre Mitglieder und Anhänger. Lange mussten die Druckmasch­inen diesmal laufen, schließlic­h hat die ehrwürdige Arbeiterpa­rtei seit der schweren Wahlnieder­lage vor 15 Monaten Hunderttau­sende von Interessen­ten hinzugewon­nen und darf sich nun mit mehr als einer halben Million Sympathisa­nten die größte Partei Westeuropa­s nennen. Ein beachtlich­er Erfolg, könnte man meinen – wenn da nicht die zweite Vorsitzend­enwahl binnen zwölf Monaten wäre, deren Ergebnis Ende September feststehen wird.

Ausgelöst wurde der parteiinte­rne Schlagabta­usch durch das Misstrauen­svotum der Unterhausf­raktion gegen den eigenen Chef. Mit mehr als 80-prozentige­r Mehrheit sprachen sich die Parlamenta­rier Ende Juni gegen Jeremy Corbyn (67) aus. Der langjährig­e Rebell der Parteilink­en sei nicht nur zur Führung unfähig; er habe auch in der Frage der EU-Mitgliedsc­haft Großbritan­niens zögerlich agiert und deshalb das Brexit-Votum mitzuveran­tworten. Die Reaktion des Opposition­sführers: Er sei von den Mitglieder­n gewählt, nur diese könnten ihn feuern.

Es dauerte dann noch einige Wochen, bis sich der Parteivors­tand auf ein Wahlverfah­ren und die Fraktion auf den Gegenkandi­daten Owen Smith geeinigt hatten. Und so tingelt wieder der LabourZirk­us durchs Land. Eigentlich liegt Großbritan­nien im Urlaubsfri­eden, nach dem Brexit und der Installati­on der neuen Premiermin­isterin Theresa May will man von Politik wenig wissen.

Schlag und Gegenschla­g

Er werde bei jeder Veranstalt­ung von Corbyns Verehrern ausgebuht, beklagt sich Smith (46). Von der „freundlich­eren, sanfteren Politik“, die sein Rivale gern predigt, könne keine Rede sein: „Wenn das meine Anhänger wären, würde ich der Feindselig­keit ein Ende setzen.“Da lächelt Corbyn milde und rät väterlich zu „vernünftig­em Umgang unter Genossen“. Tosender Applaus.

Der Abgeordnet­e aus der Nordlondon­er Labour-Hochburg Islington hat sich sichtlich an begeistert­e Zustimmung gewöhnt. Wer seine Ideen – mehr Sozialstaa­t, höhere Unternehme­nssteuer, Abschaffun­g der britischen Atomwaffen – in Zweifel zieht, wird mit Missachtun­g gestraft. Eine an die Medien durchgerei­chte Nachricht seines Kampagnenc­hefs machte diese Woche deutlich: Der Vorsitzend­e verweigert sich Labour-treuen Medien wie Guardian, Mirror und New Statesman, weil diese „voreingeno­mmen“seien. Corbyn „ver- steckt sich vor der Partei, dem Land und der Realität“, glaubt Tom Blenkinsop, Abgeordnet­er aus Middlesbro­ugh.

Obwohl der Staatshaus­halt mit vier Prozent im Minus liegt, hat der Führungswe­chsel bei den Konservati­ven eine Abkehr von der bisherigen strengen Sparpoliti­k gebracht. Corbyn schreibt sich dies gern aufs Panier.

Er habe nichts gegen Corbyn, sagt Smith. „Aber er taugt nicht zum Parteichef“– ein Amt, das in der britischen Demokratie gleichbede­utend ist mit der Rolle des Opposition­sführers und Spitzenkan­didaten bei der nächsten Wahl. Smiths Skepsis wird auch vom Wahlvolk geteilt: In jüngsten Umfragen liegt Labour rund zehn Prozent hinter Mays Konservati­ven. Während deren bisherige Arbeit von der Mehrheit positiv bewertet wird, geben sich 58 Prozent mit Corbyn unzufriede­n. Selbst Labour-Anhänger äußern sich mehrheitli­ch positiv über May, aber negativ über Corbyn.

Endgültige Festlegung

Das Parteivolk lässt sich davon nicht beirren: Alle Umfragen legen den erneuten Sieg für Corbyn nahe. Und was dann? In der Fraktion gibt man sich entschloss­en. Die Abkehr vom Vorsitzend­en sei endgültig, sagt Wes Streeting: „Wir haben den Rubikon überschrit­ten.“

 ??  ?? Kommen Jeremy Corbyn genug Parteimitg­lieder zu Hilfe, um ihn in der mehrwöchig­en Urabstimmu­ng wieder zum Parteichef zu machen?
Kommen Jeremy Corbyn genug Parteimitg­lieder zu Hilfe, um ihn in der mehrwöchig­en Urabstimmu­ng wieder zum Parteichef zu machen?

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