Bei Labour ist der Rubikon überschritten
Die britische Arbeiterpartei streitet über ihren weit links agierenden Vorsitzenden Jeremy Corbyn – und zwar so sehr, dass es nun nach einem Misstrauensvotum eine neuerliche Mitgliederbefragung gibt.
Ab Montag versendet die Labour Party wieder einmal Stimmzettel an ihre Mitglieder und Anhänger. Lange mussten die Druckmaschinen diesmal laufen, schließlich hat die ehrwürdige Arbeiterpartei seit der schweren Wahlniederlage vor 15 Monaten Hunderttausende von Interessenten hinzugewonnen und darf sich nun mit mehr als einer halben Million Sympathisanten die größte Partei Westeuropas nennen. Ein beachtlicher Erfolg, könnte man meinen – wenn da nicht die zweite Vorsitzendenwahl binnen zwölf Monaten wäre, deren Ergebnis Ende September feststehen wird.
Ausgelöst wurde der parteiinterne Schlagabtausch durch das Misstrauensvotum der Unterhausfraktion gegen den eigenen Chef. Mit mehr als 80-prozentiger Mehrheit sprachen sich die Parlamentarier Ende Juni gegen Jeremy Corbyn (67) aus. Der langjährige Rebell der Parteilinken sei nicht nur zur Führung unfähig; er habe auch in der Frage der EU-Mitgliedschaft Großbritanniens zögerlich agiert und deshalb das Brexit-Votum mitzuverantworten. Die Reaktion des Oppositionsführers: Er sei von den Mitgliedern gewählt, nur diese könnten ihn feuern.
Es dauerte dann noch einige Wochen, bis sich der Parteivorstand auf ein Wahlverfahren und die Fraktion auf den Gegenkandidaten Owen Smith geeinigt hatten. Und so tingelt wieder der LabourZirkus durchs Land. Eigentlich liegt Großbritannien im Urlaubsfrieden, nach dem Brexit und der Installation der neuen Premierministerin Theresa May will man von Politik wenig wissen.
Schlag und Gegenschlag
Er werde bei jeder Veranstaltung von Corbyns Verehrern ausgebuht, beklagt sich Smith (46). Von der „freundlicheren, sanfteren Politik“, die sein Rivale gern predigt, könne keine Rede sein: „Wenn das meine Anhänger wären, würde ich der Feindseligkeit ein Ende setzen.“Da lächelt Corbyn milde und rät väterlich zu „vernünftigem Umgang unter Genossen“. Tosender Applaus.
Der Abgeordnete aus der Nordlondoner Labour-Hochburg Islington hat sich sichtlich an begeisterte Zustimmung gewöhnt. Wer seine Ideen – mehr Sozialstaat, höhere Unternehmenssteuer, Abschaffung der britischen Atomwaffen – in Zweifel zieht, wird mit Missachtung gestraft. Eine an die Medien durchgereichte Nachricht seines Kampagnenchefs machte diese Woche deutlich: Der Vorsitzende verweigert sich Labour-treuen Medien wie Guardian, Mirror und New Statesman, weil diese „voreingenommen“seien. Corbyn „ver- steckt sich vor der Partei, dem Land und der Realität“, glaubt Tom Blenkinsop, Abgeordneter aus Middlesbrough.
Obwohl der Staatshaushalt mit vier Prozent im Minus liegt, hat der Führungswechsel bei den Konservativen eine Abkehr von der bisherigen strengen Sparpolitik gebracht. Corbyn schreibt sich dies gern aufs Panier.
Er habe nichts gegen Corbyn, sagt Smith. „Aber er taugt nicht zum Parteichef“– ein Amt, das in der britischen Demokratie gleichbedeutend ist mit der Rolle des Oppositionsführers und Spitzenkandidaten bei der nächsten Wahl. Smiths Skepsis wird auch vom Wahlvolk geteilt: In jüngsten Umfragen liegt Labour rund zehn Prozent hinter Mays Konservativen. Während deren bisherige Arbeit von der Mehrheit positiv bewertet wird, geben sich 58 Prozent mit Corbyn unzufrieden. Selbst Labour-Anhänger äußern sich mehrheitlich positiv über May, aber negativ über Corbyn.
Endgültige Festlegung
Das Parteivolk lässt sich davon nicht beirren: Alle Umfragen legen den erneuten Sieg für Corbyn nahe. Und was dann? In der Fraktion gibt man sich entschlossen. Die Abkehr vom Vorsitzenden sei endgültig, sagt Wes Streeting: „Wir haben den Rubikon überschritten.“