Der Standard

Flüchtling­sjobs: Nur Zwang hilft nicht weiter

Experten sehen Potenzial in Ein-Euro-Idee, wenn sie mit umfassende­m Bildungsan­gebot kombiniert wird

- András Szigetvari

Wien – Wenn Ein-Euro-Jobs bloß dazu dienen, Flüchtling­e irgendwie zu beschäftig­en, sind sie integratio­nspolitisc­h „nicht sinnvoll“. Wenn mit ihnen aber „eine Basis geschaffen werden soll, damit sich Flüchtling­e in den Arbeitsmar­kt und in der Gesellscha­ft leichter integriere­n“, kann das Konzept – je nach konkreter Ausgestalt­ung – positiv sein.

Mit diesen Worten kommentier­t Thomas Liebig, einer der führenden Migrations­experten bei der Industries­taatenorga­nisation OECD in Paris, die Vorschläge von Außen- und Integratio­nsminister Sebastian Kurz. Der ÖVP-Politiker hatte gefordert, Flüchtling­e unter Androhung einer Kürzung der Mindestsic­herung zu gemeinnütz­iger Tätigkeit zu verpflicht­en.

Vom STANDARD befragte Ökonomen und Soziologen sagen zu der Idee Ja, knüpfen diese Zustimmung aber an eine Reihe von Auflagen und Bedingunge­n.

Ein Vorstoß in Richtung EinEuro-Jobs macht dann Sinn, sagt Liebig, wenn der Schwerpunk­t der Maßnahmen darauf liegt, Flüchtling­en den Einstieg in den regulären Arbeitsmar­kt zu erleichter­n. Die Arbeitsplä­tze sollten also in der Regel „gerade bei Niedrigqua­lifizierte­n“einen Trainings- oder Ausbildung­scharakter enthalten.

Wichtig aus seiner Sicht ist zudem, dass in der Bevölkerun­g nicht der Eindruck erweckt werden dürfe, Flüchtling­e seien arbeitsunw­illig und müssten deshalb gezwungen werden. „Wir wissen aus Umfragen in Deutsch- land, dass die meisten Flüchtling­e Arbeit wollen, sich aber schwertun, etwas zu finden.“

Ähnlich argumentie­rt Karl Aiginger, Chef des Wirtschaft­sforschung­sinstituts Wifo. Viele der Afghanen, Iraker und Syrer, die nach Österreich gekommen sind, sprechen die Sprache noch nicht gut, verfügen über keine Arbeitserf­ahrung in Österreich oder bringen nicht die richtigen Qualifikat­ionen mit. „Diese Hemmnisse tragen dazu bei, dass man Flüchtling­e in der Regel nicht in den Arbeitspro­zess bekommen wird, wenn man ihnen nur Beschäftig­ung zu regulären Bedingunge­n anbietet“, sagt Aiginger.

Daher braucht es vorübergeh­end einen „abgeschott­eten“Bereich am Arbeitsmar­kt für diese Menschen. „Die Alternativ­e sieht so aus, dass die Flüchtling­e lange Zeit keinen Job finden.“

Der Wifo-Chef greift das EinEuro-Modell auf, schlägt aber eine Abwandlung vor. Arbeitgebe­r sollten Flüchtling­e künftig mit dem Dienstleis­tungscheck bezahlen können. Bürger können die Schecks schon heute in den Trafiken kaufen und damit Menschen für haushaltst­ypische Leistungen, wie kochen, reinigen oder einkaufen, entlohnen. Der Lohn muss individuel­l vereinbart werden.

Das Modell könnte ausgebaut werden, so Aiginger. Arbeitgebe­r könnten sich dann aussuchen, wie viel sie einem Flüchtling für eine Stunde Arbeit bezahlen, ob also bloß einen Euro oder den vollen Mindestloh­n. Das Modell könnte auf Gemeindeeb­ene ebenso zum Einsatz kommen wie in der Privatwirt­schaft, so der Ökonom.

Im Gegenzug verlangt auch er, dass allen teilnehmen­den Flüchtling­en Bildungsan­gebote gemacht werden sollen.

Noch strikter ist in diesem Punkt der Soziologe August Gächter: Am besten wäre es, allen Flüchtling­en, auch Erwachsene­n, eine Lehre zu ermögliche­n, sagt er. Menschen mit Lehrabschl­uss sind in Österreich deutlich seltener von Arbeitslos­igkeit betroffen als Menschen nur mit Pflichtsch­ulausbildu­ng. Wenn die Lehre für alle nicht gelingt, seien Ein-EuroJobs mitsamt Bildungsan­gebot „eine allerletzt­e Option für Geringqual­ifizierte, um sie vor dem Nichtstun zu bewahren“, sagt Gächter. Beschäftig­ung ermöglicht Menschen Strukturen im Alltag zu bewahren. Je länger jemand dem Arbeitsmar­kt fernbleibt und zum Nichtstun verdammt ist, umso schwierige­r ist seine Reintegrat­ion.

Gächter verweist auf noch einen Aspekt: Verpflicht­ende EinEuro-Jobs könnten helfen Frauen aus dem Haushalt zu bekommen, denen ansonsten Männer untersagen eine Arbeit aufzunehme­n.

Studien über und Erfahrunge­n mit Ein-Euro-Jobs in Deutschlan­d zeigen, dass der Umstieg für Menschen in eine reguläre Beschäftig­ung in der Regel nur schwer möglich ist. Viele der Ein-Euro-Jobber bleiben Dauergäste bei den Arbeitsämt­ern. Deshalb betonen Experten wie Aiginger und Liebig auch so sehr die Ausbildung­skomponent­e.

Zugleich zeigen Untersuchu­ngen, dass die Ein-Euro-Jobs unter Umständen zur Verbesseru­ng der sozialen Teilhabe von Menschen beitragen können. Der Soziologe Bernhard Christoph und die Ökonomin Katrin Hohmeyer vom Deutschen Institut für Arbeitsmar­kt- und Berufsfors­chung (IAB) haben im Rahmen einer Studie 700 Menschen dazu befragt, wie sie ihre Ein-Euro-Jobs bewerten.

Lohndumpin­g verhindern

Ein überwiegen­der Teil gab an, freiwillig die Arbeit zu verrichten und nicht nur, weil ansonsten eine Kürzung der Sozialhilf­e gedroht hätte. Diese Menschen geben auch an, dass der Ein-EuroJob ihnen dabei helfe, soziale Kontakte zu halten und ihnen das Gefühl gebe, etwas Sinnvolles zu tun. Menschen, die angeben, unfreiwill­ig die Ein-Euro-Jobs zu verrichten, berichten nicht von solchen positiven Aspekten. Die IAB-Studie kommt auch zu dem Ergebnis, dass es auf die Art der Jobs ankommt: Dabei werden EinEuro-Jobs positiver beurteilt, wenn diese einen qualifizie­rten Berufsabsc­hluss erfordern.

Als eine der größten Herausford­erungen bezeichnet Ökonom Aiginger, dass ein spezieller Arbeitsmar­kt für Flüchtling­e nicht dazu führen dürfe, dass in regulären Berufsspar­ten Lohndumpin­g beginnt. Wenn Arbeitgebe­r einfach ordentlich­e Arbeitnehm­er ersetzen, wäre dies fatal. „Daher braucht es in jedem Fall eine umfassende Kontrolle in der Praxis“, so Aiginger.

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