Flüchtlingsjobs: Nur Zwang hilft nicht weiter
Experten sehen Potenzial in Ein-Euro-Idee, wenn sie mit umfassendem Bildungsangebot kombiniert wird
Wien – Wenn Ein-Euro-Jobs bloß dazu dienen, Flüchtlinge irgendwie zu beschäftigen, sind sie integrationspolitisch „nicht sinnvoll“. Wenn mit ihnen aber „eine Basis geschaffen werden soll, damit sich Flüchtlinge in den Arbeitsmarkt und in der Gesellschaft leichter integrieren“, kann das Konzept – je nach konkreter Ausgestaltung – positiv sein.
Mit diesen Worten kommentiert Thomas Liebig, einer der führenden Migrationsexperten bei der Industriestaatenorganisation OECD in Paris, die Vorschläge von Außen- und Integrationsminister Sebastian Kurz. Der ÖVP-Politiker hatte gefordert, Flüchtlinge unter Androhung einer Kürzung der Mindestsicherung zu gemeinnütziger Tätigkeit zu verpflichten.
Vom STANDARD befragte Ökonomen und Soziologen sagen zu der Idee Ja, knüpfen diese Zustimmung aber an eine Reihe von Auflagen und Bedingungen.
Ein Vorstoß in Richtung EinEuro-Jobs macht dann Sinn, sagt Liebig, wenn der Schwerpunkt der Maßnahmen darauf liegt, Flüchtlingen den Einstieg in den regulären Arbeitsmarkt zu erleichtern. Die Arbeitsplätze sollten also in der Regel „gerade bei Niedrigqualifizierten“einen Trainings- oder Ausbildungscharakter enthalten.
Wichtig aus seiner Sicht ist zudem, dass in der Bevölkerung nicht der Eindruck erweckt werden dürfe, Flüchtlinge seien arbeitsunwillig und müssten deshalb gezwungen werden. „Wir wissen aus Umfragen in Deutsch- land, dass die meisten Flüchtlinge Arbeit wollen, sich aber schwertun, etwas zu finden.“
Ähnlich argumentiert Karl Aiginger, Chef des Wirtschaftsforschungsinstituts Wifo. Viele der Afghanen, Iraker und Syrer, die nach Österreich gekommen sind, sprechen die Sprache noch nicht gut, verfügen über keine Arbeitserfahrung in Österreich oder bringen nicht die richtigen Qualifikationen mit. „Diese Hemmnisse tragen dazu bei, dass man Flüchtlinge in der Regel nicht in den Arbeitsprozess bekommen wird, wenn man ihnen nur Beschäftigung zu regulären Bedingungen anbietet“, sagt Aiginger.
Daher braucht es vorübergehend einen „abgeschotteten“Bereich am Arbeitsmarkt für diese Menschen. „Die Alternative sieht so aus, dass die Flüchtlinge lange Zeit keinen Job finden.“
Der Wifo-Chef greift das EinEuro-Modell auf, schlägt aber eine Abwandlung vor. Arbeitgeber sollten Flüchtlinge künftig mit dem Dienstleistungscheck bezahlen können. Bürger können die Schecks schon heute in den Trafiken kaufen und damit Menschen für haushaltstypische Leistungen, wie kochen, reinigen oder einkaufen, entlohnen. Der Lohn muss individuell vereinbart werden.
Das Modell könnte ausgebaut werden, so Aiginger. Arbeitgeber könnten sich dann aussuchen, wie viel sie einem Flüchtling für eine Stunde Arbeit bezahlen, ob also bloß einen Euro oder den vollen Mindestlohn. Das Modell könnte auf Gemeindeebene ebenso zum Einsatz kommen wie in der Privatwirtschaft, so der Ökonom.
Im Gegenzug verlangt auch er, dass allen teilnehmenden Flüchtlingen Bildungsangebote gemacht werden sollen.
Noch strikter ist in diesem Punkt der Soziologe August Gächter: Am besten wäre es, allen Flüchtlingen, auch Erwachsenen, eine Lehre zu ermöglichen, sagt er. Menschen mit Lehrabschluss sind in Österreich deutlich seltener von Arbeitslosigkeit betroffen als Menschen nur mit Pflichtschulausbildung. Wenn die Lehre für alle nicht gelingt, seien Ein-EuroJobs mitsamt Bildungsangebot „eine allerletzte Option für Geringqualifizierte, um sie vor dem Nichtstun zu bewahren“, sagt Gächter. Beschäftigung ermöglicht Menschen Strukturen im Alltag zu bewahren. Je länger jemand dem Arbeitsmarkt fernbleibt und zum Nichtstun verdammt ist, umso schwieriger ist seine Reintegration.
Gächter verweist auf noch einen Aspekt: Verpflichtende EinEuro-Jobs könnten helfen Frauen aus dem Haushalt zu bekommen, denen ansonsten Männer untersagen eine Arbeit aufzunehmen.
Studien über und Erfahrungen mit Ein-Euro-Jobs in Deutschland zeigen, dass der Umstieg für Menschen in eine reguläre Beschäftigung in der Regel nur schwer möglich ist. Viele der Ein-Euro-Jobber bleiben Dauergäste bei den Arbeitsämtern. Deshalb betonen Experten wie Aiginger und Liebig auch so sehr die Ausbildungskomponente.
Zugleich zeigen Untersuchungen, dass die Ein-Euro-Jobs unter Umständen zur Verbesserung der sozialen Teilhabe von Menschen beitragen können. Der Soziologe Bernhard Christoph und die Ökonomin Katrin Hohmeyer vom Deutschen Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) haben im Rahmen einer Studie 700 Menschen dazu befragt, wie sie ihre Ein-Euro-Jobs bewerten.
Lohndumping verhindern
Ein überwiegender Teil gab an, freiwillig die Arbeit zu verrichten und nicht nur, weil ansonsten eine Kürzung der Sozialhilfe gedroht hätte. Diese Menschen geben auch an, dass der Ein-EuroJob ihnen dabei helfe, soziale Kontakte zu halten und ihnen das Gefühl gebe, etwas Sinnvolles zu tun. Menschen, die angeben, unfreiwillig die Ein-Euro-Jobs zu verrichten, berichten nicht von solchen positiven Aspekten. Die IAB-Studie kommt auch zu dem Ergebnis, dass es auf die Art der Jobs ankommt: Dabei werden EinEuro-Jobs positiver beurteilt, wenn diese einen qualifizierten Berufsabschluss erfordern.
Als eine der größten Herausforderungen bezeichnet Ökonom Aiginger, dass ein spezieller Arbeitsmarkt für Flüchtlinge nicht dazu führen dürfe, dass in regulären Berufssparten Lohndumping beginnt. Wenn Arbeitgeber einfach ordentliche Arbeitnehmer ersetzen, wäre dies fatal. „Daher braucht es in jedem Fall eine umfassende Kontrolle in der Praxis“, so Aiginger.