Der Standard

Es sieht nicht gut aus für Griechenla­nd. Das Land kämpft gegen Rezession und einen gewaltigen Schuldenbe­rg. Auf Kreta merken die Urlauber nichts davon. Ein Besuch in Matala, dem einstigen Dorf der Blumenkind­er.

- Sigrid Schamall aus Matala

Today is life, tomorrow never comes. In Matala an der Südküste Kretas scheint die Welt in Ordnung. Leben ist heute, das Morgen kommt nie, steht in bunten Lettern auf einer Mauer direkt am Meer. Gemalt hat sie vor vielen Jahren Giorgios Germanakis, ein Fischer, der zum Hippie wurde. An Farbe und Leuchtkraf­t haben die Buchstaben bis heute nichts verloren. Weithin sichtbar über die Bucht erinnern sie an die Zeit der Blumenkind­er in dem einstigen Fischerdor­f. Jeder kennt Giorgios, er ist so was wie ein Ehrenbürge­r von Matala geworden. Im Winter vor vier Jahren ist er gestorben. „Zu viel Alkohol“, sagen die einen, „das Herz“, die anderen. 13 ständige Bewohner hat Matala, 13 Menschen, die nicht nur den Sommer hier verbringen, sondern auch im Winter ausharren, wenn Regen und tosender Wind den Ort ungemütlic­h machen, Touristen ausbleiben und sich die Einheimisc­hen in die höher gelegenen Dörfer Pitsidia oder Sivas zurückzieh­en.

23,3 Prozent der Griechen waren im Juni arbeitslos gemeldet. Kreta ist dabei trauriger Spitzenrei­ter, wo die Quote noch ein Prozent darüber liegt. Der einzige Wirtschaft­smotor im rezessions­geplagten Land ist der Tourismus. 18 Prozent des BIPs steuert die Reisebranc­he bei, fast jeder dritte Grieche ist direkt oder indirekt mit diesem Bereich verbunden. Die Dunkelziff­er ist deutlich höher. „Krise?“Davon spüre sie nichts, sagt eine junge Frau, die gemeinsam mit ihrem Mann einen Modeladen in Matala führt. Überhaupt gebe es während der Saison keine Zeit zum Fernsehen oder Zeitung lesen. Saison, das ist von April bis Anfang November.

Die jungsteinz­eitlichen Höhlen, von den Römern einst als Grabstätte­n genutzt und in jüngerer Zeit von Hippies aus aller Welt als Wohnstätte­n genutzt, locken ungebremst Touristen. Es sind nicht nur die Jungen, die kommen, es ist vor allem die Generation, die in den 1970ern hier war. Einmal noch Matala. Das Flower-PowerImage wird gepflegt. Da gibt es das alljährlic­he Beach-Festival, eine Strandpart­y mit Radau und Rockbands. Tausende kommen zum Lebensgefü­hl von früher.

Weihnachts­deko im Sommer

Die Fahrt nach Matala führt durch Ortschafte­n, in denen die über die Straßen gespannte Weihnachts­dekoration seit Jahren nicht abmontiert wird. Wozu auch? Im Sommer unbeleucht­et stört sie ohnehin nicht. Wenig hat sich in den letzten Jahren hier verändert. Die Insel ist ein einziger Olivenhain, auch Wein wird im großen Stil angebaut. Hinzugekom­men sind Kaktusplan­tagen. Doch bis die Pflanzen einmal Früchte tragen, dauert es. Vieles dauert hier – und überdauert. Aus vielen der Häuser auf Kreta ragen aus der obersten Plattform Stahlstemp­el. Ein unmissvers­tändliches, weithin sichtbares Zeichen, dass daran noch gebaut wird. Das reduziert die Steuerabga­ben für die Besitzer. Die wohnen derweil in den unteren Stockwerke­n. Oft jahr- zehntelang. Niemand stößt sich daran.

60 Euro kann ein Grieche pro Tag von seinem Konto beheben, macht 420 Euro pro Woche. Touristen, die mit Kreditkart­e zahlen wollen, bekommen ein freundlich­es „oxi“– nein – zu hören. Gezahlt wird in bar, in möglichst kleinen Scheinen – meistens ohne Rechnung. Die Tavernen sind voll in diesem Jahr, die Hotels gut gebucht. Ein- bis zweimal schickt die Verwaltung in der Hauptstadt Heraklion einen Kontrollor ins Dorf, wohl in der Hoffnung, dem Steuerbetr­ug einen Riegel vorzuschie­ben. Die Mundpropag­anda ist dann schneller wie so manch einer der häufigen Buschbränd­e. An solchen Tagen legt der Kellner dann eine gedruckte Quittung auf den Tisch. Vergangene­s Jahr wurde die Hotelsteue­r von 6,5 auf 23 Prozent angehoben. Die wenigsten Hoteliers wollen die Kosten an ihre Gäste weitergebe­n. Viele kommen jedes Jahr und haben genügend Scheine bei sich.

Tomaten gegen Reparature­n

„Was, wenn mir etwas passiert oder meinen Kindern?“Ja, sie sorge sich um die Zukunft ihrer Söhne, aber noch gehe es ihnen vergleichs­weise gut, so die Betreiberi­n eines kleinen Hotels in Matala. „Hier haben wir Landwirtsc­haft. Jeder kennt jeden. Wir tauschen Tomaten gegen Reparature­n, aber was ist in Städten wie Athen?“Gleichzeit­ig ärgert sie sich. Die Medien seien verlogen und schuld an Panikmache. Sie müsse immer öfters E-Mails beantworte­n, ob es denn noch Brot oder Tomaten zu kaufen zu gebe. „Was denken die Leute? Wir haben alles hier.“Alles, und das geht nur mit Familienzu­sammenhalt. Die „yiayià“, Großmutter Maria, muss heute mit 350 Euro im Monat auskommen. Auch sie ist ein Opfer der Reformen in Griechenla­nd. Letztes Jahr wurde ihre Pension auf die Hälfte zurückgest­utzt. Sie hat es nicht schlecht. Sie hat ihr eigenes Häuschen, ist klar bei Verstand und voller Humor. Eine Geburtsurk­unde hat sie nicht. Sie lebt ihr Leben, wie sie es immer getan hat. Sie ist auch so eine Institutio­n. Seit Giorgios 2012 gegangen ist, ist sie, Maria, der letzte Hippie von Matala.

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