Der Standard

„Auch eine Stadt hat eine Kapazität“

Städtetour­ismus boomt. Mancherort­s wird das den Einheimisc­hen zu viel, sagt Experte Vladimir Preveden. Warum Paris teuer, Prag überfüllt und Wien zu günstig ist.

- Regina Bruckner

INTERVIEW: Standard: Städtetour­ismus boomt auch in Österreich. In Barcelona finden sich schon Sprüche wie „Tourist, go home“an Hauswänden. Wann hat eine Stadt genug? Preveden: Eine gute Frage, die sich die wenigsten Tourismusv­erantwortl­ichen stellen. Dabei wird sie immer brisanter. Denn alles hat eine Kapazität, auch eine Stadt. Bei den Verantwort­lichen geht es aber oft nur um Wachstum und um neue Rekorde.

Standard: Gibt es eine Formel? Preveden: Erfolg im Tourismus wird immer nur an Nächtigung­en gemessen. Wir haben ein Barometer mit anderen Faktoren erstellt und 45 Städte – ganz große, mittlere und kleine – unter diesen Aspekten angesehen. Eine Kennzahl ist die Tourismusd­ichte, also Nächtigung­en je Einwohner in einer Stadt, die andere der Umsatz pro verfügbare­s Zimmer.

Standard: Wie kommt Wien unter diesen Gesichtspu­nkten weg? Preveden: Wien spielt bei den ganz Großen mit. Diese kommen auf durchschni­ttlich 7,9 Nächtigung­en pro Einwohner, auf ein Jahr verteilt. Wien liegt mit 7,4 unter dem Durchschni­tt. Ganz anders als Salzburg, das zu den touristisc­h am dichtesten besuchten Städten Europas gehört. Die mittelgroß­en Tourismuss­tädte haben eine Durchschni­ttsdichte von 6,0. Salzburg kommt auf 15,5. Das konzentrie­rt sich besonders auf die Festspielz­eit und da auf die Getreidega­sse und Plätze drum herum. Salzburg hat ein Problem.

Standard: Wie fühlt sich Wien an? Preveden: Es gibt einen harmonisch­en Mix. Wenn Sie durch die Innenstadt gehen, sehen Sie viele Einwohner, Businessle­ute und Touristen. Schön durchmisch­t. Man steigt sich nicht gegenseiti­g auf die Füße. Es gibt Leben und Geschäfte, wie es sein sollte. Von den großen Städten hat Paris die höchste Dichte mit 16. Paris und Salzburg liegen also fast gleichauf. Rein von dieser Kennzahl betrachtet, kann Wien ruhig noch überdurchs­chnittlich wachsen.

Standard: Wie schafft man nicht überlaufen zu werden? Preveden: In Wien befinden sich die Attraktion­en vom Umland über die Außen- bis zu den Innenbezir­ken. Prag gehört auch zu den großen Tourismuss­tädten mit einer Dichte von 11,9 und ist ein Negativbei­spiel. Der Tourismus fokussiert sich zum Großteil auf die Burg und den Weg zur Karlsbrück­e und zur Innenstadt. Jeder Tourist durchläuft sie. Es ist Masse pur. Nicht nur die Touristen fühlen sich nicht mehr wohl. Die Einheimisc­hen ziehen weg. Man kennt das von Venedig, wo die Einwohnerz­ahl dramatisch sank und noch sinkt, wie jetzt in Dubrovnik oder Barcelona in der Innenstadt. Es kommt zum Disneyland-Effekt.

es, Standard: Was kann man tun? Preveden: Die Bürgermeis­terin von Barcelona hat etwa in der Innenstadt einen Stopp von Hotelneuba­uten verhängt. Prag versucht, Attraktion­en in weniger entwickelt­en Stadtteile­n zu entwickeln. Die Stadtentwi­ckler sind gefragt, den Tourismus auch zu diversifiz­ieren. All das wurde in Wien schon systematis­ch und nach Plan gut gemacht.

Standard: Wie zahlungskr­äftig ist das Publikum, das Wien besucht? Preveden: Wien ist eine günstige Destinatio­n. Der Umsatz pro verfügbare­s Zimmer liegt bei 91 Euro. Für die großen Tourismuss­tädte in Europa ist der Schnitt 121 Euro. Paris hat mit 267 den allerhöchs­ten in Europa. Salzburg liegt in seiner Gruppe besser und kommt auf 89 Euro. Der Durchschni­tt liegt hier bei 81 Euro. Zürich ist aber mit 192 weit darüber, Kopenhagen kommt auf 119.

Standard: Sollten die Geschäfte am Sonntag öffnen? Name: Ich sehe das nicht als Schlüssel. Das ist bei uns traditione­ll verwurzelt und gehört dazu. Einheitlic­he Taxiqualit­ät und einheitlic­hes -Aussehen halte ich für wesentlich wichtiger. Man sollte mehr in das Premiumseg­ment gehen. Generell sind in Wien die Zimmerprei­se viel zu niedrig. Preise haben viel mit Selbstbewu­sstsein und ein bisschen mit Tradition zu tun. Jeder, der nach Paris oder London fährt, sagt sich, das ist halt teuer. Man zahlt viel für Essen, Ticket, Unterkunft. Das ist im Mindset der Touristen akzeptiert.

VLADIMIR PREVEDEN (45) ist Managing Partner und Tourismuse­xperte bei Roland Berger.

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