Wilde Dinge
Sommer ’66, Ausflug in die Geschichte (IV): Zaubern wie der Zauberer. Von ruf & ehn
Grundlage des Punk-Rocks ist, wie man in jeder Musikanthologie nachlesen kann, der Satz von den drei Akkorden: „Das ist E, das ist A, das ist D. Nun gründe eine Band!“
Diesen Satz musste man bereits 1966 niemandem erklären, besonders nachdem Wild Thing von The Troggs erschienen war und sogleich an die Spitze der Charts kletterte. Die Welt war fröhlich, sie war wild, und sie war einfach. Und wer nicht einmal die drei Akkorde draufhatte, der konnte Luftgitarre spielen oder wenigstens hoch hüpfen.
Im Schach war das nicht ganz so einfach, aber die Partien von Michail Tal erweckten den Eindruck, dass man sich vielleicht auf die eigene wilde Fantasie verlassen konnte und sich nicht lange mit den faden Endspielen der Erwachsenenwelt beschäftigen musste. Vorher gewann man im Mattangriff oder hatte, wenn man denn mutig scheiterte, selbst verloren. Aber langweilig wurde es nie, und das war in diesem Jahr die Hauptsache.
1966 war das Jahr des Michail Tal, des Zauberers aus Riga. Nachdem Tal im Kandidatenfinale 1965 gegen Spassky noch klar verloren hatte, spielte er im Jahr darauf wie befreit auf: Sieger im GM-Turnier in Sarajevo gemeinsam mit Ćirić vor Ivkov. Dann gewann er einen Wettkampf gegen David Bronstein mit 2,5-1,5. Bei der Spartakiade (dem Teambewerb der UdSSR) erzielte er mit 6 aus 10 das zweitbeste Resultat, einen halben Punkt hinter Efim Geller und gleichauf mit Botwinnik und Petrosjan. Ein weiterer Höhepunkt war die Schacholympiade Havanna, bei der er ungeschlagen blieb und nicht weniger als elf Partien gewann. Mit 92,3 Prozent der Punkte bedeutete das die Goldmedaille auf Brett 3. Ganz überlegen auch sein Sieg am Jahresende in Palma de Mallorca (16 Teilnehmer) mit einem Punkt Vorsprung auf Pomar und zwei auf Portisch. Noch beeindruckender als diese Zahlen war der zauberische Stil, in dem Tal agierte: unerwartete Opfer, taktische Komplexität, Verschärfung des Spiels bis zur völligen Verwirrung der Gegner. So sollte es sein, immer sein. War es aber nicht. Oder nur selten.
1966 war, das sei am Ende dieses Sommers fünfzig Jahre danach erinnert, nicht nur das wilde Jahr des Michail Tal und der Troggs: Es war auch das Jahr des Attentäters Charles Whitman. Der US-Elitesoldat kletterte im August 1966 in Austin mit einem Präzisionsgewehr auf den Turm der Universität von Texas und erschoss 17 Menschen und verletzte Dutzende. Das sinnlose Attentat erschütterte die Welt und wurde Vorlage von Targets – Bewegliche Ziele von Peter Bogdanovich, einem Film, der auf ganz unheimliche Weise gegenwärtig erscheint.
Meštrović – Tal Sarajevo 1966 Der Sosin-Angriff gegen die sizilianische Verteidigung avancierte wegen Fischers Erfolgen zur Modevariante.
Ein mutiger Mann, dieser junge Jugoslawe, die heterogenen Rochaden künden von baldigen schweren taktischen Verwicklungen.
Ein riskanter Befreiungsversuch. Das ruhigere 10... Dc7 11.h3 (nach 11.f5 Sxd4 12.Lxd4 exf5 13.Thf1 Le6 14.Lb3 fxe4 15.Lxf6 Lxf6 16.Txf6 gxf6 17.Sxe4 f5 18.Dh5 fxe4 19.Dg5+ Kh8 muss Weiß zum Dauerschach greifen) 11... b5 12.Ld3 Ld7 13.Df2 Tfc8 14.g4 Sxd4 15.Lxd4 b4 16.g5 Se8 17.Se2 e5 18.Lb6 Db7 garantiert Schwarz gleiche Chancen. Weiß sollte die Spannung mit 11.Sf3 Sxe4 12.Sxe4 Dc7 aufrechterhalten. Dieser Ausfall sichert Schwarz bereits gutes Spiel.
Auch nach 14.The1 b5 15.Ld3 Ld6 steht Schwarz exzellent.
Die Komplexität nimmt sprungartig zu. Schlechter war 14... dxc4 15.Txd8 Lxd8 16.Sd2.
Vertrauenswürdiger sieht 15.Ld3 Lxd3 16.cxd3 aus.
Einer von Tals Schockzügen, die den Lauf der Partie jäh ändern. Es droht matt. Der Druck nimmt auch nach 23.Se5 Lxe5 24.fxe5 Tec8 nicht ab. Weiß startet angriff am
Die Partie steht Messers Schneide. Ein Verteidigungszug zum falschen Zeitpunkt. Weiß musste 29.h5 Ta4 30.hxg6 Lxg6 31.Sf5 versuchen. Schwarz kann dann nur mit 31… Dc4+ 32.Kb1 Lxb2! 33.Kxb2 Tb4+! 34.axb4 Dxb4+ ins ewige Schach einlenken. auf
Wer den GegenKönigsflügel.
mahlt
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