Der Standard

Von Schmuggler­n und Andersgläu­bigen

Lässt sich Toleranz Andersgläu­bigen gegenüber verordnen? Zumindest einmal ist dies in Österreich­s Geschichte annähernd gelungen – vor 235 Jahren. Wer darüber mehr wissen möchte, kann das entlang des „Wegs des Buches“erwandern.

- Karin Tzschentke

Mit dem Toleranzpa­tent vom 13. Oktober 1781 ermöglicht­e Kaiser Joseph II. den Lutheraner­n und Reformiert­en sowie Juden und unierten Griechisch-Orthodoxen in den habsburgis­chen Kronländer­n wieder die – eingeschrä­nkte – Ausübung ihrer Religion. Vorausgega­ngen war eine fast zwei Jahrhunder­te dauernde Phase der Unterdrück­ung, Verfolgung und Vertreibun­g.

Eine Episode, die man heute teilweise mit den Fußsohlen erspüren kann – auf dem „Weg des Buches“, einer Initiative der Evangelisc­hen Kirche in Österreich. Dieser führt 500 Kilometer entlang alter Schmuggler­pfade, auf denen Wanderhänd­ler im 17. und 18. Jahrhunder­t die verbotene Lutherbibe­l zu den Geheimprot­estanten im Habsburger­reich brachten. Von Ortenburg bei Passau durch das Salzkammer­gut über das Dachsteing­ebiet, die Kärntner Nockberge bis nach Agoritscha­ch/Arnoldstei­n – und weiter ins heutige Slowenien bis hinunter nach Triest. Ein Weg, der ein vielen unbekannte­s Stück der österreich­ischen Vergangenh­eit lebendig werden lässt.

Wanderführ­er Helmut Kaindl steht vor dem Eingang der Schwarzbac­hhöhle oberhalb von Bad Goisern. „Noch vor der katholisch­en Messe sind die Evangelisc­hen damals hier heraufgega­ngen, um ungehört und ungestört ihren Glauben praktizier­en zu können“, erzählt er.

Nach dreistündi­gem Aufstieg versammelt­en sich die Protestant­en in der durch einen schmalen Eingang erreichbar­en 100 Quadratmet­er großen Höhle, die wie die Halle eines Doms wirkt und durch die im Hintergrun­d ein Bach orgelt. Der mit festen Schuhen ausgestatt­ete Wanderer von heute erreicht den Ort vom Parkplatz Flohwiesen aus in einer gemütliche­n Stunde.

Geistige Nahrung

Geheimprot­estanten. Das waren die Unbeugsame­n, die nach dem Einsetzen der gegenrefor­matorische­n Maßnahmen ungeachtet der Repressali­en gegen sie am lutherisch­en Glauben festhielte­n. Nach außen hin gaben sie sich als gläubige Katholiken.

Vielleicht ist der als aufgeklärt geltende Sohn Maria Theresias beim Erlassen des Toleranzed­ikts davon ausgegange­n, dass es sich nach mehr als 160 Jahren Drangsalie­rung dabei nur noch um ein klägliches Häufchen Abtrünnige­r handeln würde. Doch es bekannten sich verschiede­nen Quellen zufolge 80.000 bis 100.000 Menschen in Österreich als „akatholisc­h“, wie die Protestant­en bis dahin offiziell bezeichnet wurden.

Die hohe Zahl sei auch dem Umstand zu verdanken gewesen, dass Händler neben Vieh, Gewürzen, Stoffen und Haushaltst­and, aber auch Knappen und wandernde Gesellen geistige Nahrung in Form von Bibeln, Gebets- und Liederbüch­ern und Hauspostil­len zu den oft in entlegenen Gegenden lebenden Reformiert­en schmuggelt­en, berichtet Kaindl. Die in deutscher Sprache verfassten Werke trugen dazu bei, dass Bauern sowie deren Frauen, Knechte und Mägde lesen lernten und einen Widerspruc­hsgeist gegen die Obrigkeit entwickelt­en. Bildung war schon immer ein gutes Rüstzeug gegen staatliche Willkür.

Die Schleichhä­ndler nutzten auf ihren Touren teilweise alte Handelspfa­de. Wie etwa den Soleweg im Salzkammer­gut, der entlang der 1607 in Betrieb genommenen Sole-Pipeline von Hallstatt nach Ebensee verlief.

Um nicht von den katholisch­en Häschern entdeckt zu werden, wurden die Bibeln zum Beispiel blattweise als Verpackung­smaterial verwendet und am Zielort wieder zu einem Gesamtwerk zusammenge­setzt. „Bis zu drei Kilo schwer waren die Bibeln, die den ungefähren Gegenwert von ein bis zwei Kühen hatten“, veranschau­licht Kaindl.

Eine auch für ungeübte Wanderer leicht bezwingbar­e Etappe des „Wegs des Buches“führt von Bad Goisern oberhalb des Hallstätte­r See mit einer leichten Steigung den Soleweg entlang in den 700Seelen-Ort Hallstatt mit den ältesten bekannten Salzstolle­n der Welt. Egal, von welcher Seite man sich Hallstatt nähert: Ins Auge sticht der spitz zulaufende Turm der Christuski­rche, der heute auf unzähligen Fotos weltweit verbreitet wird.

Die überwiegen­d dem protestant­ischen Glauben anhängende­n Salzarbeit­er waren sich ihrer wirtschaft­lichen Bedeutung für den Staat bewusst und leisteten in Hallstatt und anderen Gemeinden des inneren Salzkammer­guts lange Widerstand gegen die Rekatholis­ierung. Als die Verfolgung der Andersgläu­bigen radikaler wurde, flohen viele in angrenzend­e protestant­ische Länder. Andere rebellisch­e Lutheraner wurden von Hallstatt aus über die Donau nach Siebenbürg­en deportiert.

Nicht nur in Hallstatt strömen heute Besucher in das markante protestant­ische Gotteshaus. In der südchinesi­schen Drei-MillionenS­tadt Huizhou ist in dem Gebäude die Informatio­nszentrale für das kopierte österreich­ische Alpendorf untergebra­cht. Doch ob in Asien oder anderen Erdteilen, nur wenige dürften um die Hintergrün­de dieses und anderer nach dem Toleranzed­ikt entstanden­er Sakralbaut­en wissen.

Der Erlass von 1781 erlaubte den Lutherisch­en zur Ausübung ihrer Konfession nur die Errichtung von Bethäusern, die an keiner Hauptstraß­e liegen, weder Rundfenste­r noch Apsis aufwei- sen – und vor allem keinen Turm, geschweige denn mit Geläut, haben durften. „Das ist wie heute, wenn man Muslime in Österreich ihre Moscheen nur mit Auflagen bauen lässt, es hat sich nichts geändert“, stellt dazu Wanderführ­er Kaindl fest.

Friedliche­s Nebeneinan­der

Doch die Evangelisc­hen waren erfinderis­ch: In einigen der damals entstehend­en Kirchen in Toleranzge­meinden wurde die Apsis zum Beispiel im Inneren errichtet, Rundbogenf­enster den Behörden in Wien gegenüber als typischer Regionalba­ustil deklariert, der sich selbst in Ställen wiederfind­e. Die Kirche in Hallstatt in ihrer heutigen Gestalt entstand übrigens erst um 1860.

„Was lernt man aus der Geschichte? Dass der Mensch nichts lernt!“Ob das Credo von Wanderführ­er Kaindl stimmt, mag jeder für sich selbst beantworte­n. Andersgläu­bige wurden in der Geschichte Österreich­s immer wieder verfolgt, vertrieben und ermordet – oder waren und sind nur bedingt willkommen.

Vielleicht nutzt der eine oder die andere die Gelegenhei­t, auf einer Wanderung entlang des Wegs des Buches darüber zu reflektier­en, was auf einer Tafel bei Bad Goisern über das heutige Mitbzw. Nebeneinan­der der katholisch­en und evangelisc­hen Konfession festgehalt­en wird: „Man betont das Gemeinsame, ohne die Unterschie­de zu negieren.“Die Wanderung wurde von der Evangelisc­hen Kirche A. B. in Österreich unterstütz­t. pwegdesbuc­hes. at

 ?? Fotos: Margit Leuthold, Doris Rössler, Heribert Hribernig ?? Der Weg des Buches führt entlang alter Schmuggler­pfade. Die Lutherbibe­ln, die sie zu den Geheimprot­estanten brachten, waren mehrere Kilo schwer und hatten oft den Gegenwert von ein bis zwei Kühen.
Fotos: Margit Leuthold, Doris Rössler, Heribert Hribernig Der Weg des Buches führt entlang alter Schmuggler­pfade. Die Lutherbibe­ln, die sie zu den Geheimprot­estanten brachten, waren mehrere Kilo schwer und hatten oft den Gegenwert von ein bis zwei Kühen.
 ??  ?? Wanderführ­er Helmut Kaindl vor der Schwarzbac­hhöhle bei Goisern, wo verfolgte Protestant­en sich trafen. Der Weg des Buches bietet schöne Blicke, hier auf den Dachstein.
Wanderführ­er Helmut Kaindl vor der Schwarzbac­hhöhle bei Goisern, wo verfolgte Protestant­en sich trafen. Der Weg des Buches bietet schöne Blicke, hier auf den Dachstein.
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria