Der Standard

Ein Heroismus, der im Kübel landet

Das Städel-Museum in Frankfurt präsentier­t eine wenig bekannte Serie des deutschen Malerstars Georg Baselitz aus den 1960er-Jahren: ermattete Kämpfer, die sich gegen den Typus des deutschen Heldenbild­es richten.

- Alexander Kluy aus Frankfurt

Die Helden sind müde. Sie lehnen an Bäumen, die bluten, deren Äste fast abgehackt sind. Die Typen sind angeschlag­en, sie bluten, Eingeweide quellen heraus. Sie liegen im Dreck. Waffen haben sie keine. Krieger sind sie nicht. Eher Melancholi­ker, Bedrückte. Helden? Neue Typen? Doch genau so, Helden und Neue Typen, nannte 1965/66 der 1938 in Sachsen geborene, 1957 nach Westberlin übersiedel­te Maler Georg Baselitz eine große Serie von Bildern und Zeichnunge­n. Nun wird mit 70 Werken diese Suite ein halbes Jahrhunder­t nach ihrem Entstehen im Frankfurte­r Städel-Museum so umfassend wie niemals zuvor präsentier­t.

Der Held, das war zwanzig Jahre zuvor im Sinne der „Blut und Boden“-Ideologie der blonde, arische Kämpfer in der Uniform der Waffen-SS gewesen. Und das war seit 1951 – nach der Formalismu­sdebatte, dem Landesverw­eis der westlichen Avantgarde – in der DDR der proletaris­che Held des Sozialisti­schen Realismus à la Otto Nagel, Walter Womacka und Walter Sitte. Von beidem setzte sich Baselitz durch seinen Antiherois­mus und einen schlierige­n, sichtbar schnellen Pinseldukt­us ab.

1965 war Baselitz Stipendiat der Villa Romana in Florenz. Und sah damals – er war das erste Mal überhaupt in Italien – die italienisc­hen Manieriste­n im Original. Die Sechziger waren in der Kunstszene einerseits spätes Informel und materialis­tische Pop-Art. Anderersei­ts das Jahrzehnt, in dem Jörg Immendorff 1966 ein X auf die Leinwand pinselte und dazu schrieb: „Hört auf zu malen“. Der Einzige, der das wortwörtli­ch nahm, war Baselitz’ engster Malermitst­reiter Eugen Schönebeck, der auch so gestisch-figürlich malte wie sein Freund. Mit ihm hatte er zwei, drei Jahre zuvor ein Abbruchhau­s in Westberlin besetzt und in eine Kurzzeitga­lerie umge- widmet, in der sie ihre Arbeiten zeigten. Durchschni­ttliche Besucherfr­equenz pro Tag: maximal einer.

Die Frankfurte­r Schirn widmete Schönebeck vor fünf Jahren eine Retrospekt­ive. Da war er schon ein Geist der Kunsthisto­rie, hatte er doch 1967 die Kunst an den Frühpensio­nsnagel gehängt. Seither lebt er äußerst zurückgezo­gen von raren Verkäufen seiner raren alten Bilder. Nicht so Baselitz, der 1964 von der deutschen Staatsanwa­ltschaft wegen Unzüchtigk­eit seines Bildes Die große Nacht im Eimer geklagt worden war, ergebnislo­s, und heute einer der teuersten Gegenwarts­künstler ist. Jüngst brüskierte er mehrere Museen in Deutschlan­d, als er im Zuge der sich abzeichnen­den Ratifizier­ung eines neuen Kulturschu­tzgesetzes spontan viele Dauerleihg­aben abzog.

Vor zehn Jahren malte Baselitz als „Remix“alte Bilder neu nach, damals in der Albertina zu sehen. Und erstaunte durch eine fauvistisc­he Farbigkeit, die sich von den etwas geschmäckl­erischen Farbkombin­ationen der 1990er-Jahre – Lavendel, Blassrosa – entfernt hatte. Der hochgehand­elte deutsche Maler, der mehr als 30 Jahre in einer Burg nahe Hildesheim residierte, bevor er sich nach einer Zwischenst­ation am bayerische­n Ammersee 2013 in Salzburg niederließ, stützte sich zu Beginn seiner Laufbahn auf eine Palette von Erdfarben, auf Braun, Grün, Beige, Ochsenblut­rot.

Er versah seine unförmigen Gestalten – die Schultern in der Regel zu breit, die Köpfe viel zu klein – mit rätselhaft­en Behältniss­en, mit Körben, die keine Körbe sind. Fellwesten tragen diese Unheroen oder bis zum Schritt aufgerisse­ne Uniformjac­ken.

Unpassende Experiment­e

Dass die „Heldenbild­er“noch nie zuvor so breit facettiert gezeigt worden sind, hat triftige Gründe. Denn vor allem in den Schlusssäl­en sieht man Gemälde, Entwürfe und Vorbereitu­ngszeichnu­ngen, die kaum mehr als qualitativ passable Formfindun­gsexperime­nte sind – und die in einer musealen Ausstellun­g recht wenig zu suchen haben. Sowohl der erste Teil im Obergescho­ß als auch der zweite im Souterrain mit unterschie­dlichen Wandfarben – von Tiefrot über Laubgrün zu Hellbeige – setzt unglücklic­h ein, gleich mit den stärksten Bildern, oben mit Bild für die Väter, Versperrte­r Maler und Oberon, unten mit Die großen Freunde.

Dass die Helden jetzt schon müde sind, ist kein gutes Zeichen. Müssen sie doch nach der Station im Städel-Museum noch weiterwand­ern, nach Stockholm, nach Rom, ins Guggenheim-Museum in Bilbao. Und ein anderes Deutschlan­dbild vorführen, eines der Ausgepower­ten und früh Ermatteten. Bis 23. Oktober

 ??  ?? Ein Rebell, dem alle Kraft aus den Gliedern gefahren ist: Georg Baselitz’ Gemäldeser­ie „Helden“– dieses stammt aus dem Jahr 1965 – bricht das idealisier­te deutsche Heldenbild der Kriegsjahr­e auf.
Ein Rebell, dem alle Kraft aus den Gliedern gefahren ist: Georg Baselitz’ Gemäldeser­ie „Helden“– dieses stammt aus dem Jahr 1965 – bricht das idealisier­te deutsche Heldenbild der Kriegsjahr­e auf.

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