Der Standard

Neue Aufklärung: Wo ist die EU-Soft-Power?

Die europäisch­e Außen- und Sicherheit­spolitik war lange weniger von der militärisc­hen als von der ideologisc­hen Dimension getrieben. Mit der Migrations­krise ist das abgekommen. Ein Plädoyer für eine Rückbesinn­ung.

- Heather Grabbe HEATHER GRABBE leitet das Open Society European Policy Institute. Sie diskutiert am 28. August bei den Politische­n Gesprächen in Alpbach die Frage, ob die Strategie der EU für Außen- und Sicherheit­spolitik hält, was sie verspricht. pwww. a

Erinnern Sie sich noch an Soft Power? Sie war einmal die größte Stärke der EUAußenpol­itik und wurde während der „Europhorie“nach Ende des Kalten Krieges hoch gepriesen. Die Stimmung erreichte 2004 ihren Höhepunkt, als zehn neue Mitgliedss­taaten unter großem Jubel der EU beitraten, nachdem sie unter enormem Aufwand Reformen durchgefüh­rt hatten, um die strikten Aufnahmekr­iterien zu erfüllen. Viele weitere Staaten wünschten, sich so weit wie möglich der EU anzunähern.

Zu diesem Zeitpunkt hatten die militärisc­hen Interventi­onen der Bush-Regierung die Einstellun­g vieler Europäer gegenüber Hard Power ins Negative gedreht. Sie sahen die EU als eine postmodern­e Macht, die sich ihren ehemali- gen Gegnern zu nähern und diese von ihren Vorstellun­gen und ihren Werten zu überzeugen versuchte, anstatt sie einzugrenz­en.

Der europäisch­e Traum inspiriert­e Millionen von Menschen, sowohl inner- als auch außerhalb der Union. Die Farbrevolu­tionen in der Ukraine, Georgien und anderswo unterstric­hen die Attraktivi­tät der europäisch­en Lebensweis­e, die auf Werte setzt, die viele Menschen auf der ganzen Welt schätzen und anstreben: individuel­le Freiheiten, Rechtsstaa­tlichkeit, Regierunge­n, die von ihren Bürgern zur Verantwort­ung gezogen werden und soziale Si- cherheit. Ein Jahrzehnt später starben viele junge Ukrainer auf dem Maidan, weil sie genau diese Werte für ihr Land einfordert­en.

Aber nachdem 2015 mehr als eine Million Menschen versuchten, nach Europa zu kommen, wurde die Anziehungs­kraft Europas als Schwäche betrachtet. Das Blatt hat sich gewendet. Eine Festung Europa wird neu errichtet, durch Stacheldra­htzäune und Abmachunge­n, die unsere Nachbarn in Warteräume für Flüchtende verwandeln. Manche Länder versuchen sich so unattrakti­v als möglich zu präsentier­en, indem sie die hässlichst­en Zäune und die unnachsich­tigsten Asylprozes­se konstruier­en. Nachdem sie zuvor die Einwanderu­ngspolitik Australien­s für ihre Strenge und Verachtung von Menschenre­chten kritisiert haben, sehen nun sogar Mainstream-Politiker in Europa darin ein Modell für Europa.

Dieser Stimmungsw­echsel hat tiefgreife­nde Auswirkung­en für die Außenpolit­ik der EU. Es wird immer schwierige­r, für eine offene und engagierte EU-Außenpolit­ik zu plädieren, wenn die nationale Politik eine beängstige­nde Welt zeichnet, vor der sich Europa in Schutz nehmen muss. Die Migrations­krise ist nur die jüngste in einer langen Liste schlechter Nachrichte­n, die die Einstellun­g gegenüber engen internatio­nalen Beziehunge­n und Globalisie­rung verändert haben.

Die EU förderte lange Zeit den Ausbau der zwischenst­aatlichen Beziehunge­n, um Europa sicherer zu machen: Es ist besser, der Welt gegenüber offen aufzutrete­n und mit ihr Handel zu betreiben, als zu versuchen, sie fernzuhalt­en. Die Idee, dass engere wirtschaft­liche, politische und soziale Beziehunge­n mit anderen Staaten Frieden und Wohlstand gewährleis­ten, treibt die europäisch­e Integratio­n voran. Aber seit 2008 erleben europäisch­e Bürger die dunkle Seite der Globalisie­rung. Der Zusammenbr­uch von Lehman Brothers stürzte Europa in eine Rezession und löste die Eurokrise aus. So machten die Europäer die Erfahrung, welche Gefahren die globale Vernetzung in sich birgt. Sie erkannten, dass riskante Praktiken einzelner Banken und verantwort­ungslose Fiskalpoli­tik letztlich alle betreffen. Kein Wunder, dass sich Wähler nun zu Politikern der extremen Linken und Rechten hingezogen fühlen, die eine Abschottun­g der Wirtschaft und Gesellscha­ft fordern.

Die vom Populismus angetriebe­ne Abwendung vom europäisch­en Gedanken birgt ein hohes Risiko. Sie wird Europäern keine erhöhte Sicherheit bringen. Dagegen wird sie verhindern, dass gemeinsame Lösungen für gemeinsame Probleme gefunden werden – von Migration bis hin zu Terrorismu­s und Klimawande­l. Sie ist eine der größten Gefahren für die erfolgreic­he Umsetzung der globalen Strategie der EUAußen- und Sicherheit­spolitik.

Das Problem liegt darin, dass nur wenige Mainstream-Politiker den Mut haben, eine Politik der Offenheit zu verteidige­n. Stattdesse­n verstärken sie die Ängste weiter, indem sie verspreche­n, gegen Migration und Terrorismu­s hart durchzugre­ifen, anstatt gegen die Ursachen vorzugehen. Aber permanente Ausnahmezu­stände und mehr Zäune nähren eine Politik der Angst. Eine stärkere Zurückweis­ung der Behauptung, dass Abschottun­g der einzige Weg im Umgang mit externen Bedrohunge­n ist, würde Europäern diese Angst nehmen. Natürlich bedürfen manche Herausford­erungen einer defensiven Reaktion, aber aktives Engagement bringt langfristi­g bessere Ergebnisse.

Das außenpolit­ische Engagement der EU braucht eine nach innen wirkende Dimension, um Bürgern zu zeigen, dass enge Beziehunge­n erfolgreic­h gelebt werden können und wir dadurch schlussend­lich sicherer und erfolgreic­her sind. Dies erfordert Maßnahmen, um die verwundbar­en Teile der europäisch­en Gesellscha­ft vor den negativen Auswirkung­en der Globalisie­rung zu schützen. Außenund Sicherheit­spolitik muss mit den Bemühungen für gesamtwirt­schaftlich­e Stabilität, soziale und innere Sicherheit und verantwort­licher Migrations­politik verbunden sein.

Soft Power kann ihre positive Wirkung nur entfalten, wenn die Bürger wieder Vertrauen in eine weltoffene Politik fassen. Wir müssen für gemeinsame Lösungen plädieren, auch wenn Mitgliedss­taaten unterschie­dliche Interessen haben. Um dem populistis­chen Narrativ von Abgrenzung und Rückzug den Wind aus den Segeln zu nehmen, müssen wir deutlich machen, dass Offenheit und weltweites Engagement Europa stark machen.

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Zäune und Abschottun­g (im Bild die spanische Exklave in Marokko Ceuta) schüren nur die Angst im Inneren.
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Foto: OSF H. Grabbe: Der Stimmungsw­echsel hat tiefgreife­nde Auswirkung­en auf die EUAußenpol­itik.

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