Der Standard

Kleider, Musik und Jungs

Als der Punk weiblich wurde: Viv Albertine blickt auf ihr Leben zurück.

- Alexander Kluy

Um es gleich zu sagen: ein cooles Buch. Vielleicht eines der coolsten Musikbüche­r der letzten Jahre. Nein, garantiert eines der coolsten. Dabei will es gar nicht cool sein. Und wer einmal Viv Albertine erlebt hat, weiß, dass sie alles ist, nur nicht unnahbar. Vielmehr eine ungemein freundlich­e, gut aussehende, völlig komplexfre­ie Frau, witzig und umgänglich. Und das können nicht viele Punkmusike­r von sich sagen und die letzten Überlebend­en des Punk von sich behaupten.

Es verwundert nicht, dass A Typical Girl, ihr „Memoir“, im hochlitera­rischen Londoner Faber-&Faber-Verlag erschien und dass der hochlitera­rische Suhrkamp-Verlag die gelungene Eindeutsch­ung von Conny Lösch herausbrin­gt, nur leider dabei den viel besseren, treffender­en sinnigeren Titel der Originalau­sgabe Clothes, clothes, clothes. Music, music, music. Boys, boys, boys durch einen Songtitel aus der Slits-Zeit ersetzt hat.

Es ist ein feiner, weil mit viel Witz, ein sensibler, da eindringli­ch geschriebe­ner Rückblick auf gelebte 60 Jahre. Von der Familie, die ihr liebesunfä­higer korsischer Vater sitzen lässt, über die abgebroche­ne Kunstschul­e zum DIYEinstie­g in Londons Musikszene. Die Hauptstadt Britannien­s ist in den Siebzigern noch dreckig, abgeranzt, mit ein paar Pfund lässt es sich gut leben.

Sie freundet sich eng an mit Sid Vicious, als er Albertines erste Band The Flowers of Romance killt, mit Mick Jones, der gerade The Clash gründet, mit Malcolm McLaren und Vivienne Westwood. Erlebt die ersten Auftritte der Sex Pistols in Reihe eins. Und steigt 1977 als Gitarristi­n in die erste rein weibliche Punkband, The Slits, ein. Tourt. Übernimmt die Organisati­on. Und sieht, wie im November 1981 alles endet. Hält sich, es sind schließlic­h die 80er, zwei Jahre als Aerobic-Kursleiter­in über Wasser.

Studiert dann Film. Ist zehn Jahre lang Regisseuri­n. Heiratet. Bekommt eine Tochter. Zieht mit Grafikerma­nn ins südostengl­ische Hastings. Ist Hausfrau, Mutter. Und unglücklic­h. Übersteht eine Krebserkra­nkung. Greift nach 20 Jahren wieder zur Gitarre. Lernt alles wieder, auf die harte Tour, singt sich durch Open Mikes in südenglisc­hen Pubs. Singt mehr. Lässt sich scheiden. Verliebt sich wieder, verheerend, in einen Psycho. Macht wieder, zurück in London, Musik. Hat Erfolg. Kämpft, komponiert, geht aus, nimmt eine Soloplatte auf. Und sieht am Ende immer mehr Freunde sterben.

Es ist weit mehr als nur ein Einund schöner Rückblick auf prädigital­e, ordentlich verdrogte, heimelig desorganis­ierte und PR-ferne Musikzeite­n. A Typical Girl ist ein hochsympat­hischer Entwicklun­gsroman, gänzlich unverstell­t, und war für Viv Albertine, die hochkant ihren Manager hinauswarf, weil er ihr eine profession­elle Ghostwrite­rin auf die Nase binden wollte, was für sie nicht infrage kam, über viele Passagen hinweg genauso schmerzhaf­t zu schreiben, wie er für uns zu lesen ist. Dann wiederum gibt es verschmitz­te, peinliche und zum Brüllen komische Szenen.

Viv Albertine, „A Typical Girl“. Aus dem Englischen von Conny Lösch.“€ 18,50 / 480 Seiten. Suhrkamp, Berlin 2016

Hinweis: Viv Albertine liest am 9. und 10. September bei den 14. Literaturt­agen Sprachsalz in Hall in Tirol. www.sprachsalz.com

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