Der Standard

Wohnbau auf dem Land: Interview mit Wohnbaufor­scher Wolfgang Amann

Leerstehen­de geförderte Wohnungen auf dem Land sollten abverkauft werden, sagt Wohnbaufor­scher Wolfgang Amann. Die Zersiedelu­ng ist für ihn eine „Katastroph­e“, in leeren Einfamilie­nhäusern sieht er eine „Zeitbombe“.

- INTERVIEW: Martin Putschögl

Standard: In den Ballungsrä­umen herrscht starker Zuzug, die Preise gehen nach oben, Wohnungen fehlen. In Landgemein­den stehen hingegen sogar viele geförderte Wohnungen leer. Woran liegt das? Amann: In vielen Flächenbun­desländern steht die Entwicklun­g des ländlichen Raumes ganz oben auf der Prioritäte­nliste der Politiker. Kritische Aspekte passen da schlecht ins Bild. Ich möchte betonen, dass es legitim und rechtlich völlig gedeckt ist, mit Mitteln der Wohnbauför­derung Regionalpo­litik zu machen. Aber was den geförderte­n Wohnbau betrifft, gab es in einzelnen ländlichen Regionen eine gewisse Überproduk­tion. Die Strategie, quasi flächendec­kend geförderte­n mehrgescho­ßigen Wohnbau anzubieten, war zwar durchaus sinnvoll, heute sollte man sich aber genau anschauen, ob dieses Programm nicht als abgeschlos­sen angesehen werden sollte. Wir haben in fast allen Gemeinden Mehrwohnun­gsbauten und eine nicht unerheblic­he Leerstands­problemati­k mit über 1000 leerstehen­den Wohnungen allein in Niederöste­rreich.

Standard: Gibt es dagegen Vorschläge Ihrerseits? Amann: Mein Vorschlag ist, dass man den Gemeinnütz­igen den Verkauf ihrer Wohnungen an Private unter dem Buchwert erlaubt oder auch eine Vermietung unterhalb der kostendeck­enden Mieten. Dafür müsste man das Wohnungsge­meinnützig­keitsgeset­z (WGG) ändern. Denn in struktursc­hwachen Regionen liegt nach zehn Jahren, wenn eine Kaufoption schlagend wird, oft der Buchwert einer Wohnung über dem Marktwert. Das heißt, die Genossensc­haft kann den Preis, den sie laut WGG verlangen muss, gar nicht lukrieren. Mit einem Verkauf unter Buchwert wäre ein permanente­r Verlustbri­nger weg – denn jeder Leerstand kostet Geld. Standard: Das dahinterst­ehende Problem ist wohl, dass Einfamilie­nhäuser auf dem Land oft sehr günstig zu haben sind und der mehrgescho­ßige Wohnbau schon rein preislich damit nicht konkurrier­en kann. Amann: Absolut. Mit dem Kostendeck­ungsprinzi­p und dem Faktum, dass sie mit Ausschreib­ung und gewerblich­en Dienstleis­tungen bauen müssen, kommen Gemeinnütz­ige kostenmäßi­g mit Einfamilie­nhäusern kaum mit. Im ländlichen Raum – also in kleineren Gemeinden – baut derjenige, der einigermaß­en gut finanziell ausgestatt­et ist, ohnehin selbst oder übernimmt das elterliche Haus bzw. baut daran.

Standard: Und das dann oft ebenfalls mit Förderung. Amann: Ja, wobei sich da schon etwas verändert hat. Der Förderungs­durchsatz, also der Prozentsat­z jener Einfamilie­nhäuser, die mit Förderung errichtet werden, ist massiv zurückgega­ngen. Noch vor einigen Jahren lag er bei 80 bis 90 Prozent, mittlerwei­le liegt er deutlich unter 30 Prozent. Das heißt, die Mehrzahl der Eigenheime wird ohne Förderung gebaut. Und die Baubewilli­gungen sind sehr stabil. Der Verzicht auf die Wohnbauför­derung führt also nicht zu einem Rückgang des Neubaus. Man könnte es auch so sehen, dass damit erst recht bewiesen ist, dass die Förderung nicht notwendig war, um den Neubau von Eigenheime­n aufrechtzu­erhalten. Aber natürlich sind die ganzen Lenkungsef­fekte weg. Wir haben da viel zu lange zugeschaut, wie die nichterneu­erbare Ressource Landschaft verbraucht wird. Es gibt einige Regionen, zum Beispiel mein Heimatbund­esland Vorarlberg, wo nahezu jeder Fleck zugepflast­ert wird. Das ist katastroph­al. Diese baulichen Strukturen stehen quasi auf Dauer in der Landschaft, der Rückbau ist eine fast nicht bewältigba­re Aufgabe. Dieser Prozess ist kaum umkehrbar, das ist eine sehr bedenklich­e Entwicklun­g. Die Wohnbauför­derung sollte viel stärker in Richtung Verdichtun­g auch im ländlichen Raum gehen.

Standard: Wie groß ist das Problem leerstehen­der Einfamilie­nhäuser? Amann: Das ist ganz eindeutig eine tickende Zeitbombe. Es gibt eine zunehmende Zahl von Häusern, deren Errichterg­eneration nicht mehr lebt oder schon in ein Heim oder eine kleinere Wohnung umgezogen ist. Der Erbe wohnt auch nicht dort, sondern in der Stadt, kommt alle zwei Monate vorbei, um den Rasen zu mähen und die Fenster zu putzen. Noch ist es nicht so oft sichtbar, dass so ein großer Anteil an Häusern leersteht. Aber wenn das zunimmt, die Zahl steigt, wird das ein erhebliche­s Problem. Das ist auch kein Käufermark­t, die Häuser sind oft kaum verkäuflic­h, oft ist kaum mehr als der Grundstück­spreis drin.

Standard: Ist den Gemeinden das Problem in ausreichen­dem Maß bewusst?

Amann: Die Gemeinden kämpfen sehr darum, Hauptwohns­itzer zu bekommen, weil sie dann mehr Geld aus dem Finanzausg­leich kriegen. An diese Einfamilie­nhäuser kommt man aber nicht ran. Auch wenn die nur sehr selten benützt werden, tun sich die Eigentümer im Regelfall das Vermieten nicht an. Das Mietniveau ist sehr niedrig, und rechtlich ist das schwierig. Für einen Privaten ist das definitiv kein Businessca­se.

Standard: Wenn die Raumordnun­g strenger gehandhabt wird, wäre dann auch freifinanz­ierter Wohnbau auf dem Land möglich?

Amann: Nicht in Kleingemei­nden, aber für die Mittelstäd­te wäre das schon eine Alternativ­e. Da sind viele Leute so finanzstar­k, dass sie in Eigentum gehen wollen, und gleichzeit­ig ist es für diese Städte sicherlich strukturel­l nicht wünschensw­ert, wenn alle in Richtung Eigenheim gedrängt werden. Um das ganze Thema zu begreifen, muss man aber ein wenig zurückscha­uen. In der Nachkriegs­zeit war die ÖVP die Advokatin für Eigentum, die SPÖ jene für Miete. 1994 hat man mit dem Mietkaufmo­dell eine quasi salomonisc­he Lösung gefunden, bei der beide Seiten etwas gekriegt haben, man also die zwei Positionen miteinande­r verquickt hat. Eine der Folgen des Modells war aber, dass Eigentumsw­ohnungs förderung damit mehr oder weniger tot war. Seither ist die Zahl der geförderte­n Eigentumsw­ohnungen massiv zurückgega­ngen. Dabei hätte das interessan­te Perspektiv­en. Speziell im urbanen Raum könnte man mit geförderte­n Eigentumsw­ohnungen, wenn diese in relevanter Zahl auf den Markt kommen, den gewerblich­en Immobilien­markt beeinfluss­en. Das wäre also ein Instrument, um die davon galoppiere­nden Preise etwas einzufange­n.

WOLFGANG AMANN (52) ist Eigentümer und Geschäftsf­ührer des Instituts für Immobilien, Bauen und Wohnen (IIBW) mit Sitz in Wien.

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Die Vermietung von Einfamilie­nhäusern ist rechtlich schwierig.
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Foto: IIBW Amann: „Mehr Verdichtun­g auch im ländlichen Raum.“

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