Der Standard

Krieg gegen Kulturgüte­r vor dem Haager Gericht

Es gehe nicht nur um „Mauern und Steine“, betont die Chefin des Internatio­nalen Strafgeric­htshofs, Fatou Bensouda. Doch dass ihre Behörde in Ermittlung­en zum Krieg in Mali Angriffe auf Kulturgüte­r vor jenen an Menschen behandelt, sorgt auch für Kritik.

- Manuel Escher

Den Haag / Bamako / Wien – Der Krieg, der seit 2012 im Norden Malis tobte, gilt als weitgehend unaufgearb­eitet. Etwa ist nicht bekannt, wie viele Menschen den Kämpfen zwischen islamistis­chen Gruppen, Tuareg, malischer Regierung und internatio­nalen Einheiten genau zum Opfer gefallen sind. Auch die Zahl der zeitweilig und noch immer Vertrieben­en ist vage, sie dürfte aber bei mehr als 350.000 liegen (siehe unten). Bekannt ist, dass es viele Übergriffe auf Zivilisten gegeben hat – nicht nur, aber vor allem die radikalen Islamisten verübten Vergewalti­gungen, Morde, Zwangsverh­eiratungen.

Doch der erste Prozess, den der Internatio­nale Strafgeric­htshof ICC anstrengt, gilt nicht ihnen. Stattdesse­n muss sich der Angeklagte Ahmed al-Faqi al-Mahdi im heute, Montag, startenden Hauptverfa­hren wegen der Zerstörung von Kulturgüte­rn verteidige­n, die von der Unesco zum Weltkultur­erbe gezählt werden. Der heute rund 40-Jährige soll im Sommer 2012 die Zerstörung von islamische­n Heiligengr­äbern in der Oasenstadt Timbuktu angeleitet haben. Die Beweisführ­ung dürfte nicht schwerfall­en. Die Islamisten­miliz Ansar Dine – eine Tuareg-Gruppe mit Verbindung­en zur Al-Kaida – hatte die Tat damals auf Video aufgezeich­net.

Mit der Hacke auf das Grab

In den Clips ist tatsächlic­h der frühere Ausbilder al-Mahdi zu sehen. Er gibt Anweisunge­n, während andere mit Hacken und Schaufeln auf die Heiligtüme­r einschlage­n. Ansar Dine waren die Mausoleen – von Einheimisc­hen jahrhunder­telang gehütet – ein Dorn im Auge, weil die Gruppe in ihrer Verehrung einen Verstoß gegen den strengen Monotheism­us sah. Al-Mahdi hat schon in einem Vorverfahr­en zu erkennen gegeben, dass er sich schuldig bekennen werde.

An den aufsehener­regenden Brandstift­ungen in der historisch­en Bibliothek von Timbuktu soll al-Mahdi nicht beteiligt gewesen sein. Auch dieses Verbrechen, das Islamisten kurz vor ihrer Vertreibun­g durch internatio­nale Truppen 2013 begingen, will der ICC aber streng verfolgen. Das Gericht sieht die Verfahren – die ersten ihrer Art – als Warnung gegen andere Gruppen, die sich an der Geschichte vergehen – als Signal etwa an Mitglieder des „Islamische­n Staates“(IS), dessen Kämpfer in Syrien und im Irak römische Altertümer (etwa Palmyra) und heilige Stätten anderer Religionen und Konfession­en zerstören.

Ob sich diese von der drohenden Gefahr einer Strafverfo­lgung in Den Haag beeindruck­en lassen, ist freilich unklar – und die vorrangige Behandlung der Verbrechen an Steinen gegenüber jenen an Menschen daher Gegenstand von Kritik. Die ICC-Chefankläg­erin Fatou Bensouda argumentie­rt, es gehe keineswegs nur „um Mauern und Steine“, sondern um „kaltschnäu­zige Attacken auf die Würde und die Identität ganzer Bevölkerun­gsgruppen und deren religiöse und kulturelle Geschichte“. Bekannt ist auch, dass besonders Unesco-Chefin Irina Bokowa immer wieder auf schnelle Verfahren in der öffentlich­keitswirks­amen Angelegenh­eit gedrängt hatte. Sie befindet sich derzeit im Wahlkampf um den Posten der UN-Generalsek­retärin.

Prekäre Lage

Inzwischen sind einige Gräber mit internatio­nalen Geldern wiederaufg­ebaut worden. Die Sicherheit­slage in der Region bleibt über drei Jahre nach dem französisc­hafrikanis­chen Einsatz gegen den damaligen Islamisten­staat Nordmali aber äußerst prekär.

Die UN-Truppe Minusma, die aus dem Einsatz hervorging, ist mit mehr als 11.000 Soldaten und 1500 Polizisten noch immer der drittgrößt­e UN-Blauhelmei­nsatz der Welt. Zusätzlich sind mehr als 500 Polizisten – darunter acht aus Österreich – auf Ausbildung­smission in Bamako. Trotzdem gibt es im Norden immer wieder Kämpfe. Der Friedensve­rtrag mit verschiede­nen TuaregGrup­pen ist brüchig, die Gefahr einer weiteren Rebellion nicht gebannt. Scheitern wäre fatal: Die Rebellion der Tuareg 2012 hatte jene Ereigniske­tte in Bewegung gesetzt, die mit der Ausrufung eines von Islamisten kontrollie­ren Gebietes endete.

Zugleich haben Terrorgrup­pen ihren Aktionsrad­ius in den Süden erweitert. Anschläge in der Hauptstadt Bamako – und in Malis Nachbarsta­aten – häuften sich zuletzt.

Und auch mit Malis demokratis­ch gewählter Regierung wächst die Unzufriede­nheit. Wie überall in der Region sind vor allem die Jungen mit Stillstand und Korruption unzufriede­n. Vergangene Woche gab es Großprotes­te, nachdem die Polizei vorübergeh­end einen Radiomoder­ator verhaftet hatte, der für beißende Kritik an Präsident Ibrahim Boubacar Keita bekannt ist.

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Foto: AFP Die Zerstörung der jahrhunder­tealten Heiligengr­äber in Timbuktu zeichneten islamistis­che Milizen 2012 auf Video auf.

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