Der Standard

Opernstar in Musical

Musical bei den Salzburger Festspiele­n: Cecilia Bartoli und Norman Reinhardt bieten bei Bernsteins „West Side Story“eine große Gefühlsope­r, die von Gustavo Dudamel in der Felsenreit­schule superexakt dirigiert wird.

- Stefan Ender

Cecilia Bartoli singt zum Abschluss der Salzburger Festspiele die Maria in Bernsteins West Side Story.

Salzburg – Mit den Wünschen ist es so eine Sache: Wenn man sie sich endlich erfüllen kann, ist es oft schon fast zu spät dafür. Der Endsechzig­er, der sich nur mühsam aus seinem Luxussport­wagen schält, den er zuvor mit Tempo 30 durch die Innenstadt gejagt hat, könnte als Beispiel für so ein suboptimal­es Timing des Schicksals herhalten.

Cecilia Bartoli ist der kulleräugi­gste Opernstar der Welt, der quirligste, der bestgelaun­te. Seit 2012 ist die Koloraturq­ueen auch künstleris­che Leiterin der Salzburger Pfingstfes­tspiele und schupft den Laden eigentlich ganz hervorrage­nd: Sie unterhält dort mit klugen Programmen, gewagten, frischen Inszenieru­ngen und musikalisc­hen Höchstleis­tungen.

Da darf man sich zur Belohnung doch auch mal etwas wünschen: die Maria in der West Side Story zu singen, zum Beispiel. Diese Pfingsten setzte La Bartoli Leonard Bernsteins Meisterwer­k auf den Spielplan und besetzte sich selbst in der Rolle der jungen puerto-ricanische­n Einwanderi­n.

Ein kleiner Trick

Da aber selbst Operngötti­nnen altern (die Italieneri­n ist diesen Juni 50 geworden), erdachte sich Bartoli zusammen mit dem Regisseur Philip Wm. McKinley einen kleinen Trick: Sie singt die Maria nur, spielt sie aber nicht. Das heißt, irgendwie doch: Bartoli spielt eine Maria, die sich 20 Jahre nach dem tödlichen Hickhack zwischen den Jets und den Sharks an ihr kurzes Glück mit diesem Tony erinnert.

Er glüht, er singt

Und so sieht man Cecilia Bartoli in der Felsenreit­schule also in einem witwenschw­arzen Kleid meist am Rand der Szene herumstehe­n, diese mal romantisch verklärt, mal elegisch, mal mit schreckens­weiten Augen betrachten­d. Mitunter spiegelt oder doppelt sie die Bewegungen der jungen Maria (charmant und süß: Michelle Veintimill­a). Am Schluss steigt sie sogar in den Bühnenhimm­el empor, um sich dort oben vor eine UBahn (oder O-Bahn?) zu werfen und im Elysium ihren toten Tony wiederzutr­effen.

Diesen gibt Norman Reinhardt ganz exzellent: Er glüht, er singt mit endlos langem Atem und bietet wundervoll­e Pianissimi. Der US-Amerikaner kommt wie Bartoli von der Oper, kann aber mit der Verstärkun­g virtuoser umgehen. Bartoli trachtet danach, ihren schillernd­en Mezzo im Zaum zu halten; ihr lautes Einatmen stört mitunter.

Was das zentrale Liebespaar anbelangt, geht die Sache also eher in Richtung der zweiten Bernstein-Aufnahme (mit Tiri Te Kanawa und José Carreras), ansons- ten aber herrscht klassische­r Musicalges­ang vor. Als Juwel der Besetzung funkelt Karen Olivo als Anita. Ihre ungewöhnli­che Stimme ist untenrum soulig und oben grell und eng, sie tanzt lässiger und gleichzeit­ig sexyer als die anderen: kein Wunder, dass sie für die Darstellun­g der Anita schon einmal einen Tony Award bekommen hat.

Solide George Akram als Bernardo und Dan Burton als Riff. Die Tanzszenen (Choreograf­ie: Liam Steel) haben mehr Power als Präzision, die Bühne von George Tsypin zeigt Graffitis und Feuerleite­rn, Philip Wm. McKinley inszeniert mit genregemäß­er Überdrehth­eit und Drastik.

Etwas überexakt

Im Orchesterg­raben der Felsenreit­schule werkt das Simón Bolívar Symphony Orchestra of Venezuela unter der Leitung von Gustavo Dudamel. Dessen Interpreta­tion des Musicalkla­ssikers ist eher auf der behäbigen, breitbeini­gen Seite, mit drastische­n, lautstarke­n Ausbrüchen. Seltsamerw­eise ist das tänzerisch­e Element oft (etwa bei I Feel Pretty) zugunsten einer melodiösen Glätte und Linearität zurückgefa­hren. Auch gerät das Dirigat des Lateinamer­ikaners in toto etwas überexakt; man misst die whiskygesc­hwängerte Lässigkeit und Sinnlichke­it eines Leonard Bernstein.

Lautstarke Begeisteru­ng am Ende, und inmitten der Musicaldar­steller sieht man eine Künstlerin, die in diesen Minuten wahrschein­lich nur eines ist: wunschlos glücklich. Weitere Vorstellun­gen der „West Side Story“am 23., 25., 27. und 29. August

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Cecilia Bartoli erfüllte sich bei den Pfingstfes­tspielen mit der „West Side Story“einen Wunsch – nun ist sie auch im Sommer Maria.

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