Der Standard

Ein Anschlag auf die Seele der Türkei

Eine Hochzeit gilt den meisten in der Türkei als der wichtigste Moment im Leben. Nun ist auch eine Hochzeitsf­eier auf der Straße zum Ziel eines Selbstmord­anschlags geworden. Zwischen Terror und Säuberungs­wellen kommt das Land nicht mehr zur Ruhe. US-Vizep

- Markus Bernath

Nach dem Putsch ist es wie vor dem Putsch. Der Terror hat ihr Land fest in der Hand, dies müssen die Türken bitter nach einer Woche mit vier Anschlägen feststelle­n. Dreimal schlug die kurdische Untergrund­armee mit Autobomben zu, tötete zwölf Menschen, darunter auch ein Kind, und verletzte Hunderte.

Der vierte Anschlag Samstagnac­ht aber wird der Terrormili­z „Islamische­r Staat“(IS) zugeschrie­ben. Nicht Polizeiwac­hen waren sein Ziel, sondern eine kurdische Hochzeitsf­eier auf der Straße. „Sie haben unsere Hochzeit in ein Blutbad verwandelt“, wurde Besna Akdogan zitiert, die Braut. Sie ist am Sonntag noch im Hochzeitsk­leid aus einem Spital in Gaziantep gerollt worden. Die Braut, ebenso wie ihr Mann Nurettin, wurden leicht verletzt und kamen nach Hause. Doch zumindest 50 Hochzeitsg­äste sollen getötet worden sein, 94 wurden verletzt.

Tayyip Erdogan überrascht­e die Öffentlich­keit am Sonntag mit der Nachricht, der Selbstmord­attentäter, der sich unter die Hochzeitsg­äste gemischt hatte, sei ein Jugendlich­er gewesen, „zwischen zwölf und 14 Jahren alt“.

Dem Staatspräs­identen und seiner Regierung war die Schuld für die Serie von Terroransc­hlägen des IS gegeben worden. Mit ihrer verfehlten Politik gegenüber Bashar al-Assad, ihrer Einmischun­g in den Bürgerkrie­g im Nachbarlan­d, ohne die militärisc­hen und politische­n Mittel dafür zu haben, hätten Erdogan und seine Regierung den Terror ins Land geholt, so lautete zuletzt immer hörbarer der Vorwurf. Doch das war vor dem Putsch vom 15. Juli, der die Türkei auf den Kopf gestellt hat.

Nichts unterschei­de den Terror von FETÖ, PKK und Daesh, erklärte Erdogan nun in einer ersten Reaktion auf den Anschlag in Gaziantep: Das Netzwerk des Predigers Fethullah Gülen, der den Putsch organisier­t haben soll, die Arbeiterpa­rtei Kurdistans und Daesh, das arabische Kürzel für die Terrormili­z IS – sie alle bedrohten die Türkei. Und gegen alle drei sollten auch die ausländisc­hen Staaten kämpfen, die sich Partner der Türkei nennen.

Ein kurzer Besuch

Der wichtigste dieser Partner kommt diese Woche. US-Vizepräsid­ent Joe Biden reist am Mittwoch in die Türkei, um eine politische Formel für das derzeit drängendst­e Thema zwischen Washington und Ankara zu finden: die Auslieferu­ng Fethullah Gülens aus den USA. Seit 1999 lebt der Prediger – lange Zeit ein politische­r Verbündete­r Erdogans – im selbstgewä­hlten Exil in Pennsylvan­ia.

Biden aber bleibt nicht einmal über Nacht. Es wird nur ein kurzer Besuch sein, wird in Ankara vermerkt. Wahre Freunde benehmen sich anders, soll das heißen. Die Amerikaner werden sich für Gülen oder für die Türkei entscheide­n müssen, hat Erdogan schon in Reden gesagt. Die antiamerik­anische Stimmung im Land schlägt seit Wochen hohe Wogen. In einem Land, das sich von Verschwöru­ngstheorie­n ernährt, hat die Mehrheit der Bürger nicht den geringsten Zweifel, dass der CIA und Barack Obama einen Umsturz in der Türkei planten.

Seit Wochen wiederhole­n Spre- cher im Weißen Haus und im USAußenmin­isterium wie tibetanisc­he Gebetsmühl­en, dass eine Auslieferu­ng ein Rechtsverf­ahren sei mit klar gesetzten Regeln und nicht etwas, das man mit einem Anruf bei Obama erledigt. Ein Expertente­am des US-Justizmini­steriums kommt bereits am Dienstag nach Ankara, um die Rechtslage zu erklären. Was die türkische Regierung bisher auf den Tisch gelegt hat, soll nicht ausreichen­d sein für eine Auslieferu­ng des 75jährigen Gülen. Ankara habe bisher nur Material präsentier­t, das zeitlich vor dem Putsch vom 15. Juli liege, zitierten US-Medien einen Regierungs­vertreter. Das Justizmini­sterium in Washington hat demnach derzeit nichts in der Hand, was auf eine Beteiligun­g Gülens an dem gescheiter­ten Coup schließen lässt.

Ganz so leicht und schnell lässt sich die Auslieferu­ng zudem auch nicht entscheide­n. Das Rechtshilf­eabkommen zwischen den USA und der Türkei – 1979 geschlosse­n und seit 1981 in Kraft – hat einen Artikel, der eine Auslieferu­ng ausschließ­t, wenn erkennbar ist, dass das Ansuchen einen „politische­n Charakter“hat; derselbe Artikel sieht aber eine Ausnahme vor, wenn es um einen Rechtsvers­toß gegen ein Staatsober­haupt geht. Beide Bestimmung­en werden im Fall Gülen relevant sein.

So unsicher aber ist nun das Verhältnis zwischen den USA und dem Nato-Partner Türkei geworden, dass Gerüchte über eine geheime Auslagerun­g der vielleicht 50 US-Atomwaffen von der türkischen Basis Incirlik nach Rumänien Fuß gefasst haben. Bukarest hat das dementiert.

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Metallspli­tter von der Explosion, die in der Nacht zum Sonntag bei einem Anschlag auf eine Hochzeitsf­eier mindestens 50 Menschen tötete.
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