Ein Anschlag auf die Seele der Türkei
Eine Hochzeit gilt den meisten in der Türkei als der wichtigste Moment im Leben. Nun ist auch eine Hochzeitsfeier auf der Straße zum Ziel eines Selbstmordanschlags geworden. Zwischen Terror und Säuberungswellen kommt das Land nicht mehr zur Ruhe. US-Vizep
Nach dem Putsch ist es wie vor dem Putsch. Der Terror hat ihr Land fest in der Hand, dies müssen die Türken bitter nach einer Woche mit vier Anschlägen feststellen. Dreimal schlug die kurdische Untergrundarmee mit Autobomben zu, tötete zwölf Menschen, darunter auch ein Kind, und verletzte Hunderte.
Der vierte Anschlag Samstagnacht aber wird der Terrormiliz „Islamischer Staat“(IS) zugeschrieben. Nicht Polizeiwachen waren sein Ziel, sondern eine kurdische Hochzeitsfeier auf der Straße. „Sie haben unsere Hochzeit in ein Blutbad verwandelt“, wurde Besna Akdogan zitiert, die Braut. Sie ist am Sonntag noch im Hochzeitskleid aus einem Spital in Gaziantep gerollt worden. Die Braut, ebenso wie ihr Mann Nurettin, wurden leicht verletzt und kamen nach Hause. Doch zumindest 50 Hochzeitsgäste sollen getötet worden sein, 94 wurden verletzt.
Tayyip Erdogan überraschte die Öffentlichkeit am Sonntag mit der Nachricht, der Selbstmordattentäter, der sich unter die Hochzeitsgäste gemischt hatte, sei ein Jugendlicher gewesen, „zwischen zwölf und 14 Jahren alt“.
Dem Staatspräsidenten und seiner Regierung war die Schuld für die Serie von Terroranschlägen des IS gegeben worden. Mit ihrer verfehlten Politik gegenüber Bashar al-Assad, ihrer Einmischung in den Bürgerkrieg im Nachbarland, ohne die militärischen und politischen Mittel dafür zu haben, hätten Erdogan und seine Regierung den Terror ins Land geholt, so lautete zuletzt immer hörbarer der Vorwurf. Doch das war vor dem Putsch vom 15. Juli, der die Türkei auf den Kopf gestellt hat.
Nichts unterscheide den Terror von FETÖ, PKK und Daesh, erklärte Erdogan nun in einer ersten Reaktion auf den Anschlag in Gaziantep: Das Netzwerk des Predigers Fethullah Gülen, der den Putsch organisiert haben soll, die Arbeiterpartei Kurdistans und Daesh, das arabische Kürzel für die Terrormiliz IS – sie alle bedrohten die Türkei. Und gegen alle drei sollten auch die ausländischen Staaten kämpfen, die sich Partner der Türkei nennen.
Ein kurzer Besuch
Der wichtigste dieser Partner kommt diese Woche. US-Vizepräsident Joe Biden reist am Mittwoch in die Türkei, um eine politische Formel für das derzeit drängendste Thema zwischen Washington und Ankara zu finden: die Auslieferung Fethullah Gülens aus den USA. Seit 1999 lebt der Prediger – lange Zeit ein politischer Verbündeter Erdogans – im selbstgewählten Exil in Pennsylvania.
Biden aber bleibt nicht einmal über Nacht. Es wird nur ein kurzer Besuch sein, wird in Ankara vermerkt. Wahre Freunde benehmen sich anders, soll das heißen. Die Amerikaner werden sich für Gülen oder für die Türkei entscheiden müssen, hat Erdogan schon in Reden gesagt. Die antiamerikanische Stimmung im Land schlägt seit Wochen hohe Wogen. In einem Land, das sich von Verschwörungstheorien ernährt, hat die Mehrheit der Bürger nicht den geringsten Zweifel, dass der CIA und Barack Obama einen Umsturz in der Türkei planten.
Seit Wochen wiederholen Spre- cher im Weißen Haus und im USAußenministerium wie tibetanische Gebetsmühlen, dass eine Auslieferung ein Rechtsverfahren sei mit klar gesetzten Regeln und nicht etwas, das man mit einem Anruf bei Obama erledigt. Ein Expertenteam des US-Justizministeriums kommt bereits am Dienstag nach Ankara, um die Rechtslage zu erklären. Was die türkische Regierung bisher auf den Tisch gelegt hat, soll nicht ausreichend sein für eine Auslieferung des 75jährigen Gülen. Ankara habe bisher nur Material präsentiert, das zeitlich vor dem Putsch vom 15. Juli liege, zitierten US-Medien einen Regierungsvertreter. Das Justizministerium in Washington hat demnach derzeit nichts in der Hand, was auf eine Beteiligung Gülens an dem gescheiterten Coup schließen lässt.
Ganz so leicht und schnell lässt sich die Auslieferung zudem auch nicht entscheiden. Das Rechtshilfeabkommen zwischen den USA und der Türkei – 1979 geschlossen und seit 1981 in Kraft – hat einen Artikel, der eine Auslieferung ausschließt, wenn erkennbar ist, dass das Ansuchen einen „politischen Charakter“hat; derselbe Artikel sieht aber eine Ausnahme vor, wenn es um einen Rechtsverstoß gegen ein Staatsoberhaupt geht. Beide Bestimmungen werden im Fall Gülen relevant sein.
So unsicher aber ist nun das Verhältnis zwischen den USA und dem Nato-Partner Türkei geworden, dass Gerüchte über eine geheime Auslagerung der vielleicht 50 US-Atomwaffen von der türkischen Basis Incirlik nach Rumänien Fuß gefasst haben. Bukarest hat das dementiert.