Der Standard

Beatrix Wimmer macht Vertrieben­e sichtbar

Die Initiative „Volksopern­viertel 1938“beschäftig­t sich mit der jüdischen Geschichte von Wiens neuntem Bezirk. Vertrieben­e Bewohner sollen sichtbar gemacht werden – auch gegen Widerstand.

- Oona Kroisleitn­er

Wien – Es ist eine Stele, keine Tafel, betont Beatrix Wimmer, wenn sie bei dem kleinen Denkmal vor der Fluchtgass­e 7 steht. Eine Stele ist einer Tafel vom Aussehen her zwar sehr ähnlich, nur ist sie nicht an der Hauswand befestigt, sondern im Boden verankert. „Um die Tafel an der Mauer anzubringe­n, braucht man die Zustimmung aller Eigentümer“, erklärt sie. Diese gab es schlicht nicht. Stattdesse­n ist die Stele mit ein paar Zentimeter­n Abstand zur Wand in den Grund der Stadt eingelasse­n.

20 Namen sind auf dem Schild zu lesen. Es sind die Namen jener ehemaligen Bewohner des Gebäudes am Alsergrund, die in der Zeit des Nationalso­zialismus wegen ihrer jüdischen Wurzeln ermordet und vertrieben wurden. Die Gedenktafe­l, die Ende 2015 enthüllt wurde, ist ein Resultat und gleichzeit­ig der Ausgangspu­nkt der Initiative „Volksopern­viertel 1938“.

Recherchen über Wohnung

„Ich hatte schon länger die Vermutung, dass die Wohnung, in der ich arbeite und wohne, eine arisierte ist“, sagt Wimmer. Über die Datenbank des Projekts „A letter to the stars“fand sie heraus, dass drei jüdische Frauen in ihrem Haus gelebt hatten, die in Konzentrat­ionslager deportiert und dort ermordet wurden. Das Inter- esse wuchs, und „Volksopern­viertel 1938“wurde ins Leben gerufen. Die Recherchen der Gruppe ergaben, dass 26 Personen jüdischer Herkunft in dem Haus jüdischer Eigentümer gewohnt hatten und vertrieben wurden.

An diese wollte Wimmer erinnern. „Durch das Verbrennen in den Konzentrat­ionslagern haben diese Menschen keine Gräber. Das war auch eine Motivation: Ihnen und dem Unrecht und Leid, das ihnen widerfahre­n ist, ein Andenken zu schaffen.“

Dass dieses Anliegen aber nicht alle im Haus teilen, war für Wimmer wenig überrasche­nd. Von der Zusammenar­beit mit dem Projekt „Servitenga­sse 1938“, das ähnliche Arbeit leistete, wusste sie bereits, dass eine Tafel schwer würde.

In der Servitenga­sse entstand – auch auf dem Grund der Stadt – ein Denkmal: Eine 9. Teil

Glasplatte am Boden bedeckt dort Schlüssel, die an Schildern mit den Namen der vertrieben­en Bewohner von 24 Häusern hängen.

„Der Schlüssel ist ein Symbol für Flucht und Vertreibun­g“, erzählt Barbara Sauer, Historiker­in und Bindeglied der beiden Initiative­n: „In den Erzählunge­n der Überlebend­en kommt der Moment der Schlüsselr­ückgabe sehr oft vor.“

„Die Vergangenh­eit ist der Boden, auf dem wir uns bewegen“, sagt Psychother­apeutin Wimmer: „Sowohl von Opfer- als auch von Täterseite gibt es in Österreich fast keine Familie, die von dieser Zeit nicht betroffen ist.“Das wirke sich auch auf die junge Generation aus. „Es werden Fragen gestellt, und man will Antworten haben.“

Speziell an diese junge Generation würden sich auch Gedenktafe­ln und Stolperste­ine richten, sagt Erzsébet Fuchs, Mitinitiat­orin des Projekts. Es sei wichtig, dass andere das Ergebnis ihrer Recherchen sehen. „Es ist nicht nur für einen selbst, dass man selbst damit fertig wird“, sagt Fuchs, die selbst in der Fluchtgass­e 7 wohnt. Vielmehr gehe es darum, das Geschehene „in der Hoffnung, dass es nie wieder geschieht“, aufzuzeige­n.

Bei ihrer Arbeit lernte die Gruppe, dass der Alsergrund einer jener Bezirke ist, die vor 1938 die meisten jüdischen Einwohner in Wien hatten. Deshalb stehen auch weitere Projekte an. Ein großes Anliegen ist die Aufarbeitu­ng der Geschichte der Volksoper. Die Idee: ein größeres Kunstproje­kt. Die Volksoper recherchie­re selbst über den Verbleib ehemaliger Mitarbeite­r mit jüdischer Herkunft.

Aktuell wird die Geschichte des Hauses in der Severingas­se 8 bearbeitet. „Es ist jenes Haus, in dem der Nobelpreis­träger Eric Kandel gelebt hat“, erzählt Wimmer. Kandel ist 1939 mit seinem Bruder aus Wien nach New York geflohen. pWeitere Serienteil­e:

derStandar­d.at/Graetzelma­cher

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Die Initiative rund um Beatrix Wimmer (o.) forscht zur Geschichte der Häuser rund um die Wiener Volksoper. In der Servitenga­sse entstand bei einem ähnlichen Projekt bereits ein Denkmal für Vertrieben­e.

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