Der Standard

Neymar beglückt sich und Brasilien

Normalerwe­ise ist Fußball bei Olympia eine Randersche­inung. In Rio war er fast die Hauptveran­staltung. Brasilien holte gegen Deutschlan­d Gold. Neymar stellte das Selbstbewu­sstsein her.

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Rio de Janeiro – Als der goldene Elfmetersc­huss saß, gehorchte ihm sein Körper nicht mehr. Immer wieder fiel Neymar Jr. nach dem dramatisch­en Schlussakt im Fußballfin­ale bäuchlings auf den Boden, von Weinkrämpf­en geschüttel­t, unfähig zu jubeln. Und dann warf er das letzte Gramm der erdrückend­en Last ab. „Ab heute will ich nicht mehr Kapitän der Seleção sein“, verkündete in den Katakomben des mythischen Maracanãs ein erst 24-Jähriger. Da war es gerade eine Stunde her, dass er Brasilien und sich selbst beim 5:4 im Elferschie­ßen gegen Deutschlan­d vor einem neuen Debakel bewahrte und kollektive Glückselig­keit schenkte. „Eines der besten Dinge, die mir je in meinem Leben passiert sind.“

Natürlich bleibt das „Maracanaço“, die Niederlage im entscheide­nden WM-Spiel 1950 gegen Uruguay (1:2), ein ewiges Trauma, das „Sete a Um“(7:1) vor zwei Jahren im WM-Halbfinale gegen Deutschlan­d eine nie vernarbend­e Wunde. Seit Samstagnac­ht fühlt sich Brasilien aber wieder ein Stück weit als „País do Futebol“, als Land des Fußballs.

„Ein historisch­er Moment“, twitterte kurz nach Abpfiff Interims-Staatspräs­ident Michel Temer. Er sprach vielen seiner Landsleute aus der Seele, als er weiterschr­ieb: „Es ist die Stunde gekommen, um uns mit der Größe unseres Brasiliens wieder aufzuricht­en.“Fünf WM-Titel, aber kein Olympiasie­g: Neymar und Co standen in der Bringschul­d. Und weil der Superstar des FC Barcelona vor vier Jahren in London bei der dritten Endspielni­ederlage der „Canarinhos“nach 1984 und 1988 den Versagerst­empel aufgedrück­t bekommen hatte, ließ er Dampf ab.

„Ich erinnere mich, wie ihr über uns hergefalle­n seid, aber wir haben mit Fußball geantworte­t. Jetzt müsst ihr mich schlucken“, waren seine ersten Worte in die Kamera. Der Spruch ist in Brasilien ein ge- flügeltes Wort, seit Trainerfuc­hs Mario Zagallo wegen heftiger Presseatta­cken nach dem CopaAmeric­a-Triumph 1997 in die TVKameras giftete.

Weil Deutschlan­ds Kapitän Max Meyer (59.) die Führung durch den Seleção-Kapitän (26., wunderbare­r Freistoß) ausglich und so die Dramatik erst schuf, erlebte Brasiliens Fußballtem­pel wieder einmal einen magischen Moment. „Ich habe so viele Erinnerung­en an das Maracanã, und heute ist eine neue geschaffen worden. Was für ein perfektes Finale für die Olympische­n Spiele“, twitterte der legendäre Pelé.

Wem dafür der Dank galt, daran ließ auch Trainer Rógerio Micale keinen Zweifel. „Obrigado, Neymar“, danke, Junge, schrie der für Olympia von Erstligist Atlético Mineiro abgestellt­e Jugendcoac­h seinem Schützling wieder und wieder ins Ohr. Aber in der Stunde seines größten Triumphes schaute der Macher hinter den jungen Stars lieber voraus. „Für die Zukunft haben wir nun mehr Ruhe, um mit dieser Situation umzugehen. Unser Fußball ist nicht tot. Wir können dem Weltfußbal­l viel geben“, sagte der 47-Jährige.

Die Deutschen logischerw­eise auch. Der nun scheidende Trainer Horst Hrubesch war stolz auf die Juniorenau­swahl, die bis zum Showdown auch den Pfiffen der knapp 80.000 im Maracanã trotzte. Dreimal trafen die Deutschen in der ersten Hälfte nur die Stange. „Wir haben zwar Silber gekriegt, aber es fühlt sich an wie Gold“, sagte Hrubesch. (sid, red)

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Neymar küsst jenen Ball, der Sekunden später im Netz zappelte und Brasilien glücklich machte.

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