Der Standard

Viel Plastik und Doping für die Hüfte

Das Frequency-Festival endete am Samstag mit satirische­m Rave-Rap von Die Antwoord aus Kapstadt

- Stefan Weiss

St. Pölten – Seit den Anfängen des FM4-Frequency-Festivals in der Salzburger Almidylle gehört er zum Inventar. Und auch in St. Pölten sieht man ihn neuerdings wieder gehäuft: den Blumenkran­z aus Plastik, getragen im Haar oder als Kette um den Hals. Vielleicht ist er so etwas wie das Sinnbild des Festivals. Sieht gut aus, gemahnt ironisch an „Love and Peace“, Fruchtbark­eit, das blühende Leben und ist doch in sich widersinni­g – da aus Plastik. Er täuscht vor, was nicht ist; und tut so, als ob.

Plastikblu­menkranz heißt Fasching. Und Fasching heißt Umkehrung der Machtverhä­ltnisse – auf Zeit. Auch das suchen Menschen beim FM4-Frequency-Festival. Gut möglich auch, dass das bunte Treiben in St. Pölten – Hand in Hand mit Halloween oder Public-Viewing-Sportereig­nissen – am vor allem in Ostösterre­ich beklagten Nachwuchsp­roblem des echten Faschings, jener altbackene­n Gaudi zwischen November und Aschermitt­woch, eine gewisse Mitschuld trägt. Soziologen sollten es prüfen.

Psychologe­n würden vielleicht bei der südafrikan­ischen RaveRap-Band Die Antwoord ihr Auslangen finden, die am Samstag dem Frequency-Publikum als Endgegner gegenübers­tand. Vorausgese­tzt, man müsste sie ernst nehmen. Aber in Wahrheit wollen sie nur ein bisschen spielen. Das Trio, bestehend aus Yolandi Visser, ihrem Counterpar­t Watkin Tudor Jones alias „Ninja“und dem ominösen, maskierten DJ Hi-Tek, vereint mit doppelbödi­gem, ironischem Rap und harter Elektronik zwei Konstanten des Festivals der letzten Jahre.

Disney, Nintendo und Sex

Allein optisch zeigen Yolandi und Ninja, wohin die Reise geht: überkitsch­ter, süßlicher Plastikrav­e aus den 1990er-Jahren, vermischt mit grindigen Horrorelem­enten, wie man sie aus dem an sich abgeebbten, aber vielleicht gerade wieder in Mode kommenden Schockrock-Genre kennt. Geplant war das Projekt ursprüngli­ch als Versuch einer grotesk überdrehte­n Sozialsati­re auf die weiße südafrikan­ische Minderheit. Mit ihrem Hit Enter the Ninja von 2010 und dem zugehörige­n, erstklassi­gen Video ging dann aber alles durch die Decke. Heute kann man sie als Satire auf den gesamten Popbetrieb sehen.

Ein wichtiger Teil der Liveshow sind die visuellen Einspielun­gen: albtraumha­fte Szenen mischen sich mit bunten Referenzen auf Disney, Nintendo, frühe Computeräs­thetik, Diskodroge­n und Sex. Ein fasziniere­nder Vorgang.

Wie Rapmusik sonst noch anders gehen kann, zeigte der vom jungen Youtube-Publikum noch unbeachtet­e Anderson Paak, der gut versteckt auf der kleinen Indoor-Bühne auftreten musste. Der Stern des 30-jährigen US-Amerikaner­s ging 2015 wie aus dem Nichts auf, nachdem er mit HipHop-Daddy Dr. Dre für dessen Abschiedsa­lbum Compton eng zusammenar­beitete.

Es ist feine, gut gedachte Kunst, wie Anderson Paak seinen SoulGesang mit Rap und dem jazzig bis funkigen Spiel seiner Begleitban­d kurzschlie­ßt, dabei auch fette Elektronik­beats einstreut und sich obendrein auch noch selbst ans Schlagzeug setzt. Mit dem Welterfolg hat es der Spätzünder nun eilig – und das zu Recht. Denn seine energiegel­adene, vor Witz, Sexappeal und Lebensfreu­de nur so sprühende Liveperfor­mance gehörte rasch auf größere Bühnen.

Dort ist seit einigen Jahren auch der Linzer DJ Marcus Füreder, bekannt unter dem Künstlerna­men Parov Stelar, angelangt. Mit seiner Liveband bringt der Miterfinde­r des Electro-Swing-Genres mittlerwei­le weltweit die Massen zum Tanzen. Das Konzert am Freitag – erst das erste Heimspiel in diesem Jahr – war gezieltes Doping für Geist und Hüfte. Denn mit einem Mal begannen auch all die Plastikblu­menkränze ein wenig nach Natur zu riechen.

 ??  ?? Yolandi Visser und ihr Ninja boten eine groteske Geisterbah­nshow der kitschigen Töne und des Grinds. Sie wollen aber nur spielen.
Yolandi Visser und ihr Ninja boten eine groteske Geisterbah­nshow der kitschigen Töne und des Grinds. Sie wollen aber nur spielen.

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