Viel Plastik und Doping für die Hüfte
Das Frequency-Festival endete am Samstag mit satirischem Rave-Rap von Die Antwoord aus Kapstadt
St. Pölten – Seit den Anfängen des FM4-Frequency-Festivals in der Salzburger Almidylle gehört er zum Inventar. Und auch in St. Pölten sieht man ihn neuerdings wieder gehäuft: den Blumenkranz aus Plastik, getragen im Haar oder als Kette um den Hals. Vielleicht ist er so etwas wie das Sinnbild des Festivals. Sieht gut aus, gemahnt ironisch an „Love and Peace“, Fruchtbarkeit, das blühende Leben und ist doch in sich widersinnig – da aus Plastik. Er täuscht vor, was nicht ist; und tut so, als ob.
Plastikblumenkranz heißt Fasching. Und Fasching heißt Umkehrung der Machtverhältnisse – auf Zeit. Auch das suchen Menschen beim FM4-Frequency-Festival. Gut möglich auch, dass das bunte Treiben in St. Pölten – Hand in Hand mit Halloween oder Public-Viewing-Sportereignissen – am vor allem in Ostösterreich beklagten Nachwuchsproblem des echten Faschings, jener altbackenen Gaudi zwischen November und Aschermittwoch, eine gewisse Mitschuld trägt. Soziologen sollten es prüfen.
Psychologen würden vielleicht bei der südafrikanischen RaveRap-Band Die Antwoord ihr Auslangen finden, die am Samstag dem Frequency-Publikum als Endgegner gegenüberstand. Vorausgesetzt, man müsste sie ernst nehmen. Aber in Wahrheit wollen sie nur ein bisschen spielen. Das Trio, bestehend aus Yolandi Visser, ihrem Counterpart Watkin Tudor Jones alias „Ninja“und dem ominösen, maskierten DJ Hi-Tek, vereint mit doppelbödigem, ironischem Rap und harter Elektronik zwei Konstanten des Festivals der letzten Jahre.
Disney, Nintendo und Sex
Allein optisch zeigen Yolandi und Ninja, wohin die Reise geht: überkitschter, süßlicher Plastikrave aus den 1990er-Jahren, vermischt mit grindigen Horrorelementen, wie man sie aus dem an sich abgeebbten, aber vielleicht gerade wieder in Mode kommenden Schockrock-Genre kennt. Geplant war das Projekt ursprünglich als Versuch einer grotesk überdrehten Sozialsatire auf die weiße südafrikanische Minderheit. Mit ihrem Hit Enter the Ninja von 2010 und dem zugehörigen, erstklassigen Video ging dann aber alles durch die Decke. Heute kann man sie als Satire auf den gesamten Popbetrieb sehen.
Ein wichtiger Teil der Liveshow sind die visuellen Einspielungen: albtraumhafte Szenen mischen sich mit bunten Referenzen auf Disney, Nintendo, frühe Computerästhetik, Diskodrogen und Sex. Ein faszinierender Vorgang.
Wie Rapmusik sonst noch anders gehen kann, zeigte der vom jungen Youtube-Publikum noch unbeachtete Anderson Paak, der gut versteckt auf der kleinen Indoor-Bühne auftreten musste. Der Stern des 30-jährigen US-Amerikaners ging 2015 wie aus dem Nichts auf, nachdem er mit HipHop-Daddy Dr. Dre für dessen Abschiedsalbum Compton eng zusammenarbeitete.
Es ist feine, gut gedachte Kunst, wie Anderson Paak seinen SoulGesang mit Rap und dem jazzig bis funkigen Spiel seiner Begleitband kurzschließt, dabei auch fette Elektronikbeats einstreut und sich obendrein auch noch selbst ans Schlagzeug setzt. Mit dem Welterfolg hat es der Spätzünder nun eilig – und das zu Recht. Denn seine energiegeladene, vor Witz, Sexappeal und Lebensfreude nur so sprühende Liveperformance gehörte rasch auf größere Bühnen.
Dort ist seit einigen Jahren auch der Linzer DJ Marcus Füreder, bekannt unter dem Künstlernamen Parov Stelar, angelangt. Mit seiner Liveband bringt der Miterfinder des Electro-Swing-Genres mittlerweile weltweit die Massen zum Tanzen. Das Konzert am Freitag – erst das erste Heimspiel in diesem Jahr – war gezieltes Doping für Geist und Hüfte. Denn mit einem Mal begannen auch all die Plastikblumenkränze ein wenig nach Natur zu riechen.