Toleranz vor das Dogma stellen
Mit einem Burkaverbot würde Österreich mit einer klugen Tradition brechen
Menschlich kann man ihn verstehen. SPÖ-Klubchef Andreas Schieder sagt, wenn er eine voll verschleierte Frau sehe, rufe dies „großen Ärger“in ihm hervor. Weil ihm die Gleichberechtigung ein Anliegen sei, und Verschleierung sei das genaue Gegenteil davon. Außenund Integrationsminister Sebastian Kurz geht es bestimmt ebenso, von ihm stammt ja die Idee mit dem Burkaverbot, das sich Schieder schönredet.
Es ist nicht zu leugnen: Eine voll verschleierte Frau, deren Augen man kaum erahnt, ist eine wandelnde Provokation für FeministInnen und liberal, tolerant und emanzipatorisch gesinnte Menschen westlicher Provenienz. Provokant sind aber auch Männer mit Salafistenbärten in langen Kleidern, die den Koran gratis verteilen ( warum fällt eigentlich niemandem ein, diese Bärte zu verbieten?), und Frauen in schick drapierten Kopftüchern und Männer mit modernem Kurzhaarschnitt, die bei einer politischen Kundgebung Allah anrufen und in Wahrheit Tayyip Erdogan meinen. Größter Profiteur des Ärgers, den solche Begegnungen hervorrufen, ist die FPÖ. Sie schürt ihn daher stetig, denn er befeuert ihre Wahlergebnisse.
Verantwortungsbewusste Politiker sollten freilich gegen den Strom der Empörung schwimmen. Gefragt sind kühle Köpfe. Zudem sollten ÖVP und SPÖ bedenken, dass es ihnen noch nie genutzt hat, auf das Grummeln im Volksbauch zu hören. tattdessen sollten sich die Koalitionsparteien von einer, der wichtigsten, Frage leiten lassen: Was ist gut für die Bürgerinnen und Bürger in diesem Land? Sicher nicht kurzfristig angelegter, unüberlegter Aktionismus. Wer Radikalismus und Extremismus bekämpfen will, siegt bestimmt nicht mit radikalen und extremen Maßnahmen. Ein Verschleierungsverbot ist eine radikale Maßnahme.
Österreich ist seit Joseph II. immer gut damit gefahren, in Glaubensdingen die Toleranz über das Dogma zu stellen. Diese österreichische Tradition sollte gerade die Traditionspartei ÖVP nicht über Bord werfen. Oder will man ausgerechnet Frankreich mit seinem teilweisen Burkaverbot als neues Vorbild im Kampf gegen religiösen Extremismus sehen?
Nicht nur steinreiche Touristinnen aus arabischen Ländern wandeln voll verschleiert durch Wien. Es ist aber
Sauch nicht so, dass Österreich voll von Burkaträgerinnen wäre. Sie dominieren nicht die muslimische Kultur im Land.
Will man die Burka aus Ämtern, Schulen, Gerichten verbannen, gibt es bereits Möglichkeiten über die jeweiligen Hausordnungen. Dafür bedarf es keines Gerassels mit der SanktionenRute und keiner gesetzlichen Änderung. Die Stadt Wien geht seit Jahren gelassen mit dem Kopftuch um: Für weibliche Bedienstete der Stadt, die strenggläubige Musliminnen sind, gibt es eigene Dienstkleidungen samt Kopfbedeckung – selbstverständlich ohne Gesichtsschleier.
Warum also just im Namen der Gleichberechtigung ein Problem schaffen, das dieses Land bis dato nicht hatte? Die beste Vorsorge gegen Extremismus wäre, keine Ghettobildungen zuzulassen, Frauen bei Bildung, finanzieller Unterstützung (Mindestsicherung!) und beim Einstieg in den Arbeitsmarkt besonderes Augenmerk zu schenken.
Das ist mühsam. Integration ist das Bohren harter Bretter und dauert lange. Dagegen ist das Formulieren eines Burkaverbotsgesetzes eine kurzweilige Sache von nur wenigen Stunden. Es bringt nur nichts – wie der Ärger.