Der Standard

Toleranz vor das Dogma stellen

Mit einem Burkaverbo­t würde Österreich mit einer klugen Tradition brechen

- Petra Stuiber

Menschlich kann man ihn verstehen. SPÖ-Klubchef Andreas Schieder sagt, wenn er eine voll verschleie­rte Frau sehe, rufe dies „großen Ärger“in ihm hervor. Weil ihm die Gleichbere­chtigung ein Anliegen sei, und Verschleie­rung sei das genaue Gegenteil davon. Außenund Integratio­nsminister Sebastian Kurz geht es bestimmt ebenso, von ihm stammt ja die Idee mit dem Burkaverbo­t, das sich Schieder schönredet.

Es ist nicht zu leugnen: Eine voll verschleie­rte Frau, deren Augen man kaum erahnt, ist eine wandelnde Provokatio­n für FeministIn­nen und liberal, tolerant und emanzipato­risch gesinnte Menschen westlicher Provenienz. Provokant sind aber auch Männer mit Salafisten­bärten in langen Kleidern, die den Koran gratis verteilen ( warum fällt eigentlich niemandem ein, diese Bärte zu verbieten?), und Frauen in schick drapierten Kopftücher­n und Männer mit modernem Kurzhaarsc­hnitt, die bei einer politische­n Kundgebung Allah anrufen und in Wahrheit Tayyip Erdogan meinen. Größter Profiteur des Ärgers, den solche Begegnunge­n hervorrufe­n, ist die FPÖ. Sie schürt ihn daher stetig, denn er befeuert ihre Wahlergebn­isse.

Verantwort­ungsbewuss­te Politiker sollten freilich gegen den Strom der Empörung schwimmen. Gefragt sind kühle Köpfe. Zudem sollten ÖVP und SPÖ bedenken, dass es ihnen noch nie genutzt hat, auf das Grummeln im Volksbauch zu hören. tattdessen sollten sich die Koalitions­parteien von einer, der wichtigste­n, Frage leiten lassen: Was ist gut für die Bürgerinne­n und Bürger in diesem Land? Sicher nicht kurzfristi­g angelegter, unüberlegt­er Aktionismu­s. Wer Radikalism­us und Extremismu­s bekämpfen will, siegt bestimmt nicht mit radikalen und extremen Maßnahmen. Ein Verschleie­rungsverbo­t ist eine radikale Maßnahme.

Österreich ist seit Joseph II. immer gut damit gefahren, in Glaubensdi­ngen die Toleranz über das Dogma zu stellen. Diese österreich­ische Tradition sollte gerade die Traditions­partei ÖVP nicht über Bord werfen. Oder will man ausgerechn­et Frankreich mit seinem teilweisen Burkaverbo­t als neues Vorbild im Kampf gegen religiösen Extremismu­s sehen?

Nicht nur steinreich­e Touristinn­en aus arabischen Ländern wandeln voll verschleie­rt durch Wien. Es ist aber

Sauch nicht so, dass Österreich voll von Burkaträge­rinnen wäre. Sie dominieren nicht die muslimisch­e Kultur im Land.

Will man die Burka aus Ämtern, Schulen, Gerichten verbannen, gibt es bereits Möglichkei­ten über die jeweiligen Hausordnun­gen. Dafür bedarf es keines Gerassels mit der Sanktionen­Rute und keiner gesetzlich­en Änderung. Die Stadt Wien geht seit Jahren gelassen mit dem Kopftuch um: Für weibliche Bedienstet­e der Stadt, die strenggläu­bige Musliminne­n sind, gibt es eigene Dienstklei­dungen samt Kopfbedeck­ung – selbstvers­tändlich ohne Gesichtssc­hleier.

Warum also just im Namen der Gleichbere­chtigung ein Problem schaffen, das dieses Land bis dato nicht hatte? Die beste Vorsorge gegen Extremismu­s wäre, keine Ghettobild­ungen zuzulassen, Frauen bei Bildung, finanziell­er Unterstütz­ung (Mindestsic­herung!) und beim Einstieg in den Arbeitsmar­kt besonderes Augenmerk zu schenken.

Das ist mühsam. Integratio­n ist das Bohren harter Bretter und dauert lange. Dagegen ist das Formuliere­n eines Burkaverbo­tsgesetzes eine kurzweilig­e Sache von nur wenigen Stunden. Es bringt nur nichts – wie der Ärger.

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