Der Standard

Aiginger kritisiert Aufstockun­g des Bundesheer­budgets

Wer gegen Freihandel mit China hetzt oder Arbeitnehm­er aus Osteuropa verdammt, lenkt von den wahren Problemen ab, sagt der scheidende Chef des Wirtschaft­sforschung­sinstituts (Wifo), Karl Aiginger.

- INTERVIEW: András Szigetvari

Wien – Der scheidende Chef des Wirtschaft­sforschung­sinstituts (Wifo), Karl Aiginger, kritisiert im STANDARD- Interview die Kehrtwende beim Bundesheer-Sparprogra­mm. Nach jahrelange­n Kürzungen wird das Heeresbudg­et bis 2020 um 1,3 Milliarden Euro aufgestock­t. Das sei typisch dafür, wie in Österreich „bestehende Rechte verteidigt“würden, sagt Aiginger, obwohl man das Geld an anderer Stelle, nämlich in der Bildungspo­litik, besser gebrauchen könnte. (red)

Standard: Donald Trump wettert in den USA gegen Einwanderu­ng und Freihandel. Die Briten haben sich mehrheitli­ch für einen Rückzug aus der EU entschiede­n. Haben Sie je eine so globalisie­rungsfeind­liche Stimmung erlebt? Aiginger: In den einzelnen Ländern gibt es seit der Finanzkris­e größere wirtschaft­liche Probleme. Zehn Jahre lang wurden sie nicht gelöst, sodass nun breite Bevölkerun­gsschichte­n offen geworden sind für extreme Ansichten. Sowohl auf der rechten als auch auf der linken Seite gibt es Kräfte, die auf Polarisier­ung setzen: Um Wählerstim­men zu maximieren, wird eine künstliche Außenbedro­hung erschaffen. Die Globalisie­rung, ein Nachbarlan­d, die Flüchtling­e. Es sind nie die wahren Ursachen für Verwerfung­en, über die geredet wird.

Standard: Woran denken Sie? Aiginger: An die Dürre. In Syrien hat ein Umweltprob­lem, eine große Dürre zwischen 2006 und 2010, zu großen Ernteausfä­llen und Stadtfluch­t geführt und damit zur Instabilit­ät im Land, also zum Ausbruch des Bürgerkrie­ges beigetrage­n. Aber über dieses ökologisch­e Desaster spricht keiner. In den USA sind es Umweltprob­leme und die soziale Ungleichhe­it, die eine Krise verursache­n. Die Einkommen im unteren Drittel sind seit gut vier Jahrzehnte­n nicht gestiegen, während von der Wohlstands­vermehrung nur das oberste Prozent profitiert hat. Das ist aber nicht die Folge der Globalisie­rung, sondern der amerikanis­chen Wirtschaft­spolitik mit dem Traum, dass jeder Millionär werden kann, wenn er sich anstrengt.

Standard: Was hat man Ihrer Meinung nach falsch gemacht? Aiginger: Globalisie­rung bedeutet in der ökonomisch­en Theorie, dass Länder mit niedrigere­n Einkommen die Fertigung von einfachen Waren übernehmen, während Länder mit höherquali­fizierter Bevölkerun­g verstärkt Hochtechno­logie exportiere­n. Diese Arbeitstei­lung erzeugt mehrheitli­ch Gewinner, ein Fünftel bis ein Drittel der Bevölkerun­g verliert dabei. Die US-Politik hat die Verlierer nicht entschädig­t, nicht mehr Gleichheit zu einem politische­n Ziel erklärt. Man hat sich nicht darum gekümmert, schlecht ausgebilde­te Industriea­rbeiter, die ihren Job wegen der billigeren Konkurrenz aus China verlieren, besser auszubilde­n, damit sie anderswo unterkomme­n. Eigentlich müssten die Amerikaner sagen: Wir sind selbst schuld an der Situation.

Standard: Kann man in einer globalisie­rten Welt Ungleichhe­it mit Umverteilu­ng bekämpfen? Bevor Kapital höher besteuert wird, schafft man es außer Landes. Aiginger: Umverteilu­ng über Steuern ist schwierige­r. Aber es gibt andere Möglichkei­ten. In den USA ist der Widerstand gegen die Schaffung eines staatliche­n Gesundheit­ssystems und gegen Pflichtver­sicherunge­n legendär. Das hat nichts mit Globalisie­rung zu tun. Beide Maßnahmen würden den sozial Schwachen zugutekomm­en. Ebenso haben die USA jahrzehnte­lang nicht verhindert, dass reiche Bürger Geheimkont­en in Steueroase­n wie der Schweiz einrichten. Dabei wäre es möglich gewesen, wie man heute an den internatio­nalen Bemühungen gegen Steuerfluc­ht sieht. Dass die Globalisie­rung der falsche Feind ist, sieht man auch in Großbritan­nien.

Standard: Weshalb? Aiginger: Die britische Industrie ist seit Jahren im Niedergang begriffen. Die Industrieq­uote liegt bei unter zehn Prozent. Aber das liegt daran, dass die Regierunge­n in London nicht in der Lage waren, vernünftig­e Industriep­olitik zu machen. Die Forschungs­quote ist niedrig geblieben, in die Qualifikat­ion der Arbeiter wurde nicht investiert. In Österreich und Deutschlan­d stand man vor den gleichen Herausford­erungen, hat sie aber besser gemeistert. Die Industrieq­uote liegt bei 20 Prozent. Hier wurde in die Ausbildung der Arbeiter und in Forschung investiert. Unternehme­n haben stärker auf Qualität gesetzt.

Standard: Die globalisie­rungsfeind­liche Stimmung hat auch Österreich erfasst. Viele machen die Ostöffnung der EU für die gestiegene Arbeitslos­igkeit verantwort­lich. Aiginger: Österreich hat von jeder Marktöffnu­ng in Richtung Osten profitiert. Die Zunahme der Beschäftig­ung aus Ungarn, der Slowakei und Rumänien war für die Wirtschaft positiv, weil sie im Tourismus und im Bau dringend benötigt wurde. Negativ ist, dass das heimische Wachstum in den letzten fünf Jahren niedrig liegt. Die nächste Stufe der Marktöffnu­ng, von der Österreich profitiert hätte, wäre im Schwarzmee­rraum gewesen. Durch die Unruhen in der Ukraine, Syrien, Libyen und Nordafrika ist diese Stufe weggefalle­n. Das hat uns Wachstum gekostet. Dass gerade in dieser Zeit eine Flüchtling­swelle einsetzte, hat die Probleme verschärft. Aber die Ursache für die schwache Grunddynam­ik liegt woanders.

Standard: Und zwar? Aiginger: Wir haben uns zu lange darauf verlassen, mit mittlerer Ausbildung und mittlerer Technologi­e auszukomme­n, weil sich in unserer Nähe Märkte öffnen. In dem Moment, in dem das nicht mehr passiert ist, sind die Probleme zum Vorschein gekommen. Wir haben uns fast nirgends darum bemüht, zur absoluten Spitzengru­ppe vorzustoße­n. Im Schulberei­ch hatten wir Erfolge in der vorschulis­chen Erziehung mit der Einführung des verpflicht­enden Kindergart­enjahres. Aber es wurde verabsäumt, Vorschulen und Grundschul­en exzellent zu machen. In der Forschungs­förderung sind wir zur oberen Mittelklas­se aufgestieg­en. Aber ehe wir ganz nach vorn gekommen wären, wurden die Anstrengun­gen in Universitä­t und Forschung wieder eingebrems­t. In Österreich orientiert man sich meist am Mittelfeld und nicht an der Spitze. Standard: Warum ist das so? Aiginger: Ich denke, das hat damit zu tun, dass es uns nicht gelingt, einmal gemachte Ausgaben, die wir nicht mehr brauchen, zurückzudr­ängen. Verwaltung­sreform ist ein Fremdwort. Bestehende Rechte werden verteidigt. Wir sehen das beim Bundesheer: viele Kasernen, viele Generäle, viele Militärspi­täler, aber kein einsatzfäh­iges Bundesheer für internatio­nale Probleme. Das haben wir akzeptiert. Die Ausgaben für das Bundesheer wurden gekürzt, nun aber, bei der ersten Gelegenhei­t, als das Unsicherhe­itsempfind­en gestiegen ist, hat man die Ausgaben sofort wieder erhöht. Das Bundesheer ist glücklich, dass man wieder Flugshows machen kann.

Standard: Ist es nicht ein Fehler der Ökonomen, immer von Verwaltung­sreform allgemein zu sprechen? In Wahrheit ist es doch so: Wenn man etwas einsparen will, muss irgendwer seinen Job verlieren. Aiginger: Ja. Für die kurzfristi­ge Situation auf dem Arbeitsmar­kt und die Konjunktur ist es besser, wenn man das nicht tut. Aber die ökonomisch­e Theorie besagt, dass es langfristi­g vorteilhaf­t ist, einen kurzfristi­gen Verlust zu akzeptiere­n, wenn man dafür Geld in die Hand nehmen kann, um zum Beispiel in Bildung zu investiere­n.

Standard: Ist das nicht ein Rezept, um der FPÖ bei der kommenden Wahl eine absolute Mehrheit zu beschaffen? Aiginger: Wenn es die Erfolge nicht gibt, wenn man das Konzept nicht richtig erklären kann, führt das sicher zu Erfolgen der Populisten. Mit genug Leadership und Vorzeigepr­ojekten bin ich überzeugt, dass man das den Wählern verkaufen könnte.

Viele Kasernen, viele Generäle, viele Militärspi­täler, aber kein einsatzfäh­iges Bundesheer für internatio­nale Einsätze.

KARL AIGINGER leitet seit März 2005 das Wifo, wo er seit den 1970ern beschäftig­t war. Ende August ist sein letzter Arbeitstag. Der 67-Jährige will sich künftig mit europapoli­tischen Fragestell­ungen, unter anderem bei der Gesellscha­ft für Europapoli­tik in Wien, beschäftig­en.

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Foto: Reuters In Österreich orientiere man sich zu sehr am Mittelfeld und nicht an der Spitze, sagt Karl Aiginger.

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