Aiginger kritisiert Aufstockung des Bundesheerbudgets
Wer gegen Freihandel mit China hetzt oder Arbeitnehmer aus Osteuropa verdammt, lenkt von den wahren Problemen ab, sagt der scheidende Chef des Wirtschaftsforschungsinstituts (Wifo), Karl Aiginger.
Wien – Der scheidende Chef des Wirtschaftsforschungsinstituts (Wifo), Karl Aiginger, kritisiert im STANDARD- Interview die Kehrtwende beim Bundesheer-Sparprogramm. Nach jahrelangen Kürzungen wird das Heeresbudget bis 2020 um 1,3 Milliarden Euro aufgestockt. Das sei typisch dafür, wie in Österreich „bestehende Rechte verteidigt“würden, sagt Aiginger, obwohl man das Geld an anderer Stelle, nämlich in der Bildungspolitik, besser gebrauchen könnte. (red)
Standard: Donald Trump wettert in den USA gegen Einwanderung und Freihandel. Die Briten haben sich mehrheitlich für einen Rückzug aus der EU entschieden. Haben Sie je eine so globalisierungsfeindliche Stimmung erlebt? Aiginger: In den einzelnen Ländern gibt es seit der Finanzkrise größere wirtschaftliche Probleme. Zehn Jahre lang wurden sie nicht gelöst, sodass nun breite Bevölkerungsschichten offen geworden sind für extreme Ansichten. Sowohl auf der rechten als auch auf der linken Seite gibt es Kräfte, die auf Polarisierung setzen: Um Wählerstimmen zu maximieren, wird eine künstliche Außenbedrohung erschaffen. Die Globalisierung, ein Nachbarland, die Flüchtlinge. Es sind nie die wahren Ursachen für Verwerfungen, über die geredet wird.
Standard: Woran denken Sie? Aiginger: An die Dürre. In Syrien hat ein Umweltproblem, eine große Dürre zwischen 2006 und 2010, zu großen Ernteausfällen und Stadtflucht geführt und damit zur Instabilität im Land, also zum Ausbruch des Bürgerkrieges beigetragen. Aber über dieses ökologische Desaster spricht keiner. In den USA sind es Umweltprobleme und die soziale Ungleichheit, die eine Krise verursachen. Die Einkommen im unteren Drittel sind seit gut vier Jahrzehnten nicht gestiegen, während von der Wohlstandsvermehrung nur das oberste Prozent profitiert hat. Das ist aber nicht die Folge der Globalisierung, sondern der amerikanischen Wirtschaftspolitik mit dem Traum, dass jeder Millionär werden kann, wenn er sich anstrengt.
Standard: Was hat man Ihrer Meinung nach falsch gemacht? Aiginger: Globalisierung bedeutet in der ökonomischen Theorie, dass Länder mit niedrigeren Einkommen die Fertigung von einfachen Waren übernehmen, während Länder mit höherqualifizierter Bevölkerung verstärkt Hochtechnologie exportieren. Diese Arbeitsteilung erzeugt mehrheitlich Gewinner, ein Fünftel bis ein Drittel der Bevölkerung verliert dabei. Die US-Politik hat die Verlierer nicht entschädigt, nicht mehr Gleichheit zu einem politischen Ziel erklärt. Man hat sich nicht darum gekümmert, schlecht ausgebildete Industriearbeiter, die ihren Job wegen der billigeren Konkurrenz aus China verlieren, besser auszubilden, damit sie anderswo unterkommen. Eigentlich müssten die Amerikaner sagen: Wir sind selbst schuld an der Situation.
Standard: Kann man in einer globalisierten Welt Ungleichheit mit Umverteilung bekämpfen? Bevor Kapital höher besteuert wird, schafft man es außer Landes. Aiginger: Umverteilung über Steuern ist schwieriger. Aber es gibt andere Möglichkeiten. In den USA ist der Widerstand gegen die Schaffung eines staatlichen Gesundheitssystems und gegen Pflichtversicherungen legendär. Das hat nichts mit Globalisierung zu tun. Beide Maßnahmen würden den sozial Schwachen zugutekommen. Ebenso haben die USA jahrzehntelang nicht verhindert, dass reiche Bürger Geheimkonten in Steueroasen wie der Schweiz einrichten. Dabei wäre es möglich gewesen, wie man heute an den internationalen Bemühungen gegen Steuerflucht sieht. Dass die Globalisierung der falsche Feind ist, sieht man auch in Großbritannien.
Standard: Weshalb? Aiginger: Die britische Industrie ist seit Jahren im Niedergang begriffen. Die Industriequote liegt bei unter zehn Prozent. Aber das liegt daran, dass die Regierungen in London nicht in der Lage waren, vernünftige Industriepolitik zu machen. Die Forschungsquote ist niedrig geblieben, in die Qualifikation der Arbeiter wurde nicht investiert. In Österreich und Deutschland stand man vor den gleichen Herausforderungen, hat sie aber besser gemeistert. Die Industriequote liegt bei 20 Prozent. Hier wurde in die Ausbildung der Arbeiter und in Forschung investiert. Unternehmen haben stärker auf Qualität gesetzt.
Standard: Die globalisierungsfeindliche Stimmung hat auch Österreich erfasst. Viele machen die Ostöffnung der EU für die gestiegene Arbeitslosigkeit verantwortlich. Aiginger: Österreich hat von jeder Marktöffnung in Richtung Osten profitiert. Die Zunahme der Beschäftigung aus Ungarn, der Slowakei und Rumänien war für die Wirtschaft positiv, weil sie im Tourismus und im Bau dringend benötigt wurde. Negativ ist, dass das heimische Wachstum in den letzten fünf Jahren niedrig liegt. Die nächste Stufe der Marktöffnung, von der Österreich profitiert hätte, wäre im Schwarzmeerraum gewesen. Durch die Unruhen in der Ukraine, Syrien, Libyen und Nordafrika ist diese Stufe weggefallen. Das hat uns Wachstum gekostet. Dass gerade in dieser Zeit eine Flüchtlingswelle einsetzte, hat die Probleme verschärft. Aber die Ursache für die schwache Grunddynamik liegt woanders.
Standard: Und zwar? Aiginger: Wir haben uns zu lange darauf verlassen, mit mittlerer Ausbildung und mittlerer Technologie auszukommen, weil sich in unserer Nähe Märkte öffnen. In dem Moment, in dem das nicht mehr passiert ist, sind die Probleme zum Vorschein gekommen. Wir haben uns fast nirgends darum bemüht, zur absoluten Spitzengruppe vorzustoßen. Im Schulbereich hatten wir Erfolge in der vorschulischen Erziehung mit der Einführung des verpflichtenden Kindergartenjahres. Aber es wurde verabsäumt, Vorschulen und Grundschulen exzellent zu machen. In der Forschungsförderung sind wir zur oberen Mittelklasse aufgestiegen. Aber ehe wir ganz nach vorn gekommen wären, wurden die Anstrengungen in Universität und Forschung wieder eingebremst. In Österreich orientiert man sich meist am Mittelfeld und nicht an der Spitze. Standard: Warum ist das so? Aiginger: Ich denke, das hat damit zu tun, dass es uns nicht gelingt, einmal gemachte Ausgaben, die wir nicht mehr brauchen, zurückzudrängen. Verwaltungsreform ist ein Fremdwort. Bestehende Rechte werden verteidigt. Wir sehen das beim Bundesheer: viele Kasernen, viele Generäle, viele Militärspitäler, aber kein einsatzfähiges Bundesheer für internationale Probleme. Das haben wir akzeptiert. Die Ausgaben für das Bundesheer wurden gekürzt, nun aber, bei der ersten Gelegenheit, als das Unsicherheitsempfinden gestiegen ist, hat man die Ausgaben sofort wieder erhöht. Das Bundesheer ist glücklich, dass man wieder Flugshows machen kann.
Standard: Ist es nicht ein Fehler der Ökonomen, immer von Verwaltungsreform allgemein zu sprechen? In Wahrheit ist es doch so: Wenn man etwas einsparen will, muss irgendwer seinen Job verlieren. Aiginger: Ja. Für die kurzfristige Situation auf dem Arbeitsmarkt und die Konjunktur ist es besser, wenn man das nicht tut. Aber die ökonomische Theorie besagt, dass es langfristig vorteilhaft ist, einen kurzfristigen Verlust zu akzeptieren, wenn man dafür Geld in die Hand nehmen kann, um zum Beispiel in Bildung zu investieren.
Standard: Ist das nicht ein Rezept, um der FPÖ bei der kommenden Wahl eine absolute Mehrheit zu beschaffen? Aiginger: Wenn es die Erfolge nicht gibt, wenn man das Konzept nicht richtig erklären kann, führt das sicher zu Erfolgen der Populisten. Mit genug Leadership und Vorzeigeprojekten bin ich überzeugt, dass man das den Wählern verkaufen könnte.
Viele Kasernen, viele Generäle, viele Militärspitäler, aber kein einsatzfähiges Bundesheer für internationale Einsätze.
KARL AIGINGER leitet seit März 2005 das Wifo, wo er seit den 1970ern beschäftigt war. Ende August ist sein letzter Arbeitstag. Der 67-Jährige will sich künftig mit europapolitischen Fragestellungen, unter anderem bei der Gesellschaft für Europapolitik in Wien, beschäftigen.