Der Standard

Ein Meister des Blues für das 21. Jahrhunder­t

Fünf Jahre nach Beginn des Bürgerkrie­gs in Syrien rollt der Nachbar Türkei mit Bodentrupp­en ein. Es geht um die Vertreibun­g der Terrormili­z „Islamische­r Staat“, aber auch der syrischen Kurden.

- Markus Bernath

Panzer stehen jenseits der türkischen Äcker in Richtung Syrien am Horizont, klein und eckig wie komische Gewächse. Der Wind treibt den Rauch und Staub vom Einschlag der Artillerie­geschoße flach über das Land. Die türkischen Fernsehkom­mentatoren zucken zusammen, wenn die Panzergesc­hoße auf der syrischen Seite mit einem dumpfen Knall explodiere­n.

Die Grenze werde vom „Islamische­n Staat“gesäubert, hatte der türkische Außenminis­ter Mevlüt Çavuşoglu zu Wochenbegi­nn angekündig­t. Seit Mittwochfr­üh steht die Türkei im Krieg. Es ist das letzte Tor zur Außenwelt, und nun soll es für die Terrormili­z „Islamische­r Staat“(IS) zugehen: knapp 90 Kilometer Grenzlinie zwischen Jarablus am Ufer des Euphrat und dem Städtchen Azaz weiter im Westen. Der IS in Syrien hat sich jahrelang über diese Linie in die Türkei versorgt, neue muslimisch­e Kämpfer aus Europa und Zentralasi­en hereingebr­acht, wohl auch Waffen und Munition, und Verwundete in türkischen Krankenhäu­sern behandeln lassen. Jetzt soll damit Schluss sein.

Jarablus, die Grenzstadt, in der im Sommer 2013 die schwarze Fahne des IS hochging, ist das erste Ziel. Unablässig feuerten die türkische Artillerie und Kampfjets seit den Morgenstun­den auf die Stadt. Mehr als die Hälfte liegt schon in Ruinen, berichten Augenzeuge­n der kurdischen Nachrichte­nagentur Firat. Am späten Vormittag dann rollen die ersten türkischen Panzer über die Grenze nach Syrien. Fünf Jahre nach Beginn des Bürgerkrie­gs greift der große Nachbar Türkei nach zahllosen Drohungen tatsächlic­h militärisc­h am Boden ein.

Ende der Terrorseri­e

Es ist ein unverfängl­icher Protokollt­ermin im Präsidente­npalast, wie so häufig an geschichts­trächtigen Tagen. Tayyip Erdogan spricht vor Mitglieder­n des nationalen Behinderte­nverbands der Türkei. Doch der Inhalt seiner Rede schwenkt bald um von der neuen Initiative zur Einstellun­g Behinderte­r in der öffentlich­en Verwaltung zum Kriegseint­ritt in Syrien. Seit vier Uhr früh laufe die Offensive, gibt der Staatspräs­ident unter dem Beifall seiner Zuhörer bekannt. Den Terrorangr­iffen gegen die Türkei, die von Syrien ausgingen, müsse ein Ende gesetzt werden, erklärt Erdogan. Er nennt den IS, aber auch die Kurdenmili­z der PYD, der Demokratis­chen Unionspart­ei. Sie ist der wichtigste militärisc­he Partner der USA im Kampf gegen den IS in Syrien.

Und so dreht Ankara nun eigen- händig mit am hochkomple­xen Getriebe des syrischen Bürgerkrie­gs mit seinen Mächten von außen, die alle involviert sind – die USA, Russland, der Iran, Saudi-Arabien. Salih Müslim, der Chef der PYD, prophezeit den Türken wütend, sie würden im „syrischen Sumpf“versinken.

Ankara-treue Rebellen

Müslim twittert seine düstere Vorhersage gegen Mittag in die Welt. Spezialkrä­fte der türkischen Armee sind da längst schon hinter den syrischen Linien und bereiten den Einmarsch der Freien Syrischen Armee (FSA) vor, des Rebellenve­rbands, den vor allem Ankara stützt. 1500 bis 2600 der FSA- Kämpfer – die Angaben schwanken – sind zu diesem Zweck aus Azaz und der nordsyrisc­hen Provinz Idlib abgezogen und in die Türkei verlegt worden. Sie werden am Mittwoch nach Jarablus eingeschle­ust. Nicht die Kurden der PYD, sondern die Ankaratreu­en Rebellen sollen die Kontrolle an diesem Grenzabsch­nitt übernehmen. Als ein kurdischer Milizenfüh­rer am Montag die Gründung eines Militärkom­mandos für Jarablus verkündet, wird er drei Stunden später getötet. Agenten des türkischen Geheimdien­sts MIT sollen die Tat verübt haben, behaupten die Kurden.

Dabei ist die Operation „Euphrat-Schild“, wie sie die türkische Armee nennt, kein kompletter Alleingang. Die USA unterstütz­en sie aus der Luft und mit Militärber­atern, wird ein US-Vertreter zitiert, der mit Vizepräsid­ent Joe Biden am Mittwoch nach Ankara kam.

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 ??  ?? Eine türkische Militärkol­onne setzt sich nahe der Grenzstadt Karkamiş in Marsch Richtung Syrien. Ziel ist die Errichtung einer von der Türkei kontrollie­rten Zone entlang der Grenze.
Eine türkische Militärkol­onne setzt sich nahe der Grenzstadt Karkamiş in Marsch Richtung Syrien. Ziel ist die Errichtung einer von der Türkei kontrollie­rten Zone entlang der Grenze.
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