Wer nicht hören will, muss schwielen
Der US-amerikanische Borderline-Musikant und Yogalehrer Gonjasufi veröffentlicht mit seinem Album „Callus“eine Versenkung in das irdische Jammertal. Beim Hören dieses Blues für das 21. Jahrhundert geht es einem so schlecht, dass es einem danach gutgeht.
Wien – Eine Hornschwiele, im Volksmund nicht ganz präzise, weil mitunter auch ins Auge gehend Hornhaut genannt, entsteht durch Reibung. Wenn man beispielsweise zu viel herumstrawanzt, bekommt man sie durch übergroße Belastung an den Füßen, Das ist sehr unangenehm. Wenn man allerdings oft händisch arbeitet, also etwa mit dem Vorschlaghammer Sachen zerhaut, Bäume umsägt oder die Gitarre würgt, ist es eigentlich von Vorteil, dass einem unter mechanischem Druck sozusagen eine zweite Schutzhaut wächst.
Das lateinische Wort „callus“bedeutet aber nicht nur „dicke Haut“. Als medizinischer Fachbegriff steht Kallus auch für neu gebildetes Knochengewebe nach einer Fraktur an der beziehungsweise rund um die Bruchstelle. Falls dieses nicht dramatisch wächst, kann man auch hier eine körperliche Schutzfunktion oder Schadensbegrenzung erkennen.
Der von seinem Vater, einem Botaniker, nach einer Blume benannte US-Musiker Sumach Valentine Ecks alias Gonjasufi nennt sein neues, drittes Album Callus. Er wird sich etwas dabei gedacht haben. Zumal auf dem grobkörnigen Schwarz-Weiß-Cover drei Kreuze zu sehen sind, was einerseits auf den christlichen Glauben schließen lässt (die Eltern sind koptische Christen), andererseits für die rassistischen Idioten vom Ku-Klux-Klan steht. Zudem gibt es auch ein Sprichwort vom DreiKreuze-Machen. Das bedeutet, dass man froh ist, dass etwas endlich vorbei ist.
Der Gonjasufi lässt anlässlich des Erscheinens von Callus jedenfalls eines verlauten: Er wollte seine Seele in wahrlich beschissenen Zeiten einmal mehr derart tief im irdischen Jammertal, in Schmutz, Schund und der nicht zu unterschätzenden Dummheit und Blödheit der Zeit versenken, dass dort unten schließlich eine paradoxe Reaktion einsetzt. Aus Angst und Schmerz und Nihilismus und Verzweiflung, aus diesem Kakao, durch den wir alle nicht nur gezogen werden, sondern den wir obendrein oft auch noch schlürfen, soll am Ende die Botschaft der Liebe erwachsen.
Zerschossene Songskizzen
Sumach Valentine Ecks arbeitete zumindest bis zu seinem 2010 beim renommierten britischen Elektroniklabel Warp veröffentlichten Debüt A Sufi and a Killer als Yogalehrer in den spirituell eher nicht so gut ausgeleuchteten Neonschluchten von Las Vegas, wo er bis heute mit seiner Frau und den Kindern lebt. Nach einer Vergangenheit mit Drogen und den üblichen Begleitumständen fand er sein Heil schließlich nicht nur im Hip-Hop, sondern vor allem auch im Mystizismus.
Gonjasufi in einem Interview: „Ich will Leuten, die das Gleiche durchgemacht haben wie ich, ein Ventil bieten. Ich hoffe, ich gebe ihnen die Möglichkeit, ihre Energie zu kanalisieren, und sie erkennen, dass es Hoffnung gibt. Es gibt einen Weg, die ganzen negativen Dinge, die einem im Leben widerfahren, zu nutzen und in etwas Positives zu verwandeln.“
Musikalisch und inhaltlich geht es dabei auf Callus allerdings sehr deftig und schmerzhaft zur Sache. Gleich im Eröffnungsstück hört man den von einem zerschossenen Beat und einer verzerrten, mit Saiten aus Gummiringerln bespannten Gitarre untermalten lebensmüden Satz: „Is anyone else tired / From working on a slave ship?“Gonjasufi singt dazu mit quengeliger Stimme den Blues des 21. Jahrhunderts.
Dieser Weg wird kein leichter sein. Der zweite Song ist mit Maniac Depressant betitelt, weitere Stücke heißen Ole Man Sufferah, Poltergeist, Devils, When I die oder Last Nightmare. Gonjasufi windet sich in Qualen, der Hörer windet sich mit. Die verhallte und verrauchte Stimme dringt durch ein Megafon, das man vor der Aufnahme drei Tage in Buttersäure eingelegt hat. Auch Synthesizer können unter dem Borderline-Syndrom leiden. Bei den Psychedelikgitarren und der Sitar greifen die Me- dikamente leider gar nicht. Gonjasufi jammert sich verzweifelt durch Distortion-Effekte und Bässe im roten Bereich. In The Kill, so etwas Ähnlichem wie dem Hit von Callus, heißt es: „Babylon hates me / And they want me killed“, in Devils: „Forget your story and fake glory / Get your devils off of me.“
Die kathartische Wirkung, die dieser schlechte Trip erzeugt, ist nicht unbeträchtlich. Die grob gestanzte Songskizze als Tiefenanalyse. Uns ist es beim Hören so wahnsinnig schlecht gegangen, so super haben wir uns schon lange nicht mehr gefühlt. Treffer, versenkt. Und tief betroffen.