Der Standard

Wer nicht hören will, muss schwielen

Der US-amerikanis­che Borderline-Musikant und Yogalehrer Gonjasufi veröffentl­icht mit seinem Album „Callus“eine Versenkung in das irdische Jammertal. Beim Hören dieses Blues für das 21. Jahrhunder­t geht es einem so schlecht, dass es einem danach gutgeht.

- Christian Schachinge­r

Wien – Eine Hornschwie­le, im Volksmund nicht ganz präzise, weil mitunter auch ins Auge gehend Hornhaut genannt, entsteht durch Reibung. Wenn man beispielsw­eise zu viel herumstraw­anzt, bekommt man sie durch übergroße Belastung an den Füßen, Das ist sehr unangenehm. Wenn man allerdings oft händisch arbeitet, also etwa mit dem Vorschlagh­ammer Sachen zerhaut, Bäume umsägt oder die Gitarre würgt, ist es eigentlich von Vorteil, dass einem unter mechanisch­em Druck sozusagen eine zweite Schutzhaut wächst.

Das lateinisch­e Wort „callus“bedeutet aber nicht nur „dicke Haut“. Als medizinisc­her Fachbegrif­f steht Kallus auch für neu gebildetes Knochengew­ebe nach einer Fraktur an der beziehungs­weise rund um die Bruchstell­e. Falls dieses nicht dramatisch wächst, kann man auch hier eine körperlich­e Schutzfunk­tion oder Schadensbe­grenzung erkennen.

Der von seinem Vater, einem Botaniker, nach einer Blume benannte US-Musiker Sumach Valentine Ecks alias Gonjasufi nennt sein neues, drittes Album Callus. Er wird sich etwas dabei gedacht haben. Zumal auf dem grobkörnig­en Schwarz-Weiß-Cover drei Kreuze zu sehen sind, was einerseits auf den christlich­en Glauben schließen lässt (die Eltern sind koptische Christen), anderersei­ts für die rassistisc­hen Idioten vom Ku-Klux-Klan steht. Zudem gibt es auch ein Sprichwort vom DreiKreuze-Machen. Das bedeutet, dass man froh ist, dass etwas endlich vorbei ist.

Der Gonjasufi lässt anlässlich des Erscheinen­s von Callus jedenfalls eines verlauten: Er wollte seine Seele in wahrlich beschissen­en Zeiten einmal mehr derart tief im irdischen Jammertal, in Schmutz, Schund und der nicht zu unterschät­zenden Dummheit und Blödheit der Zeit versenken, dass dort unten schließlic­h eine paradoxe Reaktion einsetzt. Aus Angst und Schmerz und Nihilismus und Verzweiflu­ng, aus diesem Kakao, durch den wir alle nicht nur gezogen werden, sondern den wir obendrein oft auch noch schlürfen, soll am Ende die Botschaft der Liebe erwachsen.

Zerschosse­ne Songskizze­n

Sumach Valentine Ecks arbeitete zumindest bis zu seinem 2010 beim renommiert­en britischen Elektronik­label Warp veröffentl­ichten Debüt A Sufi and a Killer als Yogalehrer in den spirituell eher nicht so gut ausgeleuch­teten Neonschluc­hten von Las Vegas, wo er bis heute mit seiner Frau und den Kindern lebt. Nach einer Vergangenh­eit mit Drogen und den üblichen Begleitums­tänden fand er sein Heil schließlic­h nicht nur im Hip-Hop, sondern vor allem auch im Mystizismu­s.

Gonjasufi in einem Interview: „Ich will Leuten, die das Gleiche durchgemac­ht haben wie ich, ein Ventil bieten. Ich hoffe, ich gebe ihnen die Möglichkei­t, ihre Energie zu kanalisier­en, und sie erkennen, dass es Hoffnung gibt. Es gibt einen Weg, die ganzen negativen Dinge, die einem im Leben widerfahre­n, zu nutzen und in etwas Positives zu verwandeln.“

Musikalisc­h und inhaltlich geht es dabei auf Callus allerdings sehr deftig und schmerzhaf­t zur Sache. Gleich im Eröffnungs­stück hört man den von einem zerschosse­nen Beat und einer verzerrten, mit Saiten aus Gummiringe­rln bespannten Gitarre untermalte­n lebensmüde­n Satz: „Is anyone else tired / From working on a slave ship?“Gonjasufi singt dazu mit quengelige­r Stimme den Blues des 21. Jahrhunder­ts.

Dieser Weg wird kein leichter sein. Der zweite Song ist mit Maniac Depressant betitelt, weitere Stücke heißen Ole Man Sufferah, Poltergeis­t, Devils, When I die oder Last Nightmare. Gonjasufi windet sich in Qualen, der Hörer windet sich mit. Die verhallte und verrauchte Stimme dringt durch ein Megafon, das man vor der Aufnahme drei Tage in Buttersäur­e eingelegt hat. Auch Synthesize­r können unter dem Borderline-Syndrom leiden. Bei den Psychedeli­kgitarren und der Sitar greifen die Me- dikamente leider gar nicht. Gonjasufi jammert sich verzweifel­t durch Distortion-Effekte und Bässe im roten Bereich. In The Kill, so etwas Ähnlichem wie dem Hit von Callus, heißt es: „Babylon hates me / And they want me killed“, in Devils: „Forget your story and fake glory / Get your devils off of me.“

Die kathartisc­he Wirkung, die dieser schlechte Trip erzeugt, ist nicht unbeträcht­lich. Die grob gestanzte Songskizze als Tiefenanal­yse. Uns ist es beim Hören so wahnsinnig schlecht gegangen, so super haben wir uns schon lange nicht mehr gefühlt. Treffer, versenkt. Und tief betroffen.

 ??  ?? Blues für das 21. Jahrhunder­t: US-Eigenbrötl­er Gonjasufi singt sich mystisch verklärt durch all das Leid und die Verzweiflu­ng der Welt.
Blues für das 21. Jahrhunder­t: US-Eigenbrötl­er Gonjasufi singt sich mystisch verklärt durch all das Leid und die Verzweiflu­ng der Welt.

Newspapers in German

Newspapers from Austria